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Der Sprung über dunkle Schatten

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Johannes Paul II. will nach Moskau. Die 1000-Jahr-Feier der russischen Orthodoxie im heurigen Jahr böte Gelegenheit dazu. Doch vorerst gilt es viel Eis aufzutauen.

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Johannes Paul II. will nach Moskau. Die 1000-Jahr-Feier der russischen Orthodoxie im heurigen Jahr böte Gelegenheit dazu. Doch vorerst gilt es viel Eis aufzutauen.

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Seit er vor bald neun Jahren auf seiner ersten Polenreise im Dom von Gnesen in prophetischem Ton sich selbst als den „slawischen Papst“ vorstellte, der die geistige Einheit West- und Osteuropas aufdecken werde, hat Johannes Paul II. dieses Thema nicht mehr losgelassen. Und das 1000-Jahr-Jubiläum der Christianisierung Rußlands, das jetzt vom Moskauer Patriarchat gerade in diesem bewegten Jahr von Michail Gorbatschows unvollendeten Reformen begangen wird, hat den Papst erst recht in Bewegung gesetzt.

Viel historisch-politisches, aber auch religiös-theologisches Eis liegt noch auf dem Weg und muß aufgetaut werden. Doch eben dies versucht der Papst; nicht immer nur geschickt, doch gerade in den letzten Wochen mit zunehmendem Eifer. Am unverblümtesten geschah es, als er im Jänner in Rom im Auslandspresseverein zu erkennen gab, daß es ihm gar nicht unlieb ist, wenn durch ständiges Reden von einer Papstreise nach Moskau in den Medien so etwas wie ein moralischer Druck entsteht.

Dabei sagte er offen, daß er natürlich nicht nur zur orthodoxen Kirche nach Moskau reisen könnte, sondern vor allem die Katholiken im baltischen Raum besuchen möchte und müßte, in Litauen und Lettland, aber auch in Weißrußland und — wie er sich ausdrückte - in der „sogenannten Westukraine“. Er meinte damit das früher, bis 1939 polnische Ga-lizien, wo die unierten, mit Rom verbundenen Katholiken des byzantinischen Ritus leben, deren Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg unter stalinistischem Zwang, aber zur Freude des Moskauer Patriarchats in die russisch-orthodoxe Kirche eingegliedert wurde. Ein „schwieriges Problem“ nannte es der Papst mit ziemlicher Untertreibung, denn es ist tatsächlich das heikelste, brennendste zwischen ihm und dem Moskauer Patriarchat.

In Rom nämlich, nicht in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, residiert das Oberhaupt jener ukrainisch-katholischen Kirche, die in der westlichen Emigration, vor allem in Amerika, über eine hierarchische Struktur und einige hunderttausend Gläubige verfügt, in der Ukraine selbst jedoch nur im Untergrund, als eine Art Katakombenkirche mit Geheimbischöfen existiert (siehe FUR-CHE-Dossier 2/1988).

Kardinal Miroslav Lubachiv-sky, seit 1984 Nachfolger des 1963 aus sibirischer Haft befreiten Kardinals Josef Slipyj, ist ihr Großerzbischof im römischen Exil. Ihn freute besonders, als der Papst 1984 in Kanada vor ukrainischen Katholiken predigte und vom bevorstehenden Jubiläum des Christentums in der Ukraine sprach. „Mit Absicht, so scheint es, hat der Heilige Vater es vermieden, den alten historischen Namen der Ukiaine ,Rus' zu benutzen“, so triumphierte Luba-chivsky.

Jetzt aber gibt es keine Zweifel mehr, daß der Papst solche Einseitigkeit wie jede nationalistische Verengung ablehnt. Der Fanatismus blinden Eifers, auch des religiösen, führe nur zu jenem Bankrott christlicher Liebe, welcher der Einheit der Kirche in ihrer Geschichte schon schmerzlich genug zugesetzt habe — so sagte Johannes Paul II. am 27. Jänner 1988, als er in Rom die ökumenische Gebetswoche abschloß.

Ganz unmißverständlich wandte sich der Papst hier an die „Schwesterkirche des Moskauer Patriarchats, die einen großen Teil des christliehen Erbes der alten Kiewer Rus aufgenommen“ habe. Einen „großen Teil“, also nicht das ganze Erbe - so formulierte der Papst wohlabgewogen, um dann auch die ukrainische katholische Kirche zu rühmen. Der Papst sieht jenes „Rus“ als geschichtliche Wiege dreier Nationen: Russen, Ukrainer und Weißrussen (FURCHE-Dossier 2/ 1988).

Kann es dem Papst aber gelingen, auf dieser versöhnlichen Linie nicht nur historische, sondern auch aktuelle Gegensätze zu überbrücken? Als der Papst in Rom so sprach, veröffentlichte die sowjetische Nachrichtenagentur „Nowosti“ einen mehrdeutigen Artikel über die katholische Kirche und den Papst. Da wurde dem Papst einerseits bescheinigt, „in gleichem Maße“ kritische Distanz zu den kapitalistischen wie zu den sozialistischen Ländern zu halten; andererseits wurde ihm vorgeworfen, daß er seine „relativ konstruktive“ Unparteilichkeit oft verliere.

Mit dem „Nowosti“-Artikel signalisierten die Mächtigen im Kreml nicht nur ideologisches, sondern machtpolitisches Unbehagen, j a Unsicherheit und Furcht vor tiefverwurzelten nationalen Konflikten, die — in religiösem Gewand — gerade im Gefolge der Perestrojka-Reformen aufbrechen könnten (siehe die Einschätzung der Demonstrationen in Litauen durch „Nowosti“ in FURCHE 8/1988).

Kann ein Sprung über dunkle Schatten ukrainisch-russisch-polnischer.Geschichte uralte Verhärtungen aufbrechen? Das ist eine Hoffnung des „slawischen Papstes“. Es hängt jedoch nicht zuletzt auch von Konsequenzen ab, die im Kreml aus neuen Einsichten gezogen werden — etwa aus der vom sowjetischen Kirchenamtsleiter Konstantin Char-tschew Ende Jänner zugegebenen Tatsache, daß die religiöse Aktivität in der UdSSR zunimmt (siehe Seite 7), also nicht starb, und dies trotz 70 Jahren massiver staatlicher Sterbehilfe.

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