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Der Seelsorger ist unentbehrlich

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„Krisenintervention in der Psychiatrie“ — mit diesem Thema hat das Donausymposium für Psychiatrie Ende September erstmals nicht eine bestimmte Erkrankung zum Thema gewählt, sondern kritische Zustände und psycho-soziale Störungen, die — wenn sie akut auftreten — als Krise bezeichnet werden. Bei der Behandlung von Krisen ist man neue Wege gegangen: Man bezieht bei der Behandlung die Umwelt des „Kranken“ mit ein. Ein Team von Ärzten, Sozialarbeitern und Laienhelfern versucht Hilfe dort zu geben, wo die Krise aufgetreten ist, in dem vertrauten Milieu des Betroffenen. Hier darf der Priester nicht fehlen. Klinikseelsorger Clemens M. Novak berichtete vor dem Donausymposium über seine Erfahrungen:

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„Krisenintervention in der Psychiatrie“ — mit diesem Thema hat das Donausymposium für Psychiatrie Ende September erstmals nicht eine bestimmte Erkrankung zum Thema gewählt, sondern kritische Zustände und psycho-soziale Störungen, die — wenn sie akut auftreten — als Krise bezeichnet werden. Bei der Behandlung von Krisen ist man neue Wege gegangen: Man bezieht bei der Behandlung die Umwelt des „Kranken“ mit ein. Ein Team von Ärzten, Sozialarbeitern und Laienhelfern versucht Hilfe dort zu geben, wo die Krise aufgetreten ist, in dem vertrauten Milieu des Betroffenen. Hier darf der Priester nicht fehlen. Klinikseelsorger Clemens M. Novak berichtete vor dem Donausymposium über seine Erfahrungen:

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„Es braucht nicht nachgewiesen zu werden, daß die Kirchen sich seit ihrer Gründung auch mit Menschen befassen, die in Krisen geraten sind. Lange Zeit hindurch war es einfach der Priester alleine, den man in solchen Krisensituationen aufsuchte und um seinen Rat bat. Auch heute noch ist der Priester mit Lehrern, Sozialarbeitern und Hausärzten einer der am meisten Aufgesuchten in der Krisenintervention. Freilich gestattet ihm die Vielschichtigkeit der Probleme nicht, sie allein ausreichend zu lösen.

Es war bahnbrechend, daß Professor Hans Hoff an der Psychiatrisch-Neuralagischen Klinik der Universität Wien bereits 1958 die Notwendigkeit eines eigenen Seelsorgers erkannte. Auf seinen Wunsch hin wurde ein Priester von Kardinal König zur Klinikseelsorge bestimmt.

Die Patienten, die er zu betreuen hat, kommen entweder spontan oder werden überwiesen. Diejenigen, die spontan zum Priester kommen, wollen ihre Probleme eher einem Seelsorger anvertrauen als einem Arzt, — in der Meinung, es sei eben eine rein .seelische Angelegenheit“, die keineswegs etwas mit der Psychiatrie zu tun habe. Gerade dabei ist hervorzuheben, wie wichtig profunde psychiatrische Kenntnisse des Seelsorgers sind, denn wenn es sich um eine psychische Erkrankung handelt, kann es bei solchen Patienten meist nur dem Seelsorger gelingen, die Brücke zum Psychiater zu schlagen und die Wege dahin zu ebnen.

Es ist für den Seelsorger insofern leichter, den Patienten dazu zu bewegen, da er als Priester eher als neutral angesehen wird, oft von vornherein als Vertrauensperson. Dieses Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird, muß er freilich rechtfertigen. Das gelangt vor allem durch das Gespräch, das besonders von geduldigem Zuhören und Verständnis geprägt sein muß.

Die Fragen, die zum Teil explora-tiv, aber doch nicht in einer Exploration gestellt werden, müssen so gehalten sein, daß dem Patienten klar wird, mit einem Priester zu sprechen, der zugleich von der Psychiatrie und der Technik der Krisenintervention etwas versteht.

Da es sich durchaus nicht immer um religiöse Probleme handelt, ist es keineswegs angezeigt, mit frommen Antworten oder Bibelsprüchen den Patienten abzuspeisen oder gar einzuschüchtern und ihm damit endgültige Antworten aufzuzwingen, sondern man wird sich bemühen müssen, mit diesem Menschen ein Stück des Weges zu gehen, um ihm einen Ausweg finden zu helfen. Dieser besteht oft in einer psychiatrischen Behandlung.

Wesentlich hiefür ist die gute Teamarbeit in einer Klinik oder Kri-seninterventonsstelle, in die der Seelsorger voll integriert ist. So nur kann eine wechselseitige Inanspruchnahme psychiatrischer oder seelsorglicher und anderer Hilfen für den Patienten fruchtbringend sein.

Die andere Gruppe von Patienten nimmt die Dienste des Seelsorgers an, nachdem vom Psychiater ein religiöses Problem afls krisenauslösend erkannt worden ist. So kommt es zu einer Art Überweisung vom Psychiater zum Seelsorger. Auch bei diesen Patienten gilt das über das Gespräch früher Gesagte.

Bei einem Interventionsgespräch kann der Priester als Träger eines kirchlichen Amtes noch eine zusätzliche Hilfe anbieten — sie ergibt sich häufig von selbst: das Sakrament der Buße, die Beichte. Freilich nicht in der alten Form des Sündenauf-zählens im Beichtstuhl, sondern im Rahmen eines Gespräches, worin die Negativa, vor allem alber auch die Positiva dargelegt werden, um den ganzen Menschen zu sehen, Motivationen beachtet und Umstände einbezogen sind, angstabbauend und befreiend. Durch die kirchliche Absolution erfährt der Patient die entlastende Wirkung dieses Beichtgespräches. Ein psychologischer Faktor von eminenter Bedeutung, der neben dem sakramentalen Vollzug nicht übersehen werden darf.

Psychiater und Seelsorger sind bemüht, eine klare Trennung au ziehen, doch wird es immer wieder zu einem psychiatrischen Arbeiten des Seelsorgers und einer seelsorglichen Tätigkeit des Psychiaters kommen. Wesentlich scheint das Erkennen der abgesteckten und eigenen Grenzen, um nicht einer .ärztlichen Seelsorge' zu verfallen, sondern zu einem echten Teamwork zwischen Psychiater urtd Priester zu kommen.

Vorbedingung ist für die Seelsorge eine fundierte Kenntnis nicht nur der Psychiatrie sondern besonders der Prinzipien der Krisenintervention. Hier ist sicherlich noch viel im Rahmen der Priesterauabilidung und -bildung zu tun. Anderseits wäre es wünschenswert, daß die in der Psychiatrie Tätigen einen tieferen Einblick und ein emotionsfreieres Wissen über theologische Fragen und Themen besäßen.“

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