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Der Sieg im Talon

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Verfolgt man die Bundespräsidentenwahlen der Zweiten Republik zurück, so sind die von der ÖVP nominierten oder unterstützten Kandidaten weniger daran gescheitert, daß die sozialistischen Bewerber gar so attraktiv für bürgerliche Wähler gewesen wären, sondern daran, daß es der ÖVP und ihren Kandidaten nicht gelungen ist, das nichtsozialistische Lager auf einen Nenner zu bringen.

Kurt Waldheim ist das am 4. Mai gelungen. Nur um die Haaresbreite von 16.746 Stimmen hat er den Sieg verfehlt, nicht den Erfolg im ersten Wahlgang.

Er hat mit einem Stimmenanteil von 49,64 Prozent den sozialistischen Mitbewerber Kurt Steyrer um sechs Prozent klar distanziert.

Er hat — wie in Wählerstromanalysen nachzuvollziehen versucht wurde - weit über das ÖVP-Wählerpotential hinaus gepunktet. Rund jeder zehnte SPÖ-Wäh-ler der Nationalratswahlen 1983 und jeder dritte FPÖ-Wähler vor drei Jahren haben für ihn votiert.

Dazu haben mehrere Faktoren beigetragen, darunter sicher auch die Angriffe auf Kurt Waldheim im Zusammenhang mit seiner Kriegsdienstzeit.

Schlichter Unsinn sind aber die nationalen und internationalen Deutungsversuche, Waldheims Erfolg schlechterdings mit einer NS-Nostalgie und mit Antisemitismus erklären zu wollen.

Uninf ormiert oder böswillig die Ausgangslage leugnen, den Umstand übersehen, daß Waldheim schon 1971 - vor seiner Zeit als UN-Generalsekretär - gegen den amtierenden Bundespräsidenten Franz Jonas einen Stimmenanteil von 47,22 Prozent erreichte, den laufenden Vertrauensverlust der SPÖ, der auch auf den von ihr gestellten Präsidentschaftskandidaten durchschlagen muß, ausklammern, letztlich auch noch die Auflösungserscheinungen der FPÖ überspringen: Da sind ressentimentgeladene Simplifizierer am Werk.

Nicht in unserer Vergangenheit, sondern in unserer österreichischen Gegenwart liegt die Hauptursache für das schlechte Abschneiden Kurt Steyrers im allgemeinen, speziell aber in den SPÖ-Hochburgen. Das ist die Rechnung für eine Regierungspolitik, die er mitgetragen und mitzuver-antworten hat.

Und da hofft die SPÖ, bei der Stichwahl einen Stich zu machen? Weil die Karten neu gemischt werden?

Die Karten zum Sieg liegen für Kurt Waldheim im Talon, auch wenn sich die SPÖ damit tröstet, daß es ihr schon 1951 einmal gelungen ist, den Spieß umzudrehen. Allerdings lag damals Theodor Körner im ersten Wahlgang nur um ein Prozent hinter Heinrich Gleißner, heute hat Kurt Steyrer um sechs Prozent das Nachsehen.

Die SPÖ wird freilich nichts unversucht lassen, die Niederlage abzuwenden. Deshalb stehen Kurt Waldheim bis zur Stichwahl harte Zeiten bevor. Deshalb wird die große Regierungspartei unter keinen Umständen bereit sein, den zweiten Wahlgang vom 8. Juni auch nur um einen Tag vorzuverlegen.

Aber dafür zeigte der SPÖ-Vor-sitzende Fred Sinowatz am Tag nach der ersten Wahl Bereitschaft, bis zum Muttertag Wahlkampfpause zu machen. Die „Zeit im Bild“ war kaum vorbei, flimmerte auch schon — wie zum Hohn - die nächste SPÖ-Belang-sendung zum Präsidentenwahlkampf über den Schirm. Die Botschaft für Kurt Steyrer: Beim zweiten Wahlgang gegen einen Kandidaten wählen! Denn „ich möcht“ mich nicht genieren, wenn ich ins Ausland fahr“' (Originalton).

Ungeniert findet da ein Wahlkampf seine Fortsetzung, der Steyrer sicher nicht nützt, aber mit Sicherheit dem Land schadet. In dem selbsternannte Propheten orakeln, ohne Scheu, Redaktionsstuben mit Regierungszentralen gleichzusetzen.

Woher nur nimmt etwa ein Peter Michael Lingens seine Gewißheit, ein Bundespräsident Waldheim „wird in den USA (oder Kanada oder Holland) sicher nicht empfangen und in kein anderes Land, mit Ausnahme der Bundesrepublik, eingeladen werden“?

Dubiose Schwarzmalerei. Das ist der Stoff, aus dem die SPÖ-Träume für den 8. Juni sind. Transparent gewebt.

Kurt Steyrer könnte sein Ergebnis verbessern, würde er sich von der SPÖ emanzipieren. Würde er jetzt tun, was er für den Fall eines Erfolges für später in Aussicht genommen hat: „Den Ton, der jetzt in der Politik herrscht, würd' ich mir als Bundespräsident nicht gefallen lassen.“

Und Kurt Waldheim darf sich -nach diesem großen ersten Vertrauensvotum — nicht begnügen, über die Anti-Waldheim-Kampagne die Nase zu rümpfen. Man muß von ihm jetzt schon den Beginn der Versöhnungsarbeit erwarten (siehe dazu Seite 2), die der nächste Bundespräsident im Interesse Österreichs zu leisten hat.

Vielleicht überzeugt das dann auch einige jener Wähler, die Fre-da Blau-Meissner am 4. Mai die Proteststimme für einen respektablen Achtungserfolg gegeben haben. Vielleicht auch solche Bürger, die im ersten Wahlgang zu zehn Prozent auf ihr demokratisches Wahlrecht verzichtet haben. Und wenn das Otto Scrinzis Häuflein der Ewiggestrigen irritieren sollte, soll's auch recht sein. Das erst recht.

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