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Der „schwarze Riese" strauchelt

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Vergangene Woche weilte Bundeskanzler Helmut Kohl zu einem offiziellen Besuch in Österreich und konnte in der freundschaftlichen Atmosphäre wenigstens für kurze Zeit seine innen- und außenpolitischen Sorgen vergessen. Zuhause ist Kohl zunehmend ins Kreuzfeuer der öffentlichen und innerparteilichen Kritik geraten.

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Vergangene Woche weilte Bundeskanzler Helmut Kohl zu einem offiziellen Besuch in Österreich und konnte in der freundschaftlichen Atmosphäre wenigstens für kurze Zeit seine innen- und außenpolitischen Sorgen vergessen. Zuhause ist Kohl zunehmend ins Kreuzfeuer der öffentlichen und innerparteilichen Kritik geraten.

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Mit der Ernennung des baden-württembergischen Rechtsanwalts und bisherigen parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Schäuble, zum Bundesminister ohne Geschäftsbereich hat Bundeskanzler Helmut Kohl die Schaltstelle im Bundeskanzleramt neu besetzt und versucht, einen neuen Akzent zu setzen. Nach dem Rücktritt von Bundestagspräsident Rainer Barzel schlug die Fraktion auf Antrag Kohls den bisherigen Staatsminister Philipp Jenninger für die Neuwahl zum Bundestagspräsidenten vor.

Daß Kohl einen seiner engsten Vertrauten für das protokollarisch zweithöchste, aber ansonsten politisch einflußlose Amt im Staate vorschlug, deutet aber darauf hin, daß die Personalreserven der CDU/CSU begrenzt sind.

Mit der Ernennung Schäubles, ebenfalls ein enger Vertrauter Kohls, wollte der Bundeskanzler der schon seit langem schwelenden Kritik an seinen Führungsstil sowie an der mangelnden Effizienz der Stabsstelle Bundeskanzleramt entgegenwirken. In der Tat ist mehr als zwei Jahre nach der „Wende" der Elan bei der Regierung, der sie tragenden Parteien sowie an deren Basis weitgehend verschwunden.

Die positiven Leistungen der Regierung, insbesondere auf ökonomischem Gebiet, wie Wirtschaftsaufschwung, Stabilisierung des Haushalts sowie das praktische Verschwinden der Inflation (sie ist weit unter zwei Prozent gesunken, was für Österreich hinsichtlich der Geldwertparität D-Mark und Schilling Probleme mit sich bringen wird) stehen derzeit kaum im Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Auf anderen Gebieten kam es oft zu peinlichen Pannen, die Affäre Wörner-Kiesling, die Diskussion um das Kraftwerk Buschhaus oder jüngst die Parteispendenaffäre seien nur erwähnt.

Die zuletzt stattgefundenen Wahlen brachten auch nicht gerade Erfolgserlebnisse für die Union. Zwar verlor dabei die SPD ebenfalls kräftig Stimmen, vornehmlich an die Grünen, jedoch wurde von Wahl zu Wahl deutlicher, daß der Regierungspartner FDP noch weit von einer Konsolidierung über der Fünf-Prozent-

Marke entfernt ist. Obwohl die CDU im Rahmen des Normalen Stimmen abgeben mußte (jede Regierungspartei verliert bei Zwischenwahlen), mußte sie aber insgesamt sehen, daß die Wählerbasis Union-FDP weiter schrumpft.

Wo überall man hinhört, macht sich in der CDU Niedergeschlagenheit auf allen Ebenen breit. Selbst hochrangige Funktionäre der CDU in Nordrhein-Westfalen gaben in einem persönlichen Gespräch mit der FURCHE ihre Sorge wegen der bevorstehenden Landtagswahl im Frühjahr nächsten Jahres wieder, obwohl ja Parteifunktionäre die Eigenheit besitzen, drohende Niederlagen zumindest nach außen hin elegant zu kaschieren.

Wieso ist es zu diesem Tief gekommen, nachdem die Union im Oktober 1982 mit viel Schwung und Optimismus die Regierung übernommen hatte. Auf inhaltlichem Gebiet läßt sich das auf zwei Dinge reduzieren: • Viele innerhalb und außerhalb der CDU sind enttäuscht darüber, daß die Regierung vieles nicht eingehalten hat, was sie vor allem in der Endphase ihrer Oppositionszeit versprochen beziehungsweise gefordert hatte. Neben der Senkung der Arbeitslosenzahl war es unter anderem auch die Lehrstellengarantie, die Bundeskanzler Kohl zwar abgegeben hatte, jedoch unter den gegenwärtigen Umständen nicht einhalten konnte.

Doch nicht nur in rein äußerlich-wirtschaftlichen Dingen wurden viele Anhänger der CDU enttäuscht. Auch das, was von Helmut Kohl selber als „geistige Wende" angekündigt wurde, fand bisher nicht statt. • Andererseits aber sind viele konservativ-rechtsstehende CDU-Wähler von der Regierung deshalb enttäuscht, weil sie zum Beispiel praktisch ohne Kursänderung die Deutschland- beziehungsweise Ostpolitik der sozialliberalen Ära übernommen hat. Obwohl die Union in ihrer Oppositionszeit diese Politik zum Teil aufs heftigste bekämpft hatte, wurde sie von der Regierung offensichtlich aus realpolitischer Einsicht im großen und ganzen weitergeführt. Daß es daher auch zu nach außen hin sichtbaren Irritationen kommen mußte, zeigte der vorletzte Parteitag der CSU vor Sommerbeginn 1983.

Neben diesen beiden mehr inhaltlichen Punkten stellt sich in zunehmendem Maße auch die personelle Frage. Galt Helmut Kohl, der „schwarze Riese aus Mainz", früher als politisches Talent, der sich vom Funktionär der

Jungen Union bis zum CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler emporgearbeitet hatte, so verwelken in zunehmendem Maße die angesammelten Lorbeeren.

Einer der wichtigsten Angriffspunkte der Kritiker ist sein Führungsstil beziehungsweise die damit zusammenhängenden Pannen in der Regierungstätigkeit. Man wirft ihm vor, zu viel Gewicht auf Äußerlichkeiten zu legen und sich weniger um die harte tägliche Regierungsarbeit zu kümmern.

Seine Absicht, die Regierungsmitglieder sich profilieren zu lassen, führte jedoch zur Meinung, in der Regierung herrsche ein Durcheinander. Auch bei der Auswahl seiner engsten Mitarbeiter war Helmut Kohl nicht immer glücklich. Konkret wurde dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Waldemar Schreckenber-ger, vorgeworfen, an der mangelnden Koordination der Regierung schuld zu sein, die zu den genannten Pannen in letzter Zeit geführt hatten.

Insoferne bietet die Ernennung Schäubles zum Kanzleramtsminister die Gelegenheit, in Hinkunft die Dinge besser zu machen.

Insgesamt bietet sich der Zustand der Koalition in keinem günstigen Licht, wobei das nicht sosehr das Verdienst der Opposition (SPD, Grüne) ist. Die Regierung muß die verbleibende Zeit bis zu den nächsten Bundestagswahlen 1987 nutzen, um aus diesem Stimmungstief herauszukommen.

Spätestens nach den nächsten Landtagswahlen müssen personelle Konsequenzen gezogen werden, sollte es nicht gelingen, dabei ein Aufwärts zu signalisieren. Denn ansonsten besteht bei den nächsten Wahlen die Gefahr der Unregierbarkeit: Die CDU zwar stärkste Kraft, aber SPD und Grüne zusammen die Mehrheit, die FDP aus dem Bundestag. Vor diesem Szenario müßte die Union sich ihrer Verantwortung neu bewußt werden.

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