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Der starke Amerikaner

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Am 8. November wählen die USA ihren 41. Präsidenten. Laut Meinungsumfragen wird er George Bush heißen. Für welche Politik steht der Republikaner eigentlich?

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Am 8. November wählen die USA ihren 41. Präsidenten. Laut Meinungsumfragen wird er George Bush heißen. Für welche Politik steht der Republikaner eigentlich?

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Als Liberaler, im europäischen Sinn des Wortes, meint George Bush, daß die schwerwiegenden gesellschaftlichen Probleme nach acht Jahren Reaganomics durch die freie Marktwirtschaft und nicht durch staatliche Interventionen, also Liberalismus im amerikanischen Sinn, zu lösen sein werden.

So trist diese Aussicht für die amerikanische Innenpolitik sein mag, ist sie in vielerlei Hinsicht vielversprechend für Europa, vor allem mit Bezug auf die Entspan-nungs- und Abrüstungspolitik.

Diese guten Aussichten hängen keineswegs damit zusammen, daß Bush eher den europäischen Vorstellungen eines (Berufs-)Politikers entspricht. Die Wahl eines „Erdnußfarmers“ und eines alternden Schauspielers waren zuletzt für diejenigen, die die Dynamik des amerikanischen Wahlkampfs nicht zureichend verstehen, beunruhigend. Aber gemessen an seinen Vorgängern hat Bush erhebliche außenpolitische Erfahrung.

Abgesehen von meist verschwommenen Vorstellungen über die „Stärke Amerikas“ spielt die amerikanische Außenpolitik keine außerordentlich große Rolle im Wahlverhalten des durchschnittlichen US-Bürgers in Friedenszeiten.

Es liegt dem Amerikaner das innenpolitische Hemd — sprich Wirtschafts- und Steuerpolitik — näher als der außenpolitische Rock.

Angesichts der wirtschaf tlichen und außenpolitischen Erfolge Reagans, und trotz ihrer gesellschaftlichen und finanziellen Kosten ist die klassische demokratische Formel — Sozialausgaben statt Verteidigungsausgaben — 1988 nicht überzeugend genug gewesen, etwas, das zum Teil mit der technokratischen Kühle von Michael Dukakis als Medienerscheinung zusammenhängt.

Weiters ist es den Demokraten nicht gelungen, Reagans „Erfolgsrezept“ - Kürzung der Sozialausgaben und Erhöhung der Verteidigungsausgaben bei gleichzeitiger Steuersenkung und die daraus resultierende enorme Staatsverschuldung - zum eigentlichen Thema der Wahl zu machen.

Die große außenpolitische Gabe der zwei letzten republikanischen Präsidenten hing mit ihrer Fähigkeit zusammen, das aus den fünfziger Jahren stammende Schrek-kensbild der „roten Gefahr“ im Inland einzusetzen — sowohl Richard Nixon als auch Reagan waren Produkte der McCarthy-Ära.

Es ist einem alten „Kommunistenjäger“ wie Nixon die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Volksrepublik China, Detente und SALT I gelungen. Jimmy Carter, ein überzeugter Christ und friedensliebender Mensch, unterschrieb mit Leonid Breschnew, dem er einen Bruderkuß gab, SALT II in Wien, um anschließend im amerikanischen Kongreß mit der Ratifizierung des Vertrages zu scheitern. Denn er war nicht imstande, den republikanischen Vorwurf eines „Ausverkaufs der nationalen Sicherheit“ oder eine „Preisgabe der amerikanischen Überlegenheit“ zu entkräften.

Reagan dagegen, der seine Amtszeit mit dem berühmten Spruch über die Sowjetunion als einem „Reich des Bösen“ begann, boxte den INF-(Mittelstreckenraketen-) Vertrag durch, weil er — im Gegensatz zu einem Demokraten wie Carter - im Kongreß von „rechts“ nicht zu untergraben .war. Es ist eine bittere Erkenntnis für die amerikanischen Demokraten und die Europäer, vor allem die europäische Linke, mindestens teilweise einsehen zu müssen, daß die Republikaner mehr durch ihre gute Aufrüstung erreicht haben, als die Demokraten mit ihrem guten Willen erreicht hätten.

Da die amerikanische Außenpolitik gegenüber der Sowjetunion von der Fähigkeit des Präsidenten abhängt, Verträge im Kongreß ratifizieren zu lassen — und zwar unter Aufrechterhaltung einer kämpferischen antikommunistischen Miene —, sind in letzter Zeit Republikaner erfahrungsgemäß „im Großen“ erfolgreicher gewesen als die Demokraten; wenn auch erfolglos ,4m Kleinen“ - siehe Nikaragua.

Außenpolitische Stärke

Bush warb bis jetzt mit der Behauptung, daß er ja der einzige sei, der imstande sein werde, die Politik Reagans im In- und Ausland konsequent fortzusetzen. Obwohl er für manche Rechtsrepublikaner - die Hardliners“ -als zu weich, das heißt möglicherweise zu kompromißbereit, gelten mag, sind die Aussichten bezüglich der Fortsetzung des Entspannungsprozesses unter einem Republikaner besser als unter einem Demokraten. Seit Carter gelten die Demokraten als weniger berechenbar: eine Tatsache, die selbst Michail Gorbatschow erkennt.

Aus dieser Sicht mögen sich die Europäer auf die Wahl von Bush freuen. Jedoch darf man die langfristigen Folgen von vier oder acht Jahren republikanischer Anwesenheit im Weißen Haus nicht aus den Augen verlieren. Das für den Europäer Nützliche an der republikanischen Außenpolitik ist unmittelbar mit dem - vor allem für den sozial schwächer gestellten Amerikaner — Fragwürdigen an der republikanischen Innenpolitik verbunden.

Mit den außenpolitischen Aussichten der Ära Reagan wird Bush auch ihre innenpolitischen Opfer erben. Obwohl Bush im sozialen Bereich durch budgetäre Umschichtungen sicher einiges erreichen kann, läßt die Höhe der Verteidigungsausgaben, die für die Republikaner als der unumstößliche Garant für außenpolitische Stärke der USA angesehen wird, Bush wenig finanziell-innenpolitischen Spielraum.

Ob er imstande sein wird, die ihm bevorstehende Problematik des postindustriellen Lumpenproletariats amerikanischer Prägung zu lösen — unter anderem eine noch nie dagewesene Obdachlosigkeit, schleichendes Analphabetentum, Langzeitarbeitslosigkeit in den Großstädten, besonders unter jungen Minderheiten —, und zwar unter Beibehaltung des von ihm versprochenen Verzichts auf künftige Steuererhöhungen, ist weder plausibel noch wahrscheinlich. Eins plus null ist bekanntlich nicht zwei; aber es ist eben diese Rechnung, die Bush der amerikanischen Öffentlichkeit präsentiert.

Der Autor ist Associated Director des Instituts für Europäische Studien in Wien.

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