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Der Schutz liegt im „Dreieck“

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Jede Analyse zwischenstaatlicher Beziehungen sollte aus dem Blickwinkel beider Akteure angestellt werden. Besonders dann, wenn deren Mentalität so verschieden ist wie jene der Amerikaner und der Chinesen. Was Rotchina nach dem Pekingbesuch Präsident Fords über die amerikanische Politik und Haltung denkt, ist schwer zu beurteilen. Ohne freie Presse auf chinesischer Seite kann man keinen Einblick gewinnen. Was die amerikanische Seite denkt, ist hingegen im Wesentlichen formuliert und nachzulesen.

Komischerweise scheinen die Amerikaner aus Peking mit dem Gefühl abgereist zu sein, China brauche sie, China sei schwach, China fürchte die' Sowjetunion. Aus den Gesprächen mit den chinesischen Führern über Amerikas Detente gegenüber der Sowjetunion scheint sich der Eindruck niedergeschlagen zu haben, die Chinesen seien den sowjetischen Drohungen in Asien und an anderen Fronten nicht gewachsen und suchten daher dringend eine weitere Annäherung an Washington. In manchen Kommentaren kam sogar zum Ausdruck, die Führer Rotchinas wären am liebsten unter den amerikanischen Atomschirm gekrochen, den Washington aber nur über Tokio halten wolle. Man habe lange über die sowjetisch-kubanische Intervention in Angola gesprochen und Peking habe Washington ermutigt, dem russischen Vorgehen in Afrika mehr Widerstand entgegenzusetzen. Präsident Ford habe jedoch den Führern in Peking zu verstehen gegeben, daß die Detente zwischen Moskau und Washington schon deshalb unmu-gänglich notwendig sei, weil nur Washington und Moskau die Macht zur totalen Vernichtung besäßen und weil diese Beziehung daher eine „re-latio sui generis“ sei. Peking dagegen sei noch nicht im Atomklub und sollte daher die Beziehungen der beiden Supermächte lieber nicht kritisieren.

Man kann sich schwer vorstellen, daß Männer vom Kaliber eines Kissinger einen so arroganten und zugleich begrenzten Gesichtspunkt beziehen könnten, aber die Anwendung der Cou eschen Philosophie des „Ich bilde mir ein, es geht mir gut“, ist schon immer ein Symptom fortgeschrittener Dekadenz gewesen.

Was jedenfalls beunruhigt, ist die Formulierung von den „beiden Supermächten“ und das Nichtverwen-den der Dreieckskonstruktion, die der amerikanischen Außenpolitik seit Nixon ihr besonderes Gepräge gegeben hat. Nun kann diese neue Formel ja gerade zum Ziele haben, die amerikanisch-chinesischen Beziehungen aufzuwerten, indem man sie aus dem magischen Dreieck herauslöst. Wenn das die Absicht ist, werden sich jedoch bald die negativen Folgen einstellen. Denn das Verlassen des Dreiecks wird in Kürze die Abhängigkeit Washingtons von Moskau erhöhen.

Die flagrante kubanisch-sowjetische Intervention in Angola beweist ja schon, daß sich Moskau keinen Deut' um Washington kümmert. Während die amerikanische Presse einen glänzenden Produktionssieg über die sowjetische Landwirtschaft feiert und sich in schwarzen Prognosen über die Auswirkungen der sowjetischen Mißernte ergeht, hat Moskau bereits mitgeteilt, daß es keine höheren Frachtraten bezahlen werde, obwohl das bereits stipuliert war. Sie weiß, daß es eine Farmerrevolte gäbe, wenn die Exporte aus den amerikanischen Kornkammerstaaten unterblieben und daß damit die sowieso prekäre Wiederwahl Fords noch mehr in Frage gestellt wäre.

Kissinger hat wohl seinen Besuch in Moskau auf den Jänner verschoben und zu verstehen gegeben, er wolle erst in die UdSSR kommen, wenn weitere Fortschritte bei den Verhandlungen über die Atomabrüstung erzielt worden seien. Aber natürlich weiß jeder in den USA und weiß auch die Sowjetunion, daß Amerika gar keine andere Wahl hat, als den Abrüstungskurs beizubehalten, weil niemand die Unsummen bezahlen würde, die ein verstärktes Atomrüsten erfordert.

Da Detente momentan innenpolitisch unpopulär ist und Präsident Fords nächster politischer Gegner momentan rechts steht, wird es wohl eine gewisse Abkühlung gegenüber Moskau in den nächsten Monaten geben. Aber es liegt vollkommen im Belleben Moskaus, durch einige eisige Worte oder harte Handlungen eine „Wiederbesdnnumg“ in Washington herbeizuführen. Denn die Schwäche Amerikas und der Demokratien liegt in der Nichtbereitschaft, Opfer zu bringen und die eigenen Interessen einem gemeinsamen Ziel unterzuordnen.

So gesehen, erscheinen all die Argumentationen Washingtons gegenüber Peking als leere Spiegelfechtereien, die niemand ernstnimmt, der die westliche Gesellschaft kennt. Mag sein, daß es noch lange dauern wird, bis Peking Raketensysteme vom amerikanischen Typ besitzen wird. Sicher ist aber, daß eine Gesellschaft von so ungeheurem Ausmaß, die — frei oder unfrei — ihre Resourcen auf einige wenige nationale Ziele abstellen kann, ein Kraftpotential darstellt, dem der Westen nur sehr wenig entgegenzusetzen hat. Daß Peking in Kürze auch noch mit Erdöl und Energie autark sein wird, dürfte nicht übersehen werden.

Präsident Ford, der von Zeit zu Zeit einen Anlauf zu etwas wie einer eigenständigen Außenpolitik entwickeln möchte, wäre daher gut beraten, wenn er die Konzeption von den „beiden atomaren Supermächten“ aufgeben und sich wieder in den Schutz des Dreiecks Washington-Moskau-Peking zurückziehen wollte. Diese Konstruktion dürfte nicht nur in der Lage sein, ein gewisses Gleichgewicht der Weltmächte zu gewährleisten, sondern auch der westlichen Gesellschaft die Möglichkeit geben, ihr extravagantes Leben noch längere Zeit fortzusetzen.

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