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Der Schock steckt noch des „Debakels“ in den Knochen

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Die strategische Neuorientierung der verstaatlichten Industrie geht heute eindeutig von Wien aus. ÖIAG-Generaldirektor Hugo Michael Sekyra ist entschlossen, einen ÖIAG-Konzern zu schmieden, der das industrielle Erscheinungsbild Österreichs der neunziger Jahre prägt.

Der Schlußpunkt unter die vierzigjährige Ära Voest wurde am 30. Juni dieses Jahres gesetzt Mit diesem Datum hörte die alte Voest-Alpine zu bestehen auf, und das Branchen-Holdingkonzept trat in Funktion. Die Geschäftsbereiche der alten Voest-Alpine wurden auf vier Holdinggesellschaften aufgeteilt, die Voest-Alpine Stahl AG, die Maschinenund Anlagen AG, die Bergbau-Holding AG und die Elektro- und Elektronik-Holding AG. Die Zerlegung erfolgte zu einem Zeitpunkt, als sich eine geradezu dramatische Verbesserung der Ertragssituation abzuzeichnen begann. Der Erfolg des unternehmenspolitischen Kraftakts hängt jetzt davon ab, ob die neuen Einheiten auch zu einer neuen Identität finden.

Den Sturz vom Industrie-Olymp hat - wie oft schon analysiert — die Voest-Alpine zum Teil sich selbst zuzuschreiben, zum Teil war er systemimmanent.

Als jedenfalls nach dem im November 1985 offen zutage getretenen Desaster zum Großreinemachen in der verstaatlichten Industrie geschritten wurde, war die heutige Lösung keineswegs absehbar. Der nach einem mehrmonatigen Interregnum angetretene neue Vorstand unter der Führung des früheren Mobil-Deutschland-Generaldirektors Herbert Le-winsky entwickelte zunächst ein Sanierungskonzept, das von der Erhaltung des bestehenden Konzerns ausging, das „Voest-Alpi-ne-Neu“-Konzept (VAN).

Lewinsky selbst bezeichnete es als Crash-Programm, weil es weniger ein strategisches Konzept als vielmehr ein Notprogramm zur raschen Kostensenkung und Verlustfreimachung war. Gerade diese fehlende Vision war es, die dem neuen Vorstand alsbald zum Vorwurf gemacht wurde.

Der Personalabbau wurde zur Zielscheibe der Kritik. Hier mußte aber einfach der Hebel zuerst angesetzt werden. Daß freilich in weiten Bereichen des Anlagen-und Maschinenbaus keine marktfähigen beziehungsweise marktreifen Produkte vorhanden waren, stellte sich erst etwas später heraus.

Das Voest-Debakel (so der Titel des Buches, das der langjährige Pressesprecher des Unternehmens, Franz Summer, schrieb) führte zu einer Ernüchterung in den Sekretariaten der Großparteien. Trotz der Schuldzuweisung an die Manager konnten sie sich des Vorwurfs einer Mitschuld nicht so ohne weiteres entledigen. Man entschloß sich deshalb in der Personalpolitik für die subtilere „parteifreie“ Managementpostenbesetzung.

Selbstverständlich trug man damit auch einer entsprechenden Stimmung in der Bevölkerung Rechnung, die nicht nur Konsequenzen auf der Managementebene erwartete. Die Betrauung des Verstaatlichtenressorts mit dem früheren Manager Rudolf Streicher sollte signalisieren, daß Sachkompetenz Vorrang vor Parteizugehörigkeit haben sollte. Der von Streicher im Herbst 1986 zum neuen ÖIAG-Generaldirektor gekürte Hugo Michael Sekyra stellt diese nachdrücklich unter Beweis.

Schon wenige Wochen nach seinem Amtsantritt sickerte die Idee einer Zerlegung der Voest-Alpine in eine Stahl-, Final- und Anlagenbau AG durch. Die per Indiskretion an die Öffentlichkeit getragene Gedankenspielerei des neuen ÖIAG-Chefs im kleinen Kreis schlug sofort hohe Wellen. In Linz protestierten die Betriebsräte, die sich im Gefolge des einsetzenden Personalabbaus grobe Anfeindungen gefallen lassen mußten. Sekyra selbst kal-mierte daraufhin, er habe nur von langfristigen Visionen gesprochen. Es sollte aber nicht so lange dauern, bis diese Visionen konkretere Formen annahmen.

Nach einem Konjunktureinbruch zu Beginn des Jahres 1987 mußte der Voest-Vorstand sein VAN-Konzept adaptieren, neue Rationalisierungsmaßnahmen wurden getroffen, geplante vorgezogen, der Personalabbau wurde beschleunigt. An den grundlegenden Zielsetzungen des Konzepts hielt man aber fest. Im Herbst 1987 stand die neue Organisation der Voest-Alpine entsprechend dem VAN-Konzept fest. Generaldirektor Lewinsky damals: „Jetzt weiß jeder, wo er hingehört, jetzt gibt es nur mehr zielgerichtetes Arbeiten.“

Zur gleichen Zeit beschloß die ÖIAG die Neugliederung der verstaatlichten Industrie in branchenumfassende Holdinggesellschaften. Dieser Beschluß war auch der Anfang vom Ende der alten Voest-Alpine. Für Ol AG-Generaldirektor Sekyra war die bis dahin erfolgte Voest-Sanierung nur der erste Schritt. Was bedeutet, daß aus seiner Sicht die Auflösung der großen Voest-Alpine in einzelne Bestandteile und die Neuverteilung der Produktionen nach einem umfassenden Gesamtkonzept von vornherein festgestanden ist.

Voest-Generaldirektor Lewinsky hat diese Strategie offenbar lange Zeit nicht erkannt, denn er klammerte sich noch an sein Voest-Alpine-Neukonzept, als der Zug längst in Richtung Zerlegung abgefahren war. Der Versuch seines Pressesprechers, mit Hilfe eines Zeitungsinterviews öffentlich Stimmung gegen die Zerlegung zu machen, stieß selbst bei den Betriebsräten auf Unverständnis. Die hatten sich mit der neuen Entwicklung abgefunden, weil ihnen versprochen worden war, die Leitungsgremien in Linz zu belassen.

Was im Fall der Maschinenbau-Holding dann gar nicht so selbstverständlich war. Der Technokrat Sekyra erkannte jedoch, wie weit er gehen durfte. Die Linzer Betriebsräte bekamen ihren Erfolg zugestanden, was für den designierten Maschinenbau-Holdingchef, den SGP-Generaldirektor Klaus Woltron, den Anstoß zur Resignation gab.

Begünstigt durch eine in diesem Maße unerwartete Stahlkonjunktur und angesichts der bevorstehenden Betriebsratswahlen herrscht in Linz relative Ruhe, was strukturelle Änderungen anbelangt. Am Arbeitsmarkt ist überhaupt nichts zu merken, die Arbeitslosenrate liegt klar unter dem Bundesdurchschnitt. Die Aufregung über einen im Hüttenbereich zu weit gegangenen Personalabbau, als dessen Folge es zu Uberstunden und zur Aufnahme von überdurchschnittlich vielen Ferialpraktikanten kam, hatte eher Wahlkampf Charakter als Signalwirkung für echten Unmut.

Nach wie vor steckt den Oberösterreichern der Schock des Debakels in den Knochen. Die Struktur der neuen Voest ist der Öffentlichkeit noch nicht sehr bewußt. Die einzelnen operativen Gesellschaften sind auch noch auf der, Suche nach ihrer neuen Identität. So zwischendurch allerdings kann man schon wieder Bemerkungen aufschnappen, die auf einen sich wieder verstärkenden politischen Einfluß auf die Postenbesetzung schließen lassen. Vielleicht sind es auch nur böswillig ausgestreute Gerüchte.

Der Autor ist Wirtschaftsredakteur bei den Oberösterreichischen Nachrichten.

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