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„Der Spiegel" und Polen

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Der polnische Durchschnittsbürger hat heute wenig Zugang zu westlichen Zeitungen und Magazinen. Seit der Ausrufung des Kriegsrechtes im Dezember 1981 sind die meisten westlichen Publikationen aus den öffentlich zugänglichen Lesesälen verschwunden.

Trotzdem wird nach wie vor eine Anzahl von Büchern, Zeitungen und Magazinen ins Land geschmuggelt und von der informationshungrigen Bevölkerung gierig verschlungen. Diese Publikationen zirkulieren ständig, so daß möglichst viele Leute sie lesen können.

Besonders aufmerksam verfolgt der polnische Leser, wie die freie westdeutsche Presse die Probleme seines Landes behandelt. Und hier kann jeder fair g§-schriebene Artikel dazu beitragen, das historisch so komplizierte und schwierige deutsch-polnische Verhältnis zu verbessern.

Der offizielle polnische Propaganda-Apparat hat immer wieder versucht, die zum Teil immer noch mehr oder weniger stark ausgeprägten anti-deutschen Gefühle innerhalb der polnischen Bevölkerung für seine Zwecke auszunützen. Die Strategie des Regimes ist dabei offensichtlich: die soziale Unrast der polnischen Bevölkerung, hervorgerufen durch die permanente Mißwirtschaft der Warschauer Machthaber, auf einen Phantom-Feind im Westen umzulenken.

Die auf Spaltung und Haß hinzielende Propaganda hat die unabhängigen polnischen Intellektuellen beunruhigt, sowohl die intellektuellen Zirkel im Lande wie im Exil. Gerade auch die um die Pariser Exil-Zeitschrift „Kultu-ra" gruppierten Intellektuellen haben sich stets gegen eine zu stark vereinfachende und unfaire Behandlung der deutsch-polnischen Beziehungen aufgelehnt.

Als Mitte der siebziger Jahre die ersten unzensurierten Samizdat-Publikationen in Polen erschienen, wurde auch diese Frage aufgegriffen und in einer unparteiischen, gewissenhaften Art und Weise analysiert. Seit damals wurde in den polnischen Untergrund-Zeitschriften viel getan, um gegen die zynische anti-deutsche Haltung in den offiziellen Medien anzukämpfen.

Eine der führenden Persönlichkeiten in dieser Auseinandersetzung war und ist Jozef Lipski, ein Schriftsteller und Literaturkritiker sowie Mitglied des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter KSS/KOR. Lipski ist auch Autor des vielbeachteten Buches „Zwei Heimaten- Zwei Nationalismen", in dem er sich kritisch mit dem traditionellen Mißtrauen und den Vorurteilen der Polen gegenüber den Nachbarn und der jüdischen Minderheit im Lande auseinandersetzt.

Dieses Buch wurde von den

staatlichen Medien scharf angegriffen, der Autor wurde als „Verräter" und „CIA-Agent" gebrandmarkt.

Daß der Kampf der polnischen Intellektuellen gegen die totalitäre Propaganda-Maschine die Hilfe und Solidarität gerade auch der westdeutschen Öffentlichkeit verdient, sollte aus den genannten Gründen selbstverständlich erscheinen. Diese Hüfe ist auch viele Male erfolgt, etwa in den Stellungnahmen eines Günther Grass oder Heinrich Boll, durch die sympathische Haltung der Kirchen der Bundesrepublik gegenüber Polen, durch die Veröffentlichung einer Vielzahl von Arbeiten polnischer Autoren und schließlich auch durch die großzügige Sendung von Hilfsgütern nach Polen im Krisenwinter 1981/82. All dies ist für die deutsch-polnische Aussöhnung von Bedeutung.

Dennoch: Es gibt auch westdeutsche Publizisten, die die Regeln des „fair play" gelegentlich zu vergessen scheinen...

Im Juni 1983 (Nr. 26/83) erschien im westdeutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" ein Artikel aus der Feder von Herausgeber Rudolf Augstein, betitelt „Von der Vision zur Division". Darin kritisiert Augstein ätzend das Papsttum sowie den damaligen zweiten Besuch des Papstes in Polen und deutet an, daß Johannes Paul II. in seine Heimat reiste, um dort den Aufruhr oder zumindest eine neue Welle sozialer Unrast zu schüren, was die geheiligte europäische Sicherheit gefährden könnte; letzteres zur Erringung eines Friedens in Freiheit, „den sie (die Polen) übrigens auch vor 1939 nicht genossen haben".

Auf diese höchst fragwürdigen Ansichten Augsteins antwortet Jan Jozef Lipski mit einem Leserbrief an den „Spiegel" — nur, leider, das Hamburger Nachrichten-Magazin weigerte sich, diesen Brief zu veröffentlichen.

Das ist zwar das gute Recht der „Spiegel"-Macher, zieht man aber die schwierige Situation Lipskis in Polen und all seine Bemühungen um die deutsch-polnische Aussöhnung in Betracht, erscheint die ganze Angelegenheit in einem anderen Licht.

Daß die NichtVeröffentlichung des Lipski-Briefes darüber hinaus kein Einzelfall ist, sondern in ein ganz bestimmtes Schema der „Spiegel"-Politik gegenüber Polen paßt, erwies sich erneut im Jänner dieses Jahres. In der Nr. 3/ 84 veröffentlichte „Der Spiegel" einen Aufsatz eines polnischen Dissidenten mit dem Titel „Ich habe nicht die Absicht, Polen zu verlassen", der sich mit der politischen Situation im Land befaßte. Der Name des Autors: Adam Michnik.

Dieser junge Historiker ist einer der prominentesten polnischen Dissidenten, der sich als erster mit dem Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der links-gerichteten Opposition in Polen der Nachkriegszeit in einem Buch auseinandersetzte.

Was „Der Spiegel" am Aufsatz, Michniks offensichtlich nicht besonders schätzte, war dessen positive Beurteilung des Papst-Besuches in Polen im Juni 1983 und überhaupt der Rolle, die Papst Johannes Paul II. in der polnischen Krise spielte. Und wohl deshalb strich die „Spiegel"-Redaktion die diesbezüglichen Passagen aus Michniks Essay, zum Beispiel den Satz: „Der Papstbesuch in Polen zeigte einmal mehr das wahre Gesicht des polnischen Katholizismus, das ganze Ausmaß seines Einflusses und die Größe seiner Autorität, er war zweifelsohne eine spektakuläre Niederlage des Regimes..."

Michnik ist im Gefängnis und steht unter Anklage. Sein Artikel war aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt worden. Und klarerweise kann der Autor gegen die Vorgangsweise des „Spiegel" keinen Protest einlegen. Dabei ist sicher, daß die Verstümmelungen die Gesamtaussage Michniks zur Lage in Polen verändert haben.

Dieser Fall und die Nichtveröf-fentlichungdes Lipski-Leserbrie-fes lassen eine bestimmte Politik des „Spiegel" erkennen, die die Rolle der Kirche in Polen jedenfalls als alles andere denn positiv erscheinen lassen will. Der deutsch-polnischen Verständigung hilft das Magazin mit einer solchen Politik aber ganz gewiß nicht weiter...

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