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Der Soldat als Werkzeug der Partei

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Jaruzelskis Militärcoup von 1981 hat eine neue Spielart der Machtausübung in Osteuropa geschaffen. Das Beispiel könnte in den achtziger Jahren Schule machen. Denn auch für Moskau ist es politisch bequemer, wenn die Rote Armee in Krisenzeiten nicht in Bruderländern eingreifen muß.

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Jaruzelskis Militärcoup von 1981 hat eine neue Spielart der Machtausübung in Osteuropa geschaffen. Das Beispiel könnte in den achtziger Jahren Schule machen. Denn auch für Moskau ist es politisch bequemer, wenn die Rote Armee in Krisenzeiten nicht in Bruderländern eingreifen muß.

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Es geschah einige Zeit vor dem ominösen 13. Dezember 1981 irgendwo am Ufer des Rheins in West-Europa. Bei einer wissenschaftlichen Tagung von Militär-und Ostexperten, die unter anderem auch die militärische Zuverlässigkeit der sowjetverbündeten Armeen in Osteuropa im Detail untersucht hatten, erhob sich ein älterer Herr zum Wort. Er rief den Anwesenden die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in Erinnerung und sagte:

Damals, als die Habsburg-Monarchie noch bestand, wurden doch in einigen Generalstäben Zweifel geäußert, ob sich die Nationalitäten, vorab die „rebellischen” Magyaren, im Ernstfall für die Sache der Österreicher schlagen würden. Und was geschah dann nach 1914? Die Donau-Monarchie vermochte über vier

Jahre an den verschiedensten Fronten Widerstand zu leisten, ohne daß das Vielvölkerheer in seinem inneren Gefüge auseinandergefallen wäre. Die revolutionären Ereignisse im Herbst 1918 im Hinterland bewirkten schließlich die Auflösung der habsburgi-schen multinationalen Armee.

Meine Herren, fuhr er fort, die Geschichte ist ein guter Lehrmeister. Man sollte sich also, was die jetzigen osteuropäischen Armeen betrifft, nicht etwaigen Illusionen über Unzuverlässigkeiten hingeben!

Als dann in Polen am 13. Dezember 1981 General Jaruzelski mit der Volksarmee die „alte” Partei-Ordnung wiederherstellte und dabei die Erneuerungsbewegung der Arbeitergewerkschaft mit Militärgewalt unterdrückte, mußten doch einige Teilnehmer der oben geschilderten Tagung an die Worte des alten Herrn aus der Alpen-Republik denken. Denn die Volksarmee in Polen hatte ihren — von Moskau diktierten — Auftrag „mustergültig” erfüllt.

Es gab keinerlei Befehlsverweigerung, geschweige den Desertionen: ja nicht einmal Unmut konnte an den Gesichtern der Volksar-misten registriert werden, als sie an jenem frostigen Wintertag aus ihren Kasernen rückten und ihre bereits vor einiger Zeit bestimmten Posten in den Städten und auf dem Land besetzten.

Dabei handelte es sich nicht bloß um politisch besonders gut geschulte Elite-Verbände, sondern in der Mehrzahl um die „gewöhnlichen”, regulären Einheiten der Volksarmee. Soldaten und Offiziere — das soll man zugeben — verhielten sich diszipliniert, waren im Rahmen ihrer Kampfaufträge sogar höflich, aber auch sehr bestimmt, wenn es um die Erfüllung der von General Jaruzelski vorgeschriebenen Aufgabe ging.

Vom militärischen Standpunkt aus hatte die Volksarmee eine der schwierigsten Aufgaben des modernen Militärwesens glänzend gelöst: sie hatte sich als Ordnungskraft gegen die eigene Bevölkerung bewährt. Eine Aufgabe, die — und hier wird uns jeder Militär im Westen oder im Osten beipflichten — einen der schwierigsten und heiklesten Aufträge überhaupt darstellt!

Freilich handelte das polnische Heer dabei gegen alle Regeln und Lehren der Staatsideologie, gegen den Marxismus-Leninismus, der in unzähligen Schriften am Dogma festhält: eine Armee gegen das eigene Volk als Ordnungstruppe einzusetzen, ist höchst verwerflich.

Zu einem solchen Schritt ist nur die profitgierige Bourgeoise fähig. Denn diese hält — laut Marxismus-Leninismus — ihre bewaffnete Macht von vornherein nur für zwei Aufgaben bereit: als Mittel für ihre räuberische, imperialistische Politik gegen andere Völker und für den inneren Gebrauch — nämlich zur gewaltsamen Unterdrückung der Arbeitermassen, wenn diese in ihrer Not und ihrer Ausbeutung Kopf und Faust zu erheben wagen!

Die Volksarmeen in den osteuropäischen sozialistischen Staaten sind ein Instrument in den Händen der die ganze Staatsmacht beherrschenden Kommunistischen Parteien. Nicht nur die äußeren Erscheinungsformen wurden den aus Moskau geholten Ritualen untergeordnet, sondern das gesamte innere Gefüge des roten Armeewesens den „neuen Zeiten” angepaßt.

„Bewährung” im Inland

Zwischen 1949 und 1953 wurden die volksdemokratischen Armeen militärisch und politisch für einen Krieg gegen den Westen vorbereitet, ab 1955 auch im Rahmen des Warschauer Paktes. Ab 1956 mußten die obersten Anführer dieser Volksarmeen eines Besseren belehrt werden:

Nicht auf den Schlachtfeldern außerhalb der eigenen Grenzen und im Kampf für die Befreiung der von den Kapitalisten unterjochten westlichen Werktätigen mußten sich die Volksarmeen bewähren. Die große Ost-West-Auseinandersetzung blieb aus. An ihre Stelle traten Ereignisse, die weder von Marx oder Engels, noch von Lenin vorausgesehen worden waren.

Die eigene werktätige Bevölkerung lehnte sich gegen die neuen Zwingburgen der Zentralen-Macht auf und lieferte blutige Zusammenstöße in Form von Aufruhr, Revolution oder regelrechtem Krieg gegen die Machthaber — in der sehnsüchtige Hoffnung auf eine bessere soziale und nationale Zukunft: Berlin 1953, Posnan 1956, Budapest 1956, Prag 1968 und Warschau 1970, 1976, 1980 und 1982 sind blutige Menetekel in der Geschichte Osteuropas!

Nicht nur die jeweiligen Parteiführungen in diesen Ländern, ihre gutausgerüsteten Ordnungstruppen, sondern auch die Volksarmeen fielen bei diesen Prüfungen vor der Geschichte schändlich durch. In Ost-Berlin 1953 versagte die „kasernierte Volkspolizei”, in Posnan 1956 die Ordnungstruppe, und in Budapest 1956 fiel die Volksarmee bereits nach dem ersten Schußwechsel zwischen Aufständischen und Staatssicherheitsdienst-Einheiten der „AVO” auseinander; die Soldaten schlössen sich dann einzeln oder in Gruppen den Revolutionären an.

Im August 1968 vermochte die Moskauer Führung nicht, die CSSR-Armee für ihre Ziele zu verwenden. Im Kreml erachtete man es sogar als „Sieg”, daß man die Garnisonen in Böhmen und Mähren und in der Slowakei „neutralisieren” konnte. Nur in Polen, 13 Jahre nach dem denkwürdigen August 1968 von Prag, konnte die Parteiführung unter General Jaruzelski die Armee gegen das Volk einsetzen.

„Heimat Volksarmee”

Dies war schon das Ergebnis einer neuen Ausbildungspolitik in den osteuropäischen Volksarmeen. Spätestens Anfang der siebziger Jahre kam man in Moskau auf die Idee, der Armee, ungeachtet ihres sozialistischen Charakters, „innere Funktionen” beizugeben. Das heißt: sie soll als Stütze des Regimes, zur Unterdrückung jeder inneren sozialen oder politischen Bewegung auch innerhalb der Landesgrenzen eingesetzt werden können. Und nun ging man unter Mißachtung der Thesen von Marx, Engels und Lenin an die Verwirklichung dieser Vorhaben heran.

Vorerst legte man die Kaderbildung auf neue Bahnen. Ein Offizierskorps entstand, eine geschlossene Kaste gleich jener im russischen Zarenreich, weit weg von allen Sorgen und Problemen der Bevölkerung. So besitzt das Korps innerhalb der bestehenden Gesellschaft Privilegien verschiedener Art. Der Offizier vergißt dabei Herkunft und Nationalität und kennt nur mehr eine Heimat: die Volksarmee.

Um den Offiziersnachwuchs im Sinne der neuen Vorstellungen der Parteileitung zu fördern, wurden im vergangenen Jahrzehnt sogenannte Kadettenschulen — offiziell: Militärmittelschulen — geschaffen. In der CSSR existieren drei, in Ungarn vier und in

Rumänien zwei solcher Bildungsstätten, in denen man Jungen zwischen 14 und 18 Jahren für die Offizierslaufbahn vorbereitet.

Man will diese Kadettenschulen, die in der Sowjetunion seit Stalins Zeiten wieder existieren und sehr verbreitet sind, in den nächsten Jahrzehnten weiter ausbauen und vermehren, um in der Zukunft den Offiziersnachwuchs möglichst ausschließlich aus diesen Anstalten zu decken. Dies ermöglicht der Partei, für die Armee nicht nur Fachleute zu gewinnen, die den Offiziersberuf von der Pike auf erlernt haben, sondern auch über solche Kader zu verfügen, die seit ihren frühen Lebensjahren von der „real existierenden sozialistischen Gesellschaft” getrennt sind und nur in ihrem Beruf beziehungsweise für ihre Karriere aufgehen.

Was nun die Mannschaften betrifft, so herrscht bei ihnen während der 18- bis 24monatigen Aus-bildungs- und Dienstzeit ein strenges Regime. Politische In-doktrirtation wird großgeschrieben, die Rekruten erhalten wöchentlich 12 bis 14 Stunden Polit-Unterricht und müssen Zwischenprüfungen ablegen.

Die Volksarmee hat ihre eigene Presse, die mehrere Presseer-zeughisse herausgibt. Bücher und Filme werden von den zuständigen Armeedienststellen vertrieben. Sie sind nicht identisch mit denen, die man als Zivilist beziehen kann. So ist etwa die DDR-Armee mit verschiedenen Druckerzeugnissen — genannt Zeitungen — versehen, die politisch völlig einseitig die Volksarmisten in-doktrinieren.

Blättert man diese Zeitungen, Zeitschriften durch — die „Volksarmee”, die „Armeerundschau” oder das für Offiziere bestimmte „Müitärwesen” -, hat man tatsächlich den Eindruck, sich in einer anderen Welt zu befinden. Kein Wort über die Alltagsprobleme im eigenen politischen Lager, kein Wort über Fragen der Abrüstung oder Friedensinitiativen des Kremls (mit denen sich bekanntlich die östliche zivile Presse regelmäßig beschäftigt) und kein Wort über weltpolitische Ereignisse, die in der außermilitärischen Presse „richtig gedeutet” immerhin Eingang finden!

Dafür werden die eigene und die Armeen der Bruderländer kritiklos hochgejubelt, die Errungenschaften der Sowjetunion in jedem Detail gepriesen und die „Imperialisten” des Westens, die Tag und Nacht den Krieg gegen das „Friedenslager” vorbereiten, verdammt.

Der Rekrut der Volksarmee, der in seiner Garnison von der zivilen Welt in der Regel abgeschirmt ist und seinen Informationshunger eigentlich nur mit Armee-Presseerzeugnissen stillen kann, hat begreiflicherweise nach einigen Monaten Kasernenleben ein verzerrtes Bild von seinem Land und vom Ausland.

Erwähnenswert sind auch die veränderten zentralen Parolen bei der Ausbildung der Volksarmisten. Heute wird zum Beispiel der Eid nicht mehr auf das „werktätige Volk” abgelegt, sondern auf den Staat: und man preist weder in Transparenten noch in Worten die „enge Verbundenheit der Armee mit dem Volk”.

Hilfstruppen für Moskau

Die osteuropäischen Parteiführungen werden in den kommenden Jahren nicht nur ihre paramilitärischen Kräfte weiter ausbauen, sondern auch die Armee vermehrt für den „inneren Gebrauch” trainieren. Dies schwächt selbstverständlich die andere, die „äußere Funktion” des roten Militärwesens, womit sich Moskau anscheinend schon abgefunden hat. Denn es ist bei den obersten sowjetischen Behörden ein offenes Geheimnis, daß im Ernstfall die osteuropäischen Volksarmeen, schon rein waffentechnisch gesehen, lediglich als Hilfstruppen der Roten Armee verwendet werden können.

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