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Der Staatsvertrag als ein Modell

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Was anläßlich des Staats-vertragsjubiläums 1980 auf diversen Veranstaltungen und Symposien alles gesagt wurde, kann nun in den unlängst in Buchform veröffentlichten Protokollen nachgelesen werden.

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Was anläßlich des Staats-vertragsjubiläums 1980 auf diversen Veranstaltungen und Symposien alles gesagt wurde, kann nun in den unlängst in Buchform veröffentlichten Protokollen nachgelesen werden.

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Ein vierbändiges Werk: „25 Jahre Staatsvertrag". Gesamtkoordination der Dokumentation im Auftrag der österreichischen Bundesregierung: Dr. Hugo Portisch und Dr. Eva Janko.

Der politische Sinn dieser Dokumentation ist eindeutig: 1980, in einem der Krisenjahre Europas und heutiger „Weltgeschichte" sollte — so weit es ging — mit Weltresonanz dokumentiert werden, welche Bedeutung der Abschluß des Staatsvertrages von 1955 für Selbstbehauptung und Selbstverständnis der Zweiten Republik und, möglicherweise, für die im Staatsvertrag engagierten Mächte sodann für Europa besitzen mag.

Die Aufwendigkeit der Veranstaltungen wird also durch diesen Sinn gerechtfertigt. Kritik im einzelnen, an Referaten, vorzüglich an den Reden der Jubiläumsveranstaltungen, wie sie der erste Band reichlich zu Wort kommen läßt, erscheinen deshalb leicht als deplaciert.

Dies gilt auch für die Nennung der Namen, die allein Seiten beanspruchen würden. Dennoch hier zwei Hervorhebungen, und zwar die Festrede von Gerald Stourzh über die „Geschichte des Staatsvertrages" und der Vortrag von Sir Karl Popper „Uber den Zusammenprall von Kulturen".

Zu letzterem: „Das alte Österreich war ein Abbüd Europas; es hatte fast zahllose sprachliche und kulturelle Minoritäten."

Popper vergleicht Wien mit dem alten Athen des Perikles: „Es scheint, daß beide, in einer höchst kritischen Lage zwischen dem Osten und dem Westen, durch den Zusammenprall von Kulturen unermeßlich bereichert wurden."

Diese Erinnerung an das Wien der Donaumonarchie kann als eine Einladung an Österreich, an Wien für Heute und Morgen verstanden werden.

Die Protokolle des wissenschaftlichen Symposions am 16. und 17. Mai 1980 mögen mit den letzten Bemerkungen in der Podiumsdiskussion von Prorektor Dr. Viktor N.Belezkij aus der UdSSR beleuchtet werden:

Österreich, sein Staatsvertrag „ist... ein Modell, das in verschiedenen Regionen verwendet werden kann. Wie ich gestern schon gesagt habe, ist meiner Meinung nach für die Großmächte oder Zweitmächte die strategisch-militärische Situation das Wichtigste: Das heißt, daß ein möglichst breiter Raum zwischen ihnen existiert — waffenfrei, atomwaffenfrei, neutral, bündnisfrei usw. Es können verschiedene Varianten sein, aber das Wichtigste besteht, wie ich meine, darin, diese Problematik unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten."

Dies kann als eine Aufforderung vorzüglich an die UdSSR und USA verstanden werden, ihre Europapolitik, ihre Weltpolitik kritisch zu besehen, und als eine Einladung an Österreich die Chancen, die Verantwortungen zu nutzen, die ihm diese Modell-Situation bietet.

Band III, Protokolle des Wirtschaftssymposions 14. Mai 1980,schließt, sehr aktuell heute, mit Warnungen an die Adnesse der Bundesregierung, mit ihrer „Wirtschaftspolitik" im alten Sinne fortzufahren. Eine Frau, eine Engländerin, stellt nüchtern die wirtschaftliche Situation Österreichs zur Debatte. Sarah Hogg: A Small House in Order -was inhaltlich zu „übersetzen" wäre: „nicht sehr in Ordnung". In der offiziellen Ubersetzung heißt es: „Klein, aber erfolgreich". Ein journalistischer Gag.

Sehr ernst der Inhalt von Band IV; Protokolle des wissenschaftlichen Symposions „Justiz und Zeitgeschichte" am 24. u. 25. Oktober 1980: „Die österreichische Justiz — die Justiz in Osterreich 1933 bis 1955".

Hier das Referat von Karl Stuhlpfarrer: „Justiz und nationale Minderheiten in Österreich 1945 bis 1955".

Historiker und Juristen prallen im Streitgespräch aufeinander, geht es doch um Verwundungen, um Verletzungen, um Schändungen des Rechts, der Menschenrechte, die in Österreich nicht in El Salvador, nicht knapp jenseits unserer Staatsgrenzen begangen wurden.

Die Justiz: sie bleibt ein großer Zankapfel in Osterreich, da sich hier Menschen konfrontieren, die mental in verschiedenen Epochen beheimatet sind. „Zeitgenossen" ■ sind, wie sich hier zeigt, auch Nicht-Zeit-Genossen.

Dies macht aufmerksam: In diesem vierbändigen Werk kommt „das Volk" nicht zu Wort: seine „Äußerungen" über den „Staatsvertrag" bezeugen noch heute drastisch, wie desorientiert, wie fatalistisch, wie fixiert auf eigene Ängste Österreicher sich verhalten, wenn sie auf 1955 hin angesprochen wären. Das aber wäre Aufgabe für eine eigene Dokumentations-Reihe.

25 JAHRE STAATSVERTRAG. Band I: Protokolle der Staats- und Festakte sowie der Jubiläumsveranstaltungen im In- und Ausland. 314 Seiten.

Band II: Protokolle des wissenschaftlichen Symposions am 16. und 17. Mai 1980. 176 Seiten.

Band III: Protokolle des Wirtschaftssymposions am 14. Mai 1980. 152 Seiten.

Band IV: Protokolle des Symposions „Justiz- und Zeitgeschichte—Die Justiz in Osterreich von 1933 bis 1955". 200 Seiten.

Alle erschienen im Osterreichischen Bundesverlag, Wien 1981; alle Leinen, Preis je Band öS 248,-.

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