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Der Seiltanz der DC

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Wir besitzen noch nicht den zeitlichen Abstand, um 1976 mit Fug und Recht als Schicksalsjahr Italiens bezeichnen ‘ zu können. Einerseits hat sich zwar sehr viel ereignet, das die. Zukunft maßgebend bestimmen und Geschichte machen könnte, anderseits sind gerade im Sommer 1976 durch den Ausgang der vorgezogenen Parlamentswahlen manche linke Hoffnungen auf eine totale Umwälzung und einen Regimewechsel betrogen worden. Die besonders von den Linkssozialisten propagierte Alternative einer Ablösung der diesjährigen christ- demokratischen Vorherrschaft konnte nicht verwirklicht werden. Einmal mehr ist die Democrazia Cri- stiana mit einem nahezu vierzigprozentigen Rückhalt in der Wählerschaft als weitaus stärkste Partei aus einem maßgeblichen Urnengang hervorgegangen. So hat also nicht KPI-Chef Berlinguer, sondern Giulio Andreotti vom Staatspräsidenten den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Für viele Ausländer und nicht wenige Italiener ist damit alles beim alten geblieben.

Zwei Bedenken sind gegenüber dem. Erfolg der Democrazia Cristiana bei den Parlamentswahlen vom 20. Juni am Platze, Erstens ist er um einen Ungeheuern Preis, und zweitens unter besonderen Bedingungen zustande gekommen. Die Christdemokraten haben lediglich auf Kosten ihrer alten Bündnispartner - der Liberalen, Sozialdemokraten, Republikaner und vor allem auch der Neofaschisten - die Scharte der Regionalwahlen von 1975 ausgewetzt. Er ist ihnen, den anderen Parteien der Mitte und auch dem Movimento Sociale Italiano nicht gelungen, den Vormarsch der Sichel- und Hammerparteien, KPI, Linkssozialisten und Linkskommunisten, aufzuhalten. Diese haben jetzt 47 Prozent des Elektrorats hinter sich. Die „Zentrumsparteien“ - DC, Sozialdemokraten, Republikaner und Liberale -, die in den fünfziger Jahren noch 62 Prozent der Stimmen für sich gewinnen und somit das politische Wetter in Italien machen konnten, sind zum ersten Mal in der Nachrkiegszeit unter die entscheidende 50-Prozent-Grenze gerutscht. Damit stehen heute zwei große Blöcke - der Links- und der Zentrumsblock - mit je weniger als 50 Prozent der Wählerschaft im Rücken einander gegenüber. Das Zünglein an der Waage wären die Neofaschisten, mit denen weder KPI noch DC etwas zu tun haben wollen. Das Kabinett

Andreotti besitzt also kein Vertrauen im Parlament, sondern nur ein „Nicht-Mißtrauen“. Der Ministerpräsident vermag bestenfalls geschickt zu reagieren, keineswegs aber wirklich zu regieren. Von einer christdemokratischen Vorherrschaft kann in Italien keine Rede mehr sein.

Das Ausmaß direkter und indirekter kommunistische Beeinflussung, oder einer bereits stattgefundenen Machtergreifung wird je nach Sachgebiet verschieden hoch veranschlagt. Bei konfessionellen Fragen, wie etwa der Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches und der Konkordatsrevision, befinden sich die Democrazia C ristiana und - hinter ihr - die katholische Kirche völlig in der Defensive. Die verlorene Schlacht um die Abschaffung der Ehescheidung kommt die DC sehr teuer zu stehen. Der „erweiterte Laienblock“ sämtlicher konfessionell nicht gebundener Parteien von den Kommunisten über die Sozialisten bis zu den Liberalen hat jetzt schon eine komfortable Mehrheit hinter sich. Unter solchen Vorzeichen werden es die Christdemokraten kaum zu einer Abstimmung über die Abtreibung kommen lassen und möglicherweise durch indirekte Unterstützung - Duldung oder passiven Widerstand - ein entsprechendes Gesetz die Hürden des Parlaments passieren lassen. Auch bei der jetzt zur Debatte stehenden Konkordatsrevision dürften weder die Führung der Democrazia Cristiana noch der Vatikan einen Standpunkt auf Biegen und Brechen beziehen.

Weiterhin könnten zwar der Heilige Stuhl und sein verlängerter weltlicher Arm mit einer wohlwollenden Haltung der KPI in allen konfessionellen Fragen rechnen. Hat doch die kommunistische Sprecherin Nilde Jotti, die Lebensgefährtin Togliattis, einmal mehr im Parlament erklärt: „Das Land hat bereits zu viele Probleme, als daß es sich noch einen Religions- oder gar einen Bürgerkrieg leisten könnte.“ Wie lange die KPI aber der DC in diesen Dingen noch zu Diensten steht, kann niemand wissen. Die Vermutung liegt nahe, daß die Kommunisten, einmal wirklich und nicht nur hinterrücks an der Macht, sich um die Fixpunkte der Christdemokraten nicht mehr sonderlich kümmern werden.

Vorderhand ist die KPI-Politik noch auf dem Programmpunkt des historischen Kompromisses, auf. eine Zusammenarbeit mit der DC auf Regierungsebene also, eingeschworen. Diese Duldung des Vatikans und seiner Interessen hatte bereits Gram- sci, einer der KPI-Gründer in den zwanziger Jahren und später auch Palmiro Togliatti, sein Nachfolger in der „Straße der Dunklen Geschäfte“, zum Postulat erhoben. Sollten nach den achten Parlamentswahlen - die vielleicht schon 1977 stattfinden werden - die Kommunisten, Linkssozialisten und Linkskommunisten die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen, so dürften sie kaum mehr besondere Rücksicht auf die katholischen Belange nehmen. Der Heilige Stuhl hat also ein Interesse daran, die Konkordatsrevision unter Dach zu bringen, solange er noch wenigstens mit der wohlwollenden Kritik und geheimen Unterstützung der Kommunisten rechnen kann und solange die KPI ihrerseits die Wahrung des Religionsfriedens als unverrückbaren Fixpunkt der Innenpolitik betrachtet.

In allen anderh Belangen lastet auf der Interessenwahrung der bisherigen Regierungsparteien keine derart problematische Hypothek. Was die Wirtschaft betrifft, so vertreten die „Laienparteien“, besonders Kommunisten und Liberale, aber auch die Linkssozialisten, gegenüber den Sozialdemokraten, weiterhin entgegengesetzte Standpunkte. In dieser Hinsicht kann die Democrazia Cristiana ihre hergebrachte Rolle als ausgleichende Zentrumspartei spielen und ihren Seiltanz über den Abgründen der Extreme fortsetzen. Bevor das Kabinett entscheidet, beachtet es die Ansichten der parlamentarischen Kommissionen, Wirtschaftszentralen und Arbeitgeberverbänden nur dort, wo es wirklich nicht mehr anders geht und alles Schwatzen nur noch wirtschaftsschädigende Auswirkungen zeitigt.

Einen Schwarzen Peter nach dem andern schiebt Andreotti den drei Linksgewerkschaften -und den Arbeitgeberverbänden zu. Daß bei einer Arbeitslosenziffer von 1,5 Millionen, bei 20 Prozent Inflation und einer gigantischen Verschuldung von mindestens 17.000 Milliarden Lire der Teue- rungsaus gleich nicht in vollem Umfang füralleBerufskategorien gewährleistet werden kann, ist ein nationalökonomischer Gemeinplatz, dessen Beachtung die Regierung bei den prekären Mehrheitsverhältnissen nicht selber durchsetzen kann und will. Besser ist es für sie, wenn andere ihn gegen ihr eigenes Interesse berücksichtigen müssen.

Mit ihrer „Je schlechter, desto besser“-Politik haben die Kommunisten 30 Jahre lang aus den Mißständen in Italien Kapital geschlagen und dabei immer mehr Wähler und immer mehr Sympathien für sich gewinnen können. Seit ihrer indirekten Aufnahme in die Regierungskoalition kann die KPI jedoch immer weniger im trüben fischen und wird immer mehr von ihren eigenen Leuten für alle Übel verantwortlich gemacht. Daß sich in dieser unbequemen Lage der KPI-Führung eine große Nervosität bemächtigt hat, ist alles andere denn verwunderlich. Sie könnte sie verleiten, die Geduld zu verlieren und Kurzschlußhandlungen zu setzen, die ein sorgsam aufgebautes Kartenhaus über Nacht zum Einsturz bringen würden. Dies bereitet hüben und drüben große Sorge an der Schwelle dieses neuen Jahres, das für Italien und die freie Welt ein entscheidendes werden könnte.

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