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Der Samt ist weg
Das Reich der roten Sowjet-Zaren zerfällt auf Stimmzettelpapier. Jugoslawien gleicht einem manövrierunfähigen Dampfer nach einer Eisbergkollision. Slowakische Nationalisten werden handgreiflich gegen Vaclav Havel. Der Samt ist weg - nicht nur von der „samtenen Revolution” in der CSFR.
Was die Volksabstimmung in der UdSSR politisch gebracht hat, wird man erst nach einiger Zeit begreifen. Unionspräsident Gorbatschow hatte die Frage nach einer „erneuerten Föderation gleichberechtigter souveräner Republiken” gestellt. Es bleibt also die „SS”; nur soll das eine S künftig „souverän” und nicht „sowjetisch” bedeuten. „Sozialistisch” fiel entgegen Erstabsichten nicht.
Dafür fiel vieles andere. Nur vier der 15 Republiken stellten ihren Wählern die Frage unverändert; sechs boykottierten das Referendum ganz, die übrigen brachten Zusätze an, so Boris Jelzin mit der Frage, ob Rußlands Präsident vom Volk gewählt werden sollte.
Wie immer das Endergebnis lautet: Es bringt die tausend Probleme im 280-Millionen-Reich nicht vom Tisch. Diktaturen zerfallen, wenn ihre Brachialgewalt erlahmt. Demokratisierung und echte Föderalisierung hätten vielleicht geholfen - früher.
Das gilt auch von Jugoslawien. Hier kämpft Slobodan Milosevic auf zweifach verlorenem Posten: als serbischer Zentralist und als sturer Kommunist.
Er wird den Kampf verlieren. Den Völkern Kroatiens, Sloweniens und der übrigen Jugo-Republiken ist zu wünschen, daß sie in der Selbständigkeit wirklich ihr Heil finden. Mit dem nach dem Einmarsch Hitlers 1941 gegründeten „Unabhängigen Staat Kroatien” war das nicht der Fall, und schon gar nicht beim Versuch, daraus ein „katholisches Königreich Christi” zu machen.
Ustascha-Präsident Ante Paveliä empfing täglich die Kommunion und ließ Hunderttausende orthodoxer Serben, Juden und Zigeuner umbringen, weitere zwangstaufenoder deportieren. Nichts tat dieser Tage wohler als der Appell des serbisch-orthodoxen Patriarchen Pavle und des Agramer Erzbischofs Kuharic an beide Volksgruppen zu Vernunft und Versöhnung.
Das ist das Wichtigste, was die katholische Kirche auch in der CSFR zum inneren Frieden beitragen kann. Auch dort ist der Slowaken-Staat des Priester-Präsidenten JozefTiso mit der Erinnerung an klerikalen Faschismus und den „ Verkauf” von 5 7.000Juden an Hitler (500 Reichsmark das „Stück”) verknüpft.
Gewiß: die Zeitumstände... Heute sind sie gottlob anders. Die Kirchenführer müssen offen davon reden.
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