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Der Sieger hieß Stalin

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Montag, 16. Juli 1945, berichtet der Sonderkorrespondent der „Times“ nach London: „Die Ankunft Marschall Stalins ist offiziell noch nicht bestätigt worden, seine Reise unterliegt strengster Geheimhaltung und schärfsten Sicherheitsmaßnahmen.“ Eine andere Nachricht der gleichen Zeitung vom selben Tag: „Abgesehen davon, daß Präsident Truman und Mr. Churchill plötzlich Potsdam verließen, um das zerstörte Berlin zu besichtigen, drang von der Konferenz der Großen Drei gestern kaum ein Lebenszeichen nach außen.“

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Montag, 16. Juli 1945, berichtet der Sonderkorrespondent der „Times“ nach London: „Die Ankunft Marschall Stalins ist offiziell noch nicht bestätigt worden, seine Reise unterliegt strengster Geheimhaltung und schärfsten Sicherheitsmaßnahmen.“ Eine andere Nachricht der gleichen Zeitung vom selben Tag: „Abgesehen davon, daß Präsident Truman und Mr. Churchill plötzlich Potsdam verließen, um das zerstörte Berlin zu besichtigen, drang von der Konferenz der Großen Drei gestern kaum ein Lebenszeichen nach außen.“

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Churchills Memoiren, Djilas’ Gespräche mit Stalin, Dean Achesons Buch „Macht und Diplomatie“, Akten der britischen, amerikanischen und sowjetrussischen Regierungen - es war bisher mühsam genug, sich von der Potsdamer Konferenz vor 32 Jahren ein zutreffendes Bild zu machen. Der amerikanische Autor Charles L. Mee hat die nötige Portion respektloser Neugier aufgebracht, um den Verlauf der Konferenz anschaulich und eindrucksvoll zu schildern: Die „proben Drei“ können ihre Motive und Wünsche nicht mehr hinter wohltönenden Phrasen verstecken, der Wunschtraum einer Friedenskonferenz vor allem, jahrzehntelang seit Potsdam immer dann beschworen, wenn die damaligen Ergebnisse kritisiert werden, erweist sich als von Anfang an bereits ausgeträumt, die Zielvorstellungen von West und Ost ließen sich schon am runden Tisch von Schloß Cecilienhof nur noch mühsam und auch das nur teilweise auf einen gemeinsamen Nenner bringen.

Der Autor gibt sich Mühe, allen drei Standpunkten gerecht zu werden. Die ausgeblutete Sowjetunion verlangte nach Revanche und Wiedergutmachung, Großbritannien sorgte sich um seine europäische Vormachtstellung, die USA glaubten allen Ernstes an ihre Sendung als Hüter der Demokratie. Tage- und wochenlanges hartes Verhandeln über Streitpunkte, etwa die polnische Westgrenze und die Regierungsform von Rumänien, Bulgarien und Ungarn, wich plötzlich kompromißbereitem Feilschen, wenn auf anderen Gebieten Vorteile herauszuschlagen waren. Gib Du mir Stahl aus dem Ruhrgebiet, so gebe ich Dir Griechenland - Stalin. Oder: Gib Du mir die Zusicherung freier Wahlen in Hitlers ehemaligen Satellitenstaaten (die bereits fest in kommunistischer Hand waren), so gebe ich Dir die polnische Exüregierung in Potsdam (die schon längst geopfert worden war) - Truman. Entschiedenheit, markig vorgetragen, und dann doch, im vollen Wissen um die Folgen, voreilige Kompromisse. Der eindeutige Gewinner von Potsdam war Stalin, dieses Buch macht es unwiderruflich klar. Churchill, im Umgang mit dem sowjetischen Alleinherrscher seit Teheran und Jalta bereits erfahren, gab sich die größte Mühe, Trumans Mißtrauen gegen Stalin bei jeder passenden Gele-

genheit zu verstärken - vergeblich. Schließlich mußte der alte Kämpfer vorzeitig nach London zurückkehren: Er wurde abgewählt und durch Attlee ersetzt. Jetzt war es endgültig nur noch eine Konferenz der Großen Zwei, Großbritanniens Niedergang als europäische Macht hatte bereits begonnen. Von jetzt an war die Welt in zwei große Hemisphären geteüt - Potsdam machte deutlich, daß es für eine eigenständige europäische Politik auf absehbare Zeit keine Chance mehr gab. Die Kleinen wurden wie Schachfiguren hin- und hergeschoben, der Eiserne Vorhang senkte sich vor Osteuropa herab, und was blieb, war allenfalls ein wenig schlechtes Gewissen. Man sagte sich gegenseitig Verständnis zu - und verstand die wirklichen Motive des anderen schon damals nicht mehr.

Die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz, die am 2. August 1945, schon im Schatten der Atombombe auf Hiroshima, beendet wurde, sind entsprechend vieldeutig. Deutschland, eins der Hauptthemen, wurde als Ganzes behandelt und doch durch ebendiese Konferenz endgültig geteilt. Polen, das eine eigene Delegation entsandt hatte, wurde als selbständiger Staat behandelt und gleichzeitig der Sowjetunion als „befreundet“ unterstellt. Die Deutschen in der Tschechoslowakei, in Ungarn und in Polen, für die sich Truman und Churchill beredt einsetzten, sollten menschlich behandelt und umgesiedelt werden - und jeder wußte, daß es zu entsetzlichen Progromen kommen würde. Die ehemals Hitler, jetzt Stalin hörigen Satelliten wurden zwar zu größerer Liberalität -verpflichtet - •trotzdem war man über1 westlicher- seits bereit, diplomatische Beziehungen zu ihnen vorzubereiten. Kein Problem wurde anders als durch die bereits bestehenden Machtverhältnisse „gelöst“. Nochmals: Stalin war der eigentliche Sieger.

Erklärt werden kann dieser offenbare Selbstmord des Westens in Potsdam nicht. Die Teilung der Beute, vorab Deutschlands, kam allen Siegern zur rechten Zeit. Schon damals aber verfolgten beide Seiten verschiedene Ziele: Stalin brauchte Pufferstaaten, um die Sowjetunion abzuschirmen - der Westen hoffte, sein Deutschland eines Tages als Vorposten gebrauchen zu können. Die 32 Jahre seit Potsdam mit ihrem Wechselspiel von

Konfrontation und Kooperation sind nur Variationen des Themas, dessen drei Komponisten Stalin, Churchill und Truman hießen.

DIE TEILUNG DER BEUTE. Die Potsdamer Konferenz 1945. Von Charles L. Mee. Verlag Fritz Molden, Wien, 1977, 344 Seiten, öS 234,—.

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