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DER SCHWEINESTALL GEHORT AUSGEMISTET

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Denkt man ans politische Italien, assoziiert man damit sofort einen Krisenkatalog. Ronald Reagan soll zu Beginn des Jahres 1985 den damaligen italienischen Regierungschef Bettino Craxi, gegen den momentan wegen Hehlerei, Korruption und Umgehung des Parteienfinanzierungsgesetzes ermittelt wird, bei dessen Besuch in Washington mit der Frage begrüßt haben: „Wie geht es Ihrer Krise?” „Danke, bestens”, soll Craxi geantwortet haben.

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Denkt man ans politische Italien, assoziiert man damit sofort einen Krisenkatalog. Ronald Reagan soll zu Beginn des Jahres 1985 den damaligen italienischen Regierungschef Bettino Craxi, gegen den momentan wegen Hehlerei, Korruption und Umgehung des Parteienfinanzierungsgesetzes ermittelt wird, bei dessen Besuch in Washington mit der Frage begrüßt haben: „Wie geht es Ihrer Krise?” „Danke, bestens”, soll Craxi geantwortet haben.

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Bis vor nicht allzu langer Zeit, wurde der italienische Polit-Zustand, die Dauerkrise, mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis genommen. Die Krise auf Dauer war nichts Außergewöhnliches. Eine relativ festgefügte Parteienlandschaft mit der Democra-zia Cristiana (DC) an der Spitze garantierte neben einem straffen Zentralismus, einer Ausrichtung auf Rom, jene demokratische Stabilität, die sogar die stärkste kommunistische Partei außerhalb der Warschauer-Pakt-Staaten aushalten konnte.

Die Parlamentswahlen vom 5. April 1992, bei denen die „Lega Nord” einen erdrutschartigen Erfolg erringen konnte (siehe Graphik Seite 10), haben ein neues, Bild von Italien gezeichnet. Ein Italien, das aus der festgefügten Parteienherrschaft auszubrechen gedenkt. Vetternwirtschaft ist momentan moralisch out. Der Bürger hat genug von der Verquickung von Verwaltung und Parteien. Politikverdros-senheitistParteienverdrossenheit. Der gegenwärtige Absturz der Christdemokraten und früher schon jener der Sozialisten (PSI) macht dies augenfällig. Die enorme Staatsverschuldung, die ineffiziente Verwaltung, die hoffähige Korruption, das massive Hinweinwirken von Mafia, Camorra und N'drangheta ins Wirtschaftsleben mit Schutzzöllen, das nicht nur wirtschaftliche Auseinanderdriften zwischen reichem Norden und armem Mezzogiorno führten zu einem moralischen Aufschrei.

Jedoch nicht eine antiautoritäre, anarchistische Alternative wird gewünscht, sondern eher autoritäre Führung. Man sehnt sich nach provinzieller Geborgenheit, schottet sich regional ab, ist unduldsam für alles und jeden, der nicht aus der eigenen Stadt oder Region kommt und nicht die eigenen nationalistischen Phobien teilt, wie dies Allessandro dal Lago, ein

Soziologe aus Bologna, im Jänner-Heft der „Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte” ausgedrückt hat. Für dal Lago äußert sich in der gegenwärtigen italienischen Gesellschaft eine tiefsitzende Sehnsucht nach rechts. Es geht darum - so ergänzt der in Rom lebende Publizist Rolf Uesseler in der Dezember-Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik” das Symptombild - , „die Arroganz der Macht seitens der Regierenden zu demolieren, den Saustall der zur par-titocrazia (Parteienherrschaft) verkommenen democrazica auszumisten”.

Wie will die junge politische Bewegung des italienischen Nordens des

Umberto Bossi dies erreichen? Uesseler: „Um ihren programmatischen Ecksätzen Föderalismus, Wirtschaftsliberalismus und Regionalismus näher zu kommen, hat die Lega ihre Kräfte auf zwei Ebenen konzentriert. Ihr erstes Ziel ist eine absolute Dezentralisierung und damit eine Neuverteilung der Macht. Der jetzige Zentralstaat soll in eine Konföderation dreier Bünde in Nord, Zentrum, Süd umgewandelt werden. Ihr zweites Ziel ist die völlige Privatisierung der gesamten Wirtschaft, und zwar nicht nur der Staatsbetriebe, sondern auch der öffentlichen Dienstleistungsbetriebe vom Verkehrs- bis zum Gesundheitswesen. Das besondere Augenmerk gilt den kleinen und mittleren Betrieben als dem .produktiven Rückgrat des Landes'.”

Es muß etwas geschehen angesichts des Versagens der partitocrazia, der Verfilzung von Parteien, Wirtschaft und Justiz, ist die Meinung vieler Italiener, die sich die Lega Nord zunutze macht. Alexander Langer, Bozener Grüner, seinerzeit FURCHE-Autor, hat vor kurzem über das Bestreben italienischer Städte geschrieben, Persönlichkeiten aus der Justiz kommunale Verantwortung zu übertragen, um dem Filz-Schlamassel zu entkommen. „War bisher die berufsständische Vertretung der Richter nach politischen Strömungen aufgegliedert, die sich mehr oder weniger nach dem politischen Spektrum orientierten, ist jetzt etwas Neues im Kommen: nicht mehr die Justiz im Dienste dieser oder jener Politik, sondern die Justiz als Politik schlechthin - und die Politik als Justiz. Das generelle Mißtrauen gegen die Parteien macht jeden Besen willkommen, der das große Aufräumen verheißt.”

Umberto Bossi verspricht das große Aufräumen, die Justiz zieht nach. Die jüngsten Aufdeckungen von Korruptionsfällen, denen jetzt „gnadenlos” nachgegangen wird, sind Ausdruck dieser Bestrebungen. Die Stunde des Protestes ist angesagt. Jene wollen das Sagen haben, die sich als produktiv und wirtschaftlich potent sehen - und es auch sind. Die industriell starke Lombardei will sich gegenüber dem Zentrum und Süden des Landes absetzen. Die spitze Bemerkung, daß zwischen Florenz und Rom Afrika beginne, Ausdruck einer gewissen Verachtung des Südens durch den Norden, hat eine reale politische Basis bekommen.

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