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Der Sklavenstaat

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Albert Speer dokumentiert nicht nur die Sklavenarbeit in der deutschen Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Versuche der SS, ein eigenes Wirtschaftsimperium aufzubauen, sondern liefert auch Einsicht in ■einen Vorgang, in dem elitäre revolutionäre Theorien verwirklicht werden. Dabei bringt er die unvermeidlichen Widersprüche ans Tageslicht, die zu einem solchen Vorgang gehören.

So zeigt Speer, wie der ideologisch bedingte Massenmord der Juden im Auftrag Hitlers und die mutwillige Knechtung von als Untermenschen abgewerteten Polen und Russen die Rüstungsproduktion des Deutschen Reiches schädigten. Hierher gehört auch die Kombination von brutaler Machtsucht, die grenzenlose Anmaßung von nicht vorhandener Kompetenz und verantwortungsloses Dilettantentum, welches für die führenden Mitglieder einer selbsternannten Herrenrasse kennzeichnend war.

Hierher gehören die aufwendigen Pläne von SS-Führern, öl aus Geranien und Treibstoff aus Tannen wurzeln zu gewinnen sowie die tatsächlich geplante Verwertung von Rauchschwaden aus Backstuben. Die Ablehnung .jüdischer Physik“ erinnert übrigens auch an den von Stalin geförderten „Genetiker“ Lysenko.

Speer erklärt den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme mit dem Hinweis, daß die Diktatur mittels einiger machtpolitischer Maßnahmen entwicklungshemmende Barrieren weggeräumt habe, mit denen die Republik von Weimar nicht fertig geworden war.

Dieser Hinweis dient nicht nur der indirekten Rechtfertigung von Industriellen und Technikern, die wie Speer durch ihre Unterstützung Hitlers Machtübernahme gefördert hatten, sondern dürfte auch von Substanz sein und ist überprüfbar.

In diesem Zusammenhang ist ein Hinweis auf die Memoiren des deutschen Industriellen Fritz Thyssen relevant, in denen der Autor erklärt, was ihn bewogen hatte, Hitlers Machtübernahme zu fördern, um dann mit ihm zu brechen.

Die Memoiren von Thyssen wie auch die vor einem Jahrzehnt erschienenen Memoiren von Speer dokumentieren die Unfähigkeit des unglückseligen republikanischen Regimes mit den politischen und wirtschaftlichen Problemen zurechtzukommen. Beide zeigen jedoch, daß die Diktatur nach anfänglicher Lösung von wirtschaftlichen Problemen, in den Bann von völlig unrealistischen Plänen geriet, die nur zur Katastrophe führen konnten.

Speer weist immer wieder auf die Unerläßlichkeit „selbstverantwortlicher Unternehmer“ selbst im Rahmen einer gesteuerten Kriegswirtschaft hin und auf den Widerspruch zwischen derartiger „Selbstverantwortung“ und totalitären Herrschaftsbestrebungen.

Gleichzeitig belegt Speer detailliert die Überlegenheit von freier Arbeit über Sklavenarbeit in der industriellen Produktion.

ln den Spannungen zwischen selbst- iverantwortlichem Unternehmertum ‘und den Herrschaftsansprüchen der SS erscheinen auch Aspekte sozialistischer Ideologie. Diese waren im Anfangsstadium des Nationalsozialismus von Bedeutung und wurden im Laufe der Entwicklung zur Massenpartei und in der Vorbereitung der Machtübernahme über Bord geworfen zusammen mit Dissidenten, die diesen Sozialismus zur Unzeit ernst genommen hatten.

Speer dokumentiert jedoch ausführlich, daß die nebelhaften Ideale eines „deutschen Sozialismus“ von der Führung der SS niemals vergessen worden sind. Ihre Verwirklichung war für die Nachkriegszeit geplant gewesen.

Mit erschütternder Sachlichkeit berichtet Speer über das Schicksal der Sklaven der SS. Er zitierte die hohen Sterblichkeitsraten, verursacht von mangelhafter Ernährung, überaus ungesunden Arbeitsplatzverhältnissen und der völligen Abwesenheit ärztlicher Pflege.

Unter dem Titel „JUDENSCHICKSAL" behandeln fünf Kapitel den Massenmord aus der Perspektive der Rüstungsindustrie in Berlin und in Polen. In diesen Kapiteln betont Speer die Bemühungen von deutschen Beamten und von der Bevölkerung von Berlin den Juden zu helfen. Er versucht jedoch ganz und gar nicht seine eigene Rolle in ein günstiges Licht zu setzen.

In diesem Buch, wie übrigens auch in seinem Verhalten in Nürnberg, geht es ihm darum, das deutsche Volk zu entlasten und die Schuld den Schuldigen zuzuweisen - zu welchen er sich zählt.

Außerdem bereichert Speer seine Dokumentation mit Hinweisen auf Bücher von Insassen von Konzentrationslagern.

Speer konfrontiert das moralische Problem und versucht in keiner Weise seine eigene Rolle zu beschönigen. So schreibt er in der Einleitung: „Oft wurde mir der Prozeß einer wohltätigen Verdrängung klar, die mich vor Schuldgefühlen abschirmte“ (S. 14).

Im Kapitel Uber „Juden in den Reichsgauen“ (Polen) schreibt Speer: „Kleinere Schritte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Häftlingen haben mir zwar im Nürnberger Urteil eine Anerkennung des Gerichts eingetragen, aber ich kann mich nicht daran erinnern, grundsätzliche Argumente vorgebracht zu haben, die außertechnischen Charakter gehabt hätten … Heute, fast 40 Jahre später, ist es mir unfaßlich, daß mir die Zahl der hergestellten Panzer wichtiger gewesen zu sein scheint, als die der verschwundenen Opfer des Rassismus.“

DER SKLAVENSTAAT. Von Albert Speer. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1981. 330 Seilen, geb., öS 261,80

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