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Der Sieger aus dem Hotel Lux

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Die kroatischen Kontingente der jugoslawischen Armee, aber auch andere nichtserbische Truppenteile hatten den Heeren der Achse während des Balkanfeldzuges im April 1941 kaum Widerstand geleistet. Die Ustascha regierte in Agram bereits zwei Tage vor dem Einmarsch der Deutschen und nahm die grausame Verfolgung aller Andersgesinnten, insbesondere der serbischen Minoritäten und der Juden, auf. Die Reichsregierung griff, wohl von einflußreichen Parteileuten in der Steiermark und in Kärnten beeinflußt, nach Slowenien und teilte dieses zwischen Deutschland und Italien auf. Größere Aussiedlungs- und Germanisie-rungsaktionen schufen dort bereits 1941 Unruheherde, die auf Kärntner Gebiet übergriffen und zu vielen Todesurteilen, Verschickungen in Konzentrationslager und Einkerkerungen führten.

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Die kroatischen Kontingente der jugoslawischen Armee, aber auch andere nichtserbische Truppenteile hatten den Heeren der Achse während des Balkanfeldzuges im April 1941 kaum Widerstand geleistet. Die Ustascha regierte in Agram bereits zwei Tage vor dem Einmarsch der Deutschen und nahm die grausame Verfolgung aller Andersgesinnten, insbesondere der serbischen Minoritäten und der Juden, auf. Die Reichsregierung griff, wohl von einflußreichen Parteileuten in der Steiermark und in Kärnten beeinflußt, nach Slowenien und teilte dieses zwischen Deutschland und Italien auf. Größere Aussiedlungs- und Germanisie-rungsaktionen schufen dort bereits 1941 Unruheherde, die auf Kärntner Gebiet übergriffen und zu vielen Todesurteilen, Verschickungen in Konzentrationslager und Einkerkerungen führten.

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Montenegro fiel an Italien, das auch damit dynastische Überlegungen anstellte, der Großteil der Vojvodina kam an Ungarn, Mazedonien behielten die Bulgaren, und die Region Kosovo mit ihrer meist albanischen Bevölkerung wurde Albanien zugeschlagen, dessen König bekanntlich bereits der Souverän Italiens in Personalunion war. Serbien selbst wurde verkleinert. In diesem Rest des alten Jugoslawien kam es bald zu großen Judenverfolgungen und Geiselerschießungen, da die Waffenruhe nicht eingehalten wurde. Im Gegenteil: der Beginn der deutschen Offensive gegen Rußland und die damit in Zusammenhang stehende Verminderung der Wehrmacht im serbischen Raum erlaubte eine Erhebung königstreuer Kräfte, welche die Deutschen im Lande und die Italiener in Montenegro gegen Ende des Sommers 1941 auf eine Kette von Stützpunkten zurückdrängten. An der Spitze der Empörer stand der Generalstabsoberst Draza Mihajlovic, der die Kapitulation der serbischen Armee nie anerkannt und im Mai 1941 ein diesbezügliches Manifest erlassen hatte. Mihajlovic fühlte sich als Befehlfsempfänger des ' nach England geflüchteten Königs Peter und seines Kabinetts, das den Oberst weiter unterstützte. Die reaktivierten Truppenteile und Insurgenten des Mihajlovi6 waren so eng mit dem jahrhundertealten Bund der Cetniks liiert, daß sie bald allgemein mit der Bezeichnung Cetniki bedacht wurden. Dies sollte sich als verhängnisvoll erweisen, da es den Deutschen gelang, die Cetnik-Organisation zu einer gewissen Loyalität zu bringen und einige serbische Militärs zur Mitarbeit bei der Zivilverwaltung in Belgrad zu veranlassen. Mihajlovic verhandelte nach allen Seiten, auch mit einer neuen, kommunistischen Bandengruppe unter Tito, die sich solange still verhalten hatte, bis nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion seitens der Komintern der Aufruf zum Losschlagen gegen die Achsenmächte erfolgt war.

Die Deutschen hatten mittlerweile Verstärkungen ins Tal der Morawa gezogen und waren zur Gegenaktion übergegangen. Tito, mit dem Mihajlovic zweimal zusammentraf, sprach sich für die Fortsetzung des Widerstandes ohne Rücksicht auf etwaige Folgen für die Zivilbevölkerung aus. Mihajlovic aber wollte größere Rücksicht üben, seine Streitkräfte vor einer Niederlage bewahren und daher nur bei günstigen Bedingungen wieder einsetzen. Gegen Jahresende standen Tito und der Oberst einander bereits als Feinde gegenüber, das blutige Treffen bei Kraljewo brachte den endgültigen Bruch zwischen beiden Organisationen.

Die Deutschen beobachteten diese Entwicklung genau und trauten sich, die kommunistischen Überfälle mit dem fürchterlichen Massaker in Kragujevac zu beantworten, dem 5000 Menschen, darunter Hunderte von Schulkindern, zum Opfer gefallen sein dürften. Die serbische Öffentlichkeit wandte sich hierauf strikte gegen die Partisanentätigkeit Titos, weil man derlei Leiden nicht mehr auszuhalten vermeinte. Mihajlovic ging zu engeren Kontakten mit der serbischen Verwaltung in Belgrad über und Tito trat mit seinen Leuten den Rückzug in die Berge von Ostbosnien und Montenegro an.

Die Begeisterung in Kroatien für die Befreiung vom serbischen Joch und für das Ustascharegime klang mittlerweile langsam ab, nachdem vieles anders gekommen war, als man erwartet hatte. Das mittelalterliche Groß-Kroatien konnte nicht wieder erweckt werden, da die Italiener Dalmatien behalten wollten. Wohl vermochte der offizielle Machthaber und Poglavnik (Führer), Doktor Pavelic, das italienische Königshaus davon zu überzeugen, daß die Anwesenheit eines savoyischen Thronprätendenten in Agram auf die Dauer nicht tragbar sei. Auch der Kompensationsanspruch für Dalmatien in Form Bosniens und der Herzegowina wurde mit einigem Erfolg verfochten. Aber die Ustascha ließ mit ihren Grausamkeiten, denen mehrere hunderttausend Menschen zum Opfer gefallen sein sollen, nicht nach und in Bosnien versuchten Titos Kommunisten ein neues Widerstandszentrum aufzubauen. Für Zulauf sorgten die Ustascha-Aktionen und die Unfähigkeit der Besatzungstruppen, die bäuerliche Bevölkerung vor den Raubzügen der Partisanen zu schützen.

Tito und seine engeren Kampfgefährten, denen 1942 die ständige Funkverbindung mit Moskau gelang, waren politisch viel radikaler, als dies von der UdSSR mit Rücksicht auf ihre westlichen Verbündeten gewünscht wurde. Trotzdem verstanden sie es auch, die Engländer, die zu ihnen und zu Mihajlovic Verbindungsleute entsandten, für ihre Tätigkeit zu interessieren und von ihnen Waffenlieferungen zu erhalten. Ende 1942 dürfte die Stärke der Partisanen bereits an die 150.000 Mann betragen haben. Die entscheidende Aufwärtsentwicklung zur kriegführenden Macht brachte aber erst die italienische Kapitulation und die damit verbundene Übernahme großer Mengen von Kampfgerät und Munition. Die Deutschen verloren damals die Herrschaft über die südliche Adria, welche fortan den Nachschub aus dem westlichen Lager sicherte. Damit begaben sich England und Amerika in ein Nahverhältnis zu Tito und gaben Mihajlovic de facto verloren. Der Oberst hatte es allerdings schon zum General und sogar zum Kriegsminister der königlich-jugoslawischen Exilregierung in London gebracht, da man dort sehr wohl erkannte, daß Tito die alte Ordnung viel gründlicher beseitigen wollte, als dies in anderen osteuropäischen Staaten überhaupt möglich schien. Mihajlovic war dementsprechend immer wieder in erbitterte Kämpfe mit Tito-Partisanen verwickelt und suchte schließlich auf höchster Ebene zwischen Deutschland und den Westmächten mit deutlicher Spitze gegen den Bolschewismus zu vermitteln. Hitler benützte Mihajlovic auch für das Angebot einer Räumung des Balkans, wenn die Westalliierten sofort dorthin nachstoßen würden.

Wenige Wochen nach der Kapitulation der italienischen Truppen in Jugoslawien und Albanien fühlte sich Tito stark genug, Mihajlovic und dem Emigrantenregime offiziell den Garaus zu machen. Er berief eine Tagung des Antifaschistischen Rates für die Nationale Befreiung Jugoslawiens in die Stadt Jajce, die sich damals in sicherer Hand der bosnischen Partisanen befand. Am 29. November 1943 verwandelte sich dieser Rat in Jajce zu einer gesetzgebenden Nationalversammlung und sein Exekutivbüro in eine Regierung unter Titos Vorsitz. Tito wurde gleichzeitig zum Marschall ernannt und damit den sowjetischen Marschällen, vor allem dem polnischen Marschall der Roten Armee, Rokosowski, mit dem Stalin einiges vorhatte, gleichgestellt. Dies war im Hinblick auf die Möglichkeit des Vordringens der Russen auf dem Balkan und der damit fälligen Zusammenarbeit mit ihren Verbänden von besonderer Bedeutung. Die Deutschen aber beunruhigte das weniger als die Tatsache der endgültigen Isolierung aller königstreuen Leute. Die in Jajce Versammelten hatten nämlich die Exilregierung in London für illegal erklärt und König Peter die Rückkehr nach Jugoslawien verboten. Die Anglo-Amerika-ner fügten sich dieser Entwicklung und verstärkten ihre Zusammenarbeit mit Tito. Sogar der Papst in Rom wies in einer öffentlichen Erklärung auf den Heldenkampf der jugoslawischen Völker hin, was den Tito-Anhängern zugute kam, obwohl der Heilige Vater damit wahrscheinlich den Deutschen ins Gewissen reden wollte. Begreiflich, daß Hitler nunmehr die Ausschaltung Titos besonders wichtig schien und der Entführungsspezialist Otto Skorzeny mit einem Überfall auf das Partisanenhauptquartier beauftragt wurde. Tito gelang es jedoch rechtzeitig, sich zu entfernen.

Der Zusammenbruch Italiens im Sommer 1943 hatte auch den Weg für die Schaffung Groß-Kroatiens frei gemacht. Jedenfalls drang die Ustascha in Istrien und Dalmatien ein, während die Deutschen wohlwollend zusahen, jedoch hier wie in Albanien hohe SS-Funktionäre mit hintergründigen Aufgaben einsetzten. Die Regierung in Agram dankte mit kroatischen Bataillonen innerhalb der Wehrmacht des Reiches sowie mit dem Ausharren auf deutscher Seite bis zum bitteren Ende, verhielt sich also ähnlich wie die Regierung in Preßburg. Freilich war Agram bereits die Kontrolle über den Großteil des offenen kroatischen Landes verlorengegangen, die Partdsanenver-bände des Marschalls Tito hatten weite Gebiete unter ihre Fittiche gebracht. Aber auch sie anerkannten die kroatischen Sehnsüchte.

Serbien hingegen beruhigte sich bis 1944 fast völlig und stellte sogar eigene Verbände zur Unterstützung der Deutschen, die sogenannte Staatswache, auf. Erst das Erscheinen der Roten Armee und das kolossale Erstarken der Partisanen in anderen Gebieten des ehemaligen Königreiches Jugoslawien brachte auch hier die Feindseligkeiten wieder in Schwung.

Die Deutschen waren stets darauf bedacht gewesen, ihre Verbindungswege nach Süden und Osten offenzuhalten. Ab Sommer 1944 galt es für sie, die Rückzugsstraße solange als möglich zu schützen und sich auf die Verteidigung des kroatischen Kernlandes und der Donaulinie nach Ungarn zu konzentrieren. Demgegenüber wurde der Angriff auf Belgrad von der 3. Ukrainischen Front in einer gemeinsamen Operation mit dem Partisanenheer Titos vorgetragen. Die Russen sicherten nachher lediglich ihre Etappengüter und zogen bald nach Kriegsende1 gänzlich ab. Im östlichen Lager war Tito jedenfalls zum populärsten Mann nach Stalin geworden. Er und seine Leute galten auch als die schärfsten Kommunisten Osteuropas, Rücksichtnahme auf bürgerliche Parteien und Volksfrontexperimente kamen für Jugoslawien nicht in Frage. Aber der Schein glorreicher Stärke trog, wiederholte UNRRA-Lieferungen und Zwangsarbeiter vermochten die Verwüstungen des Krieges kaum zu lindern.

Tito verkündete die Brüderlichkeit der autonomen Völker Jugoslawiens, wie sie die marxistischen Dogmatiker Rußlands vorgezeichnet hatten, ging also jenen „illyrischen“ Weg, der aus den Tagen Napoleons heraufführte und die Vereinigung der südslawischen Nationen ähnlich der Einigung Italiens zum Ziel hat. Doch die Apenninenhalbinsel und der Balkan sind zwei verschiedene Dinge: Der Marschall konnte auf dem Sieg von 1945 nicht stehenbleiben, ohne von der Wirklichkeit zurückgestoßen zu werden. Die eigene Armut, der Widerstand der unterdrückten Klassen, die Kroaten, die Mazedonier, die russische Wirtschaftshegemonie und der Gesinnungswandel der Westalliierten, die dem Kommunismus jenseits der Adria zu mißtrauen begannen, zwangen ihn zum Sprung nach vorne.

Der Balkankrieg, der 1941 begonnen hatte, ging daher 1945 nicht zu Ende! Jugoslawien wandte sich drohend gegen Triest und Südkärnten, besetzte strategische Punkte Albaniens, griff in den griechischen Bürgerkrieg ein und bereitete die Union mit Bulgarien vor. Einige Male riskierte man die bewaffnete Konfrontation mit den USA und steckte schwere sowjetische Vorwürfe ein. Aber alle Abenteuer erwiesen sich als Fehlschläge, die über das innere Elend nicht hinweghalfen. Nur die Einverleibung Albaniens schien greifbar nahe zu sein. Gerade sie führte den Bruch mit dem Kominform im Juni 1948 herbei; Jugoslawien war am Verzweifeln, die blutige Verfolgung der Titoisten in Osteuropa begann. Jetzt zeigte die Entwicklung, daß die Westalliierten, abgesehen von jeder prokommunistischen Romantik britischer und amerikanischer Verbindungsleute, seit 1942 mit Recht auf den Partisanenchef Tito gesetzt hatten. Er gehörte zu jenen, welche die Chancen der Geschichte ohne Vorurteil und Bindung an die Gedankengänge von gestern wahrzunehmen verstehen und in entscheidender Stunde alles dafür einsetzen können. Sein Widerstand gegen Stalin machte ihn 1948 fast so populär wie vorher sein Kampf gegen Hitler.

Heute, 25 Jahre später, hat der Kreml dem prunkliebenden Greis in Belgrad längst zugestanden, daß er seit seinen Lehrjahren im Moskauer Hotel Lux immer nur eins im Sinne hatte: Rücksichtslose Selbstbehauptung inmitten jener Abgründe, die der Balkan in wechselvoller Vielfalt anbietet. Mihajlovic war aus anderem Holz geschnitzt gewesen. Er wurde von den Westalliierten gefangengesetzt, an Belgrad ausgeliefert und hingerichtet. Der kroatische Poglavnik hingegen hatte sich rechtzeitig nach Ubersee abgesetzt.

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