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Der Schattenkrieg tobt weiter

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Breschnews außenpolitischer Berater Geor-gij Arbatow war um eine Antwort nicht verlegen, als ihn ein englischer Journalist auf die Erklärung von US-Sicherheitsberater Zbigniew Brezinski ansprach, in der dieser den vietnamesisch-kambodschanischen Grenzkrieg als Stellvertreterkrieg zwischen der Sowjetunion und China bezeichnet hatte. „Das ist Unsinn“, erklärte Arbatow, und fügte hinzu: „Die Situation ist ganz anders. Wir wollen keinen Krieg mit China führen, weder direkt noch mittels Stellvertretern.“

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Breschnews außenpolitischer Berater Geor-gij Arbatow war um eine Antwort nicht verlegen, als ihn ein englischer Journalist auf die Erklärung von US-Sicherheitsberater Zbigniew Brezinski ansprach, in der dieser den vietnamesisch-kambodschanischen Grenzkrieg als Stellvertreterkrieg zwischen der Sowjetunion und China bezeichnet hatte. „Das ist Unsinn“, erklärte Arbatow, und fügte hinzu: „Die Situation ist ganz anders. Wir wollen keinen Krieg mit China führen, weder direkt noch mittels Stellvertretern.“

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Die jüngsten politischen Schachzüge der beiden kommunistischen Großmächte in Südostasien, die Reaktionen Moskaus auf die Annäherung Chinas an den Westen sowie Pekings Schulterschluß mit Japan zeigen die Nervosität der Kreml-Herren, die sich geostrategisch und politisch in Ost- und Südostasien in die Defensive gedrängt sahen. Moskau ging jetzt zur Gegenoffensive über, indem es die vietnamesischen Genossen fester in die Arme nahm.

Die Tischreden anläßlich der Unterzeichnung des Vertrages über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und Vietnam machten deutlich, gegen wen dieses Vertragswerk gerichtet ist: Warf Ministerpräsident Kossygin China „großexpansionistische Pläne“ vor, polterte der vietnamesische Parteichef Le Duan unverblümt gegen die „reaktionäre Clique“ in Peking, die mit dem Imperialismus und den „faschistischen Speichellek-kern“ eine unheilvolle Allianz eingehe.

Der „Anti-China-Vertrag“ - so südostasiatische Politiker - wird von politischen Beobachtern als direktes Militärbündnis gegen Peking gewertet. Er stellt praktisch einen Kontrapunkt zu dem zwischen China und Japan kurz zuvor unterzeichneten Friedens- und Freundschaftsvertrag dar, der in Moskau vor allem wegen seiner „Antihegemonieklausel“ auf Mißbilligung stieß.

Die Reaktion Moskaus auf diese „Antihegemonieklausel“ folgte nun im Vertrag mit Vietnam, der eine „Konsultationsklausel“ für den Fall eines Angriffs auf einen der beiden Partner oder einer Angriffsdrohung in einer Krisensituation enthält: eine deutliche Warnung an Peking, dessen Beziehungen zu seinem südlichen Nachbarn Vietnam sich in den letzten Monaten arg verschlechtert haben! Und es war gewiß kein Zufall, daß es an der Grenze zwischen China und Vietnam zwei Tage vor der Vertragsunterzeichnung laut Radio Hanoi zu den „ersten schweren Kämpfen gekommen ist“.

Die solchermaßen dramatisierten Grenzscharmützel stellen einen weiteren Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Peking und

Hanoi dar. Es war zuerst einmal die eindeutige Parteinahme Chinas für Kambodscha im vietnamesischkambodschanischen Grenzkrieg, die die Beziehungen Zwischen den beiden kommunistischen Nachbarn verschlechtert hatten. Hanoi, zum damaligen Zeitpunkt noch nicht eindeutig auf die Sowjetunion festgelegt, sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich mit Peking zu verständigen.

Moskau hat dabei die Hände mit im Spiel: Die Sowjets hatten die vietnamesischen Hegemoniebestrebungen in Indochina gefördert und damit den Kollisionskurs Hanois mit Peking erst richtig heraufbeschworen. Als Vietnam dann die im Land lebenden Chinesen zu drangsalieren begann und sie zur Auswanderung zwang,

war der Bruch der beiden kommunistischen Nachbarn offensichtlich.

Nach Auffassung Pekings ist die Vertreibung von Chinesen ein „von den Sowjets ausgehecktes Schurkenstück, durch das die Gegensätze zwischen China und Vietnam verschärft werden sollen“. Und auch beim vietnamesisch-chinesischen Grenzkonflikt dürfte Moskau Drahtzieher sein - so glauben sogar westliche politische Beobachter: Denn sowohl den Machtziehern in Moskau als auch in Hanoi kommt es gelegen, von den Chinesen das Bild einer aggressiven und expansionistischen Macht an die Wand zu malen, die mit allen Nachbarn Grenzprobleme hat.

Anderseits ist die vietnamesische Version, China wolle mit dem Grenzkonflikt eine „Aggression an zwei Fronten“ heraufbeschwören, so unglaubwürdig nicht: Denn der Druck auf Vietnam kann kalkuliert sein, um dem von innen und von außen bedrängten Verbündeten Kambodscha unter die Arme zu greifen, der - trotz des in aller Welt verachteten Schrek-kensregimes - eine Schlüsselstellung im südostasiatischen Raum einnimmt: Fällt nämlich das Blutregime der Roten Khmer, fällt auch Pekings Bollwerk gegen Vietnam (Moskau) in Südostasien!

Doch nicht nur China, auch das nichtkommunistische Thailand und mit ihm die anderen vier Mitgliedsstaaten der nichtkommunistischen ASEAN-Gruppierung (Vereinigung südostasiatischer Nationen) - Malaysia, Singapur, Indonesien, Philippinen - sehen einem Zusammenbruch Kambodschas mit Schrecken entgegen. Vor allem aber Thailand, weil in verschiedenen Gebieten des Landes kommunistische Partisanen operieren, die vor allen von China und den Sowjets unterstützt werden. Bisher konnte sie die Armee unter Kontrolle halten, ebenso wie Malaysia seine kommunistischen Guerilleros. Aber ein von Vietnam erobertes Kambodscha wäre die beste Basis für Hanoi, um seine Hegemoniebestrebungen auch auf nichtkommunistische Nachbarn auszudehnen.

Da hatte es Pekings dynamischer Vizepremierminister Teng Hsiao-ping leichter als sein vietnamesischer Kontrapart, Ministerpräsident Pham Van Dong, als beide kurz nacheinander durch die Hauptstädte der ASEAN-Staaten in diplomatischer Mission unterwegs waren. Denn Tengs Suggestionen konnten sich auf die Frucht stützen, die der Krieg zwischen Vietnam und Kambodscha und der Vertrag zwischen Hanoi und Moskau in eben diesen Staaten ausgelöst haben.

Dieser Militärpakt hat die Erklärungen, die Pham Van Dong in Kuala Lumpur und Bangkok machte - Hanoi werde die kommunistischen Gu-errillas in Malaysia und Thailand nicht mehr unterstützen und Vietnam respektiere die ASEAN-Friedenszone in einem anderen Licht erscheinen lassen. Sarkastischer Kommentar eines thailändischen Diplomaten dazu: „Die Vietnamesen löschen mit den Füßen aus, was sie mit den Händen unterschrieben haben.“

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