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Der Schock

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Der „Führer“ überflog den Zettel, der ihm gereicht wurde, starrte dann, hochrot werdend, einen Augenblick vor sich hin, schlug schließlich mit der Hand auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, und rief mit überkippender Stimme: „Ich hob' siel Ich hob' sie!“ So schildert Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer in seinen Erinnerungen die Reaktion des deutschen Reichskanzlers, als dieser aus Moskau von seinem Außenminister Ribbentrop informiert wurde, daß der Pakt mit der Sowjetunion abgeschlossen sei. Unterzeichnet wurde dieser Hitler-Stalin-Pakt am 23. August 1939.

Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Der scheinbar banale Volksmund bringt die Ungeheuerlichkeit auf eine Formel, daß vor 50 Jahren die ideologischen Todfeinde Josef Stalin und Adolf Hitler sich auf einen Nichtangriffspakt einigten.

Erst später erfuhr man von den geheimen Zusatzabkommen, mit denen die beiden totalitären Staaten ihre Interessen abgrenzten. Und die Folgen dieses politischen Handels gewinnen heute wieder brisante Relevanz: Die baltischen Staaten begehren auf, die damals dem sowjetischen Einfluß ausgeliefert wurden.

Hitler und Stalin teilten sich im August 1939 nicht nur Polen: Der Führer der Sowjetmacht, damals noch ein Ideal für Linke in aller Herren Länder, machte dem angriffslüsternen Tyrannen in Deutschland den Rücken frei für einen Angriffskrieg mit absehbaren Konsequenzen. Und Adolf Hitler öffnete der Sowjetunion den Weg nach Mitteleuropa.

Wie reagierten damals vor 50 Jahren eigentlich überzeugte Kommunisten auf diesen Coup? Sie waren fassungslos, es war ein Schock für sie — aber sie narkotisierten routiniert ihr Gewissen. Emst Fischer zum Beispiel, der Parade-Intellektuelle der KPÖ, lebte zu dieser Zeit mit seiner Frau Ruth von Mayenburg im Moskauer Kominternhotel „Lux“. Er verteidigte Stalin und schreibt in seinen Memoiren, daß er den Pakt aus moralischen Gründen zwar für verwerflich hielt, aus weltgeschichtlichen aber für notwendig.

Ruth von Mayenburg bemerkt in ihrem Buch „Blaues Blut und rote Fahnen“, für sie alle sei damals die Kreml-Uhr stehengeblieben. Später sagte sie in einem Interview, sie sei lange nicht über das Beschämende dieses Paktes hinweggekommen. Da habe man schon das marxistische Denken bemühen müssen, „um über diese echte Gewissensfrage sich hin-wegzuschwindeln “.

Und das könnte eine Lehre nicht nur für Kommunisten sein: Mit ideologischem Denken soll man sich nicht um Gewissensfragen herumschwindeln. Es soll ja sogar vorkommen, daß religiöser Glau-' be sich manchmal ideologisch drapiert.

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