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Der Schwierige

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Politiker, konkret: österreichische Politiker galten lange Zeit als Spezies besonderer Art. Vielleicht mehr als anderswo war der österreichische Politiker ein Opfer des seichten Kabaretts, belächelter Spott für den „Herr Karl“, der sich über seinesgleichen in Parlament und Regierung gern mutig alterierte.

Und tatsächlich hat in Österreich das Repräsentationsprinzip lange Zeit (und etwa auch noch heute sehr stark in den Bundesländern) das sogenannte Eliteprinzip verdrängt. Der urige Landeshauptmann, der „über den Daumen“ Politik anpeilende Agrarier, auch der ehrgeizige Prolet mit Schlips im Parlament — sie alle sind durch sehr breit gefächerte Mitgliederparteien in Amt und Würden gelangt und repräsentieren jene Menschen, die sie eben in ihren Parteien ausgesucht haben. Eliteorganisationen, die den politischen Nachwuchs züchten oder Privilegien haben, quasi institutionell Funktionäre in den politischen1 Prozeß einzu-schleußen — die gibt es hier eigentlich nicht. Und deshalb hat der „Fachpolitiker“ — sprich Fachmann ohne Hausmacht — besonders in der Zweiten Republik lange Zeit gebraucht, sich durchzusetzen.

Einer der ersten, der ohne Hausmacht in die Politik berufen wurde, war der Ministerialrat im Unterrichtsministerium, Heinrich Drimmel. Und für eine ganz bestimmte Periode, nämlich das Ende der Koalition — wurde Heinrich Drimmel auch ein Prototyp.

Nun gibt es Fachleute, die nie Politiker wurden. Andere wurden hingegen politischer als Berufspolitiker, weil sie nicht die Scheuklappen des Apparats kennenlernen mußten. Oder vielleicht, weil der zoon Politiken sogar die gewisse Distanz voraussetzt, um an den Interessenausgleich (genannt Politik) mit anderem als nur egoistischem Kalkül heranzugehen.

Heinrich Drimmel wurde Unterrichtsminister, weil Julius Raab einen „Intellektuellen“ wollte und spürte, daß er in Drimmel den klassischen Fall eines politischen — wenngleich nicht unumgänglich parteipolitischen Menschen vorfand. Es war in jenen füraziger Jahren nicht alltäglich, daß ein Ministerialrat plötzlich zum Chef seiner eigenen Sektionschefs wurde. Julius Raab wagte — und wir dürfen ihm dankbar sein.

Nun legt Heinrich Drimmel, längst aus der Tagespolitik ausgeschieden, seine Erinnerungen vor. Sie spielen in mehreren „Häusern“; Häuser geben Schutz. Schutz auch vor Menschen. Und darüber schreibt dieser „Engagierte“. Aber was heißt schreiben?

Was uns hier vorliegt, äst zum ersten so völlig anders als das am Büchermarkt, was uns (nicht nur hier, sondern weltweit) an „Memoiren“ angeboten wird, zum zweiten ist es so sehr Literatur, und zwar österreichische Literatur im spezifischen sprach-vorgeprägten Sinn, daß das Politische fast schon Gefahr läuft, quasi nur der dünne Faden durch ein halbes Jahrhundert Menschenleben zu sein. Beschreibung von fünfzig Jahren Geschichte, Begegnungen mit Menschen, Selbsterkenntnisse als Selbstbekenntnisse. Und dazu Staatsphilosophisches, Politikwissenschaftliches, auch gelegentlich Journalistisches. Alles zusammen: eine — auch international gesehen — einmalige literarische Arbeit von höchstem Niveau, einzigartig und faszinierend. Eine Welt österreichischer Lebensschau, wie sie sich von Josef Roth über Robert Musil bis Heimito von Doderer darbietet. Es spielt schließlich so gar keine Rolle mehr, daß da ein wichtiger Politiker der Zweiten Republik, ein Minister, Autor ist.

Drimmel bietet in diesem Buch andere Kost als etwa in seinen „Zehn Reden wider den Geist“ oder auch an FURCHE-Artikeln. In einem Guß webt er in den „Häusern meines Lebens“ Erlebtes, Gehörtes, Gelerntes und Belebtes ineinander. Seine Wortspiele klettern gelegentlich in die spielerischen Höhen sprachlicher Arabesken, werden zum barocken Deckengemälde trivialer Zeiten und schwelgen in der verbalen Architektonik von Aussagen, die sich vom Subjektiven zum Objektiven erheben.

Drimmel freilich versteht sich selbst als Politiker. Das meint er, wäre auch seine Selbstdefinition. Freilich, ein schwieriger. Seinerzeit, mit Funktion, heute, ohne Mandat. Er sieht seine heutige Aufgabe im Aussprechen von Wahrheiten, Unbequemlichkeiten. Gelegentlich meint er auch, Julius Raabs Erbe deuten zu müssen; und damit das Erbe einer Generation, die vor 1938 lernte und Politik nur probierte, nach 1945 aber gestaltete.

Drimmel sammelt dabei seine Feinde. Und beschreibt sie auch genüßlich. Ja, fast hat es den Anschein, als hätte er geradezu ein Vergnügen, Gegner an allen Ecken und Enden zu sehen. Er will mißverstanden werden. '

Wer als (wenngleich junger) Beobachter der späten fünfziger und sechziger Jahre Heinrich Drimmel kennenlernen konnte, der wußte freilich auch um die große Anhängerschaft, die Heinrich Drimmel besaß. Da war die zu einem neuen Selbstverständnis gewordene unabhängige Presse: wie viele schätzen, ja verehren Heinrich Drimmel als ganz Außergewöhnlichen der Zweiten Republik auch heute noch? Sind sie alle Hek-kenschützen, die dem Koalitionsanwalt partout weg haben wollten? Oder seine Parteifreunde! Wie viele sind da nach wie vor überzeugt, daß in Drimmel auch mehr kommunalpolitisches Potential steckte, als in der aus einer Fülle von Umständen resultierenden Niederlage in der Landtagswahl von 1969 zum Ausdruck kam? Oder auch jene im Kulturbetrieb, die noch heute zurückseufzen: „Ach, was war das für eine Kulturverwaltung, unter dem Drimmel!“

Und schließlich sind da auch die Schleusenwärter einer „Marx-Renaissance“; sie, die Drimmel als sogenannte Kybernetiker und Technokraten der Jungen Generation in den Referenten der ÖVP-Bundespar-teileitung in der Kärntnerstraße, in der Hochschülerschaft und im CV ausmacht: unter ihnen — und der Schreiber dieser Zeilen weiß sich da ganz sicher — waren mehr Drim-mel-Verehrer als Drimmel-Gegner. Aber sie waren (und sind) nun einmal jung und können nicht blind vor der Tatsache sein, daß erstens die religiöse Krise, die Krise der Kirche, und zweitens die Krise etablierter schwarzer Regierungsestablishments in so vielen Bereichen einfach nicht zu übersehen war und ist. Wer sich mit der Neuen Linken auseinandersetzen muß p— und das mußten die jungen CVer und Hochschülerschafts-funktionäre — der konnte nicht zum Rundum-Verteidlger eines Alt-Herren-Systems werden, da ja in der Verwaltung von Staat und Gesellschaft selbst kopflos geworden war.

Heinrich Drimmel mag eine Genugtuung empfinden. Er hat Recht behalten. In vielem. Nur seine gewollte Einzelkämpferposition hat ihn vielen seiner Freunde entfremdet. Aber er freut sich ja, wenn er schreibt, daß es seine Freunde mit ihm schwer haben. Sie haben es.

Heinrich Drimmel ist durchaus „in“ und nicht „out“. Nach neun Jahren Fixation auf ein System der Alleinregierung, nach viel Lob für das „englische System“ und nach dem Abstand zu den tristen Erfahrungen am Ende der Koalitionszeit ist Drimmels Partei heute mehr denn je auf seiner Denkschiene nachgefahren. Man ist als staatspolitisches Credo wieder dort, wo man am Kla-genfurter Parteitag 1964 war. Bei einem B'ekenntnis, daß ein neutraler Kleinstaat in exponierter Lage und in wirtschaftlichen Strudeln kein Diktat von 51 Prozent aushält.

Viele kommen heute darauf, nachdem sie Heinrich Drimmel, den Koalitionsfanatiker schon fast vergessen hatten. Aber sie kommen.

DIE HÄUSER MEINES LEBENS, Von Heinrich Drimmel, Amalthea-Verlag, 445 Seiten.

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