6794453-1971_04_01.jpg
Digital In Arbeit

Der schon geschlagene Sieger

19451960198020002020

Nach zweijährigen, inzwischen vollkommen festgefahrenen „Friedensverhandlungen“ in Paris bietet die Szene in Indochina ein widerspruchsvolles Bild. Präsident Nixon hat die „geordnete, aber zügige“ Einstellung des chemischen Krieges versprochen; tausende Tonnen jener Entlaubungsmittel, die mindestens tausend Quadratkilometer südvietnamesischen Dschungel für immer verkarstet und Südvietnams Ackerbau von einer Überschuß- in eine Mangelwirtschaft verwandelt haben, sollen aber noch abgeworfen werden. Vietnam hatte zwar auch heuer wieder seinen Weihnachtsfrieden, aber amerikanische B 52 flogen massive Bombeneinsätze gegen wirkliche oder vermeintliche militärische Ziele in Kambodscha. Die amerikanische Truppenverminderung in Südvietnam geht schneller voran als vorgesehen, trotzdem rechnen hohe amerikanische Offiziere in Saigon kaum mit wesentlichen Änderungen der Lage in den kommenden Monaten.

19451960198020002020

Nach zweijährigen, inzwischen vollkommen festgefahrenen „Friedensverhandlungen“ in Paris bietet die Szene in Indochina ein widerspruchsvolles Bild. Präsident Nixon hat die „geordnete, aber zügige“ Einstellung des chemischen Krieges versprochen; tausende Tonnen jener Entlaubungsmittel, die mindestens tausend Quadratkilometer südvietnamesischen Dschungel für immer verkarstet und Südvietnams Ackerbau von einer Überschuß- in eine Mangelwirtschaft verwandelt haben, sollen aber noch abgeworfen werden. Vietnam hatte zwar auch heuer wieder seinen Weihnachtsfrieden, aber amerikanische B 52 flogen massive Bombeneinsätze gegen wirkliche oder vermeintliche militärische Ziele in Kambodscha. Die amerikanische Truppenverminderung in Südvietnam geht schneller voran als vorgesehen, trotzdem rechnen hohe amerikanische Offiziere in Saigon kaum mit wesentlichen Änderungen der Lage in den kommenden Monaten.

Werbung
Werbung
Werbung

Auf dem Höhepunkt des amerikanischen Engagements kämpften 550.000 Amerikaner in Vietnam. Mitte Dezember waren es nur noch 360.000, Anfang Jänner um weitere 20.000 weniger, bis Mai soll die Zahl auf 280.000 Mann sinken.

Nixon kann sich, so scheint es, diese Politik des Disengagements militä risch leisten. Offiziösen amerikanischen Stellen zufolge ist dies auf die Tatsache zurückzuführen, daß die südvietnamesischen Streitkräfte (miete als eine Million) „an Stärke und Schlagkraft zugenommen“ haben (Vietnamisierung). Tatsächlich aber wurde ihre Stärke und Schlagkraft in den letzten Monaten kaum mehr auf die Probe gestellt, denn seit dem Ende der amerikanischen Kambodschabesetzung kam es in Südvietnam auf keiner Seite zu größeren Operationen.

Die amerikanische Führung in Südvietnam macht sich heute auch weniger Sorgen über die Verteidigungsbereitschaft der Verbündeten als über den Zustand der eigenen Truppe. General Haig, der im Auftrag des Präsidentenberaters Henry Kissinger die Moral der Gis in Vietnam erkundete, kehrte mit der Erkenntnis, kaum je zuvor sei eine im Felde unbesiegte Armee so tief in Schwierigkeiten verstrickt gewesen wie die amerikanische in Vietnam, nach Washington zurück.

Die Soldaten werden von Woche zu Woche unwilliger, ihr Leben zu riskieren. Unter den höheren Rängen versuchen einige, wie General Wey and, mit der Zeit zu gehen und Kontakt zur „Generation von Woodstock“ zu finden, aber dem Großteil der alten Offiziere und Berufssoldaten ist dies unmöglich. Die subalternen Chargen klagen, noch 1967 habe man befehlen können, ohne sich Gedanken über die Ausführung machen zu müssen, heute sei alles anders: Die Soldaten fragen, ehe sie sich in Gefahr begeben, ausführlich nach dem Warum und ließen sich alles erklären, und wenn man es nicht tue, dann könne man sie zwar auf Erkundung schicken, „aber sie erkunden nichts“.

Symptomatisch der Fall des jungen Offiziers Douglas Michels, der einen minenverseuchten Hügel, den er besetzen sollte, absichtsvoll mit einem harmlosen verwechselte, und zwar degradiert wurde, aber seinen Urlaub in Texas verbringen konnte und nun hofft, seinen Rang zurückzubekommen. Zu Weihnachten brachen Frontsoldaten offen in Jubel aus, als sie vom Tod zweier unbeliebter Vorgesetzter hörten. Einem Captain, der die Namen von fünf Soldaten notiert hatte, die er auf einem nächtlichen Kontrollgang in ihrer Stellung schlafend aufgefunden hatte, wurde eine Gewehngranate nachgeschossen.

Berufssoldaten, etwa Piloten und erst gar die „zivilen Berater“ gelten in vielen von den gewöhnlichen Wehrpflichtigen besuchten Arrriy- Klubs als unerwünscht. Viele Soldaten schreiben „peace“ auf ihre Helme oder malen Blumen und das internationale Friedenssymbol auf ihre Gewehrschäfte, ja sie lassen sich sogar lange Haare wachsen, ohne beanstandet zu werden. Ein „Geist der Vorsicht“ pflanzt sich nach oben fort, viele Kommandeure wollen nur noch möglichst viele ihrer Leute lebend wieder nach Hause bringen, da und dort wurde es zum unausgesprochenen Übereinkommen zwischen Offizieren und Mannschaften, daß erstere nur noch solche Befehle erteilen, von denen sie sicher sein können, daß letztere sie auch befolgen.

Grund für die Auflösungserscheinungen ist, daß der Gl in Vietnam nicht mehr an das glaubt, was er tut. Der Prozeß des Disengagements ist eingeleitet, aber schwieriger und langwieriger als je zuvor in einem Krieg.

Immer mehr geraten Amerikas Truppen in Vietnam auch in die wachsenden inneramerikanischen Verstrickungen hinein. Vor wenigen Monaten kam es in Chu Lai zu einer Schießerei zwischen 400 weißen und schwarzen Amerikanern, ein weißer Soldat wurde getötet, mehrere stehen unter der Anklage, ein Komplott zur Ermordung schwarzer Kameraden angezettelt zu haben.

Als eine der wirkungsvollsten „Geheimwaffen“ des Gegners erwies sich das Rauschgift; eine starke Tagesdosis Heroin, die in den USA 50 Dollar kostet, ist in Vietnam um zwei bis drei Dollar zu haben. Das vietnamesische Heroin ist zudem so hochkonzentriert, daß es innerhalb

weniger Tage zur ausgeprägten Sucht kommen kann. Die Entziehungskuren (wer sich meldet, bleibt straffrei) haben Chancen bei Soldaten, die vor der Entlassung stehen, die anderen „kehren in dieselbe Streßsituation zurück, der sie entfliehen wollten“. Die Ärzte monieren ganz offen, man habe sich mit den „Warnungen vor den schrecklichen Gefahren des Marihuana“ so unglaubwürdig gemacht, daß es jetzt sehr schwer sei, die Soldaten von der tatsächlichen Gefährlichkeit des Heroin zu überzeugen. Daran stirbt tatsächlich fast täglich einer von ihnen und über das TV-Netz der Army läuft eine Antirauschgiftkampagne.

Die Amerikaner in Südvietnam haben auch Erfolge. Die von ihnen unterstützte Bodenreform macht langsame Fortschritte. 20.000 Familien wurde der Boden, den sie be

arbeiteten, geschenkt, die Grundbesitzer wurden mit durchschnittlich .200.000 Schilling abgefunden. Mit dieser Bodenreform verhält es sich wie mit den südvietnamesischen Wahlen, die erstaunlich ungestört — und natürlich mit dem gewünschten Ergebnis — verliefen: Der Vietkong bleibt passiv, aber nur unverbesserliche Optimisten sehen darin einen Beweis dafür, daß er geschlagen ist. Mehr deutet darauf hin, daß die Gegenseite ihre Aktivität auf die angrenzenden Länder verlegt hat und in Südvietnam selbst nichts tut, was den Abzug der Amerikaner gefährden könnte Diese sind ohnehin genügend geschlagen, wenn auch nicht militärisch, so doch mit Problemen, die auf längere Sicht einen ähnlichen Effekt auslösen könnten. Welches strategische Konzept oder welche Absprache den Vietkong dabei leitet ist eine andere Frage.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung