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Der Shakespeare Konig

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Während die USA als Weltmacht immer mehr in Außenminister Henry Kissinger denn in ihrem Präsidenten personifiziert erscheinen und das wirtschaftspolitische Management des Landes in einer kritischen Phase der gesamten Weltwirtschaft die ihm richtig erscheinenden Entscheidungen trifft, hat sich der Präsident verkrochen, eingeriegelt, eihgeigelt. Neue Entscheidungsstrukturen bilden sich heraus, ein Regierungsstil unter Umgehung des Weißen Hauses, dessen Insasse von Woche zu Woche mehr einem shakespeareschen König im letzten Akt ähnelt.

Die Stunde der Wahrheit rückt unaufhaltsam näher — nicht einmal die Nixon wohlgesinnten Beobachter halten es noch für wahrscheinlich, daß ihm das Impeaebmen't-Verfahren erspart bleiben wird. Denn die Causa Nixon geriet in letzter Zeit in ein Stadium, in dem in angelsächsischen Ländern persönliche Treue, Partei-loyalität, ideologische Identifizierungen und politische Erwägungen ihre Bedeutung verlieren. Wer in den Gebräuchen und Wertvorstellungen kontinentaleuropäischer Demokratien aufgewachsen ist, kann sich schwerlich vorstellen, mit welcher Gewalt sich Vorwürfe gegen die moralische Integrität angelsächsischer Politiker verselbständigen und welche Wucht sie gewinnen. Während es in den meisten Ländern des Kontinents der öffentlichen Meinung als ziemlich selbstverständlich gilt, daß ein Spitzenpolitiker Untergebene deckt und Lügen in einer solchen Sache als läßliche Sünde angesehen werden, kann im puritanisch geprägten Amerika mit seiner kal-vinistischen Moral ein Präsident halbe Erdteile mit Krieg überziehen und solche Kriege jahrelang weiterführen, wenn die ganze Nation ihre Aussichtslosigkeit erkannt hat, er kann, und der Beispiele gibt es von Johnsons konstruiertem Zwischenfall im Golf von Tongking bis zu Nixons geschickter Politik persönlicher Machtausweitung viele, ungestraft so manches tun — aber wenn er die ameril: mische Nation, seinen Souverän, belügt, dann hört sich die Freundschaft auf.

Und wenn es hundertmal stimmt, daß sich Nixon mit einer der gefährlichsten Mächte Amerikas, der Presse, überworfen hat und der Presse seine heutige Situation verdankt, und wenn es hundertmal stimmt, daß hinter dem Watergate-Mißbehagen das viel größere Unbehagen angesichts der unaufhaltsam weiterwachsenden imperialen Ä lacht fülle des Präsidenten steht — Nixons Lindenblatt, sein empfindlichster Punkt, war die persönliche Integrität und hier wiederum wiegt die Wahrheitsliebe dem Souverän, dem amerikanischen Volk gegenüber^ am schwersten.

Schwerer als alle Steueraffären, alle Grundstücktransaktionen, alle ITT-Interventionsgerüchte fällt gegen Nixon seine Verstrickung in ein Netz von Unwahrheiten ins Gewicht, aber auch sein Verhalten gegenüber den Richtern, in denen der Amerikaner sozusagen seine letzten Helden sieht. Ein kleiner Richter gegen den mächtigsten Mann der Erde — nirgends auf der Welt hat der kleine Richter solche Chancen, den Kampf zu gewinnen. Im Falle Nixon dreht sich nun alles um ein Tonband, an dem manipuliert wurde. Das ist sein sprichwörtlicher silberner Löffel.

Nixons politische Karriere ist mit dem Auslaufen seiner Präsidentschaft auf jeden Fall zu Ende — allein die Einleitung des Impeach-ment-Verfahrens, wie immer es auch ausgehen mag, würde alle positiv zu bewertenden außenpolitischen Entscheidungen Nixons in den Augen Amerikas für lange Zeit verdunkeln. Es wäre keineswegs erstaunlich, würde Nixons eigene Partei den machtgierigen und glücklosen Mann, der in die Fallgruben seines eigenen Charakters gestolpert ist, demnächst fallenlassen wie eine heiße Kartoffel, um sich die Chancen in den nächsten Senatswahlen zu verbessern. Der Riß geht durch beide Parteien. Für wie wider Nixon stehen Demokraten und Republikaner.

Dabei wäre es für Amerika weniger eine Hoffnung als eine Gefahr, daß ein neuer, persönlich integrer Präsident gleich einem weißgewaschenen Phönix aus der Asche eines schwerstens diskreditierten, angeschlagenen Amtes emporsteigt und alles wieder so aufbaut, wie es war — womöglich noch schöner,noch größer, noch strahlender. Sprich: Mit noch größerer Machtausstattung. Amerika braucht heute genau das Gegenteil: Eine Phase, in der überdacht und sowohl in den gesetzgebenden Körperschaften wie> auch in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, welche Funktionen und welche Machtfülle ein amerikanischer Präsident eigentlich haben soll, haben darf, haben kann, ohne daß alle zum Mißbrauch drängenden Kräfte die Übermacht gewinnen müssen. Die wahrhaft kaiserliche Machtfülle des amerikanischen Präsidenten war auf die übersichtlichen Verhältnisse einer agrarischen Gesellschaft mit schmaler Oberschicht zugeschnitten, nicht auf die einer Industriegesellschaft mit immer weiter wuchernden Bereichen, in die ein Einblick überhaupt nicht mehr möglich ist.

Ein abgesetzter oder zurücktretender Nixon würde zweifellos Amerika^ tiefer puritanischer gehnsucht nach mystifazierter und glorifizierter

Sauberkeit zutiefst entsprechen. Amerika sollte sich aber fragen, ob es möglich sein wird, unter einem neuen, strahlendweißen Superman über eine Beschneidung und Neureglementierung der Präsidentenmacht überhaupt noch zu reden. Ob nicht ein kleiner, häßlicher Nixon der bessere Mann für ein solches Geschäft wäre.

Vorausgesetzt, er erkennt selbst hier seine historische, kaum wiederkehrende Chance als Liquidator im demokratiegefährdenden Machtwildwuchs oder man macht ihm diese Aufgabe notfalls mit Nachdruck schmackhaft.

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