7039521-1990_11_07.jpg
Digital In Arbeit

Der Staatssekretär

Werbung
Werbung
Werbung

„Die Geschichte der Kirche ist keine Geschichte der Päpste, son- dern eine Geschichte der Heiligen." Das von einem Theologen kürzlich im Österreichischen Fernsehen mit diesem Satz zum Ausdruck ge- brachte Anliegen ist verständlich, mag auch die Plakativität der Aus- sage rechtfertigen; absolut setzen kann man dieselbe deswegen trotz- dem nicht. So wie in der Profanhi- storie die politische nicht von der Sozialgeschichte getrennt werden

kann, will man die ganze Historie begreifen, sowenig läßt sich Kir- chengeschichte auf einen einzigen Aspekt reduzieren. Die Geschichte der Kirche ist in diesem Sinn Ge- schichte der Päpste und Geschichte der Heiligen, ja Geschichte des ganzen Volkes Gottes, natürlich auch jener, die weder die Tiara (oder wenigstens eine Infel) getragen haben noch zur Ehre der Altäre erhoben worden sind.

Die neuzeitliche Kirchenge- schichte ist sicherlich auch eine Geschichte der Staatssekretäre. Seit Papst Leo X. (1513-1521) das Amt eines Secretarius intimus schuf, Innozenz X. (1644-1655) dasselbe einem Kardinal als Secretarius Status anvertraute und Innozenz XII. mit demselben 1692 auch die früher dem damals endgültig abge- schafften Kardinalnepoten reser- vierten Funktionen verband, ha- ben die Kardinalstaatssekretäre an der Seite „ihrer" Päpste eine wich- tige Rolle gespielt. Das Amt blieb auch nach der Annexion des Kir- chenstaates durch Italien 1870 erhalten, weil der Vorlust der terri- torialen Basis der Völkerrechtsper- sönlichkeit des Heiligen Stuhls

keinen Abbruch tat.

Heute vertritt der Kardinalstaats- sekretär den Papst in besonderer Weise in der Regierung der Vati- kanstadt. Trotzdem ist die Funk- tion des Staatssekretärs seit 1870 keine vorwiegend politische, son- dern zumindest gleicherweise auch geistliche. Die Schwierigkeit, diese Ambivalenz des Amtes in Rechts- normen zu fassen, hat in diesem Jahrhundert zu drei größeren Reor- ganisationen - unter Pius X., Paul VI. und kürzlich Johannes Paul II. - geführt, wobei sich allerdings die von den Vätern des Zweiten Vati- kanums geforderte und von Paul VI. in der Formel „Secretarius Sta- tus seu Papalis" zum Ausdruck ge- brachte Akzentuierung der spiri- tuellen Seite des Amtes zumindest in der Terminologie nicht durchge- setzt hat.

Der Umstand, daß der Kardinal- staatssekretär vor allem die Aufga- be hat, die Belange der Kirche in den Beziehungen mit den Staaten und internationalen Organisatio- nen zu vertreten, macht die Politik freilich nur zu seinem Instrumen- tarium; Gegenstand ist hier, wie bei aller geistlicher Tätigkeit, letztlich die Cura animarum, also eine See- lsorge mit politischen Mitteln.

Die Funktion des Kardinalstaats- sekretärs ist eine diskrete; und Diskretion ist auch eine Eigen- schaft, die die Person des gegen- wärtigen Staatssekretärs, Agosti- no Casaroli, in besonderer Weise kennzeichnet. Während die Anspra- chen und Predigten der letzten Päpste von amtswegen publiziert werden und Jahr für Jahr immer dickere Bände füllen, werden Äu- ßerungen des Kardinalstaatssekre- tärs der breiteren Öffentlichkeit nur ausnahmsweise, zum Beispiel über einen Abdruck im Osservatore Romano, zugänglich. Es bedarf privater Initiative, um das geistige Opus eines solchen Kirchenfürsten bekanntzumachen.

Das reichhaltige Opus Agostino Casarolis dem deutschsprachigen Publikum vorzustellen, hat in dan- kenswerter Weise Herbert Scham- beck übernommen. Als Vizepräsi- dent des österreichischen Bundes- rates verfügt er über die politische Statur, als Universitätsprofessor über die notwendigen guten Kon- takte zum bedeutenden wissen- schaftlichen Berliner Verlag Dunk- ker & Humblot, um die Gedanken des in verschiedener Hinsicht viel- leicht bedeutendsten Kurialen un- serer Zeit zu sammeln, zu sichten, einzuleiten und herauszugeben.

Als aktivem katholischem Laien,

der regelmäßig den Heiligen Stuhl ehrenamtlich bei der Generalkon- ferenz der Internationalen Atom- energie-Organisation vertritt, das sentire cum ecclesia aber auch sonst in vielen Werken Gestalt anneh- men läßt, war Schambeck wie viel- leicht keinem anderen aus dem deutschsprachigen Raum eine in- tensive persönliche Begegnung mit Agostino Casaroli gegönnt.

Neueste Frucht derselben - nach Casarolis Reden und Aufsätzen zum Thema „Der Heilige Stuhl und die Völkergemeinschaft" 1981 und ei- ner Festschrift zum 70. Geburtstag mit dem Titel „Pro Fide et Iustitia" 1984 - ist der nunmehr vorliegende Sammelband „Glaube und Verant- wortung" mit Ansprachen und Pre- digten Agostino Casarolis zu den Sachbereichen Kirche, Politik, In- ternationale Beziehungen und Per- sönlichkeiten. Äußerer Anlaß für das Erscheinen des Buches ist der zehnte Jahrestag seiner Ernen- nung zum Staatssekretär, seiner Kardinalskreierung und die Voll- endung des 75. Lebensjahres.

Das Buch ist in mehrfacher Hin- sicht eine Fundgrube, ob darin der Kanonist Casaroli, der Seelsorger oder der Diplomat zu Wort kommt, der entscheidenden Anteil an der Ostpolitik des Heiligen Stuhles seit den siebziger Jahren hat. Von be- sonderer zeitgeschichtlicher Bedeu- tung ist auch das Kapitel „Zur Person", nicht nur wegen des Brie- fes Johannes Pauls II. an Casaroli zu dessen Goldenem Priesterjubi- läum, der eine ebenfalls in den Band aufgenommene Predigt des Papstes zum Thema „Der Papst und sein Staatssekretär" .ergänzt, sondern vor allem wegen der Selbstdarstel- lung Casarolis in „Rückblick auf siebzig Lebensjahre" und „Priester und Staatssekretär".

Die absolute Loyalität Casarolis gegenüber den Entscheidungen des Papstes und ihre theologische Grundlegung gewähren einen Ein- blick in das spirituelle Klima der Kurie, der über den kirchenge- schichtlichen Aspekt hinaus von ekklesiologischer Bedeutung ist. Von daher empfiehlt sich das Buch auch solchen Lesern, die der vati- kanischen Politik und Öiplomatie sonst nicht dasselbe Interesse ent- gegenbringen wie dem Wirken der Kirche und ihren Strukturen an der Basis.

Der Autor ist Professor für Völkerrecht an der Universität Linz.

AGOSTINO KARDINAL CASAROLI. Glau- be und Verantwortung. Ansprachen und Pre- digten. Herausgegeben von Herbert Schambeck. Duncker & Humblot, Berlin 1989. XIX und 280 Seiten, öS 764,40

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung