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Der Stella Matutina zum Abschied

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Mit einem Wort des Dankes widmete der Schweizer Universitätsprofessor Haag sein letztes Buch über die Lebensbejahung im Alten Testament der Stella Matutina in Feldkirch, die nach einem säkularen segensreichen Wirken im Begriff ist, ihre Tore zu schließen. „Zwar wird die Erinnerung an die glücklichen Jugendjahre, die ich dort verbringen durfte, rückblickend dadurch getrübt, daß die Bibel in Schule und Erziehung kaum eine Rolle spielte. Was wir jedoch dort lernten, waren zwei für das Leben entscheidende Dinge: Arbeiten und Beten.“

Dieser Umstand und die bekennenden Worte eines alten Schülers aus dem abgeklärten Abstand zu seiner Schule vermögen viel mehr authentisch das wiederzugeben, was man unter „Stella Matutina“ versteht, als die Gedanken des Direktors.

Die Stella Matutina war zunächst das Kolleg der deutschsprachigen Jesuiten für die Bevölkerung um den Bodensee, die ohne Rücksicht auf die Staatszugehörigkeit einen regen geistigen Austausch miteinander pflegen. Obwohl das deutsche Gymnasium bei der 1000-Mark-Sperre 1934 aus dem Kolleg nach St. Blasien im Schwarzwald übersiedeln mußte, war der internationale Charakter des Kollegs bei der Neueröffnung 1947 wiederum das bestimmende Merkmal für das Professorenkollegium und für die Schüler.

Österreicher, Deutsche und Schweizer an einem Gymnasium nach dem österreichischen Lehrplan zu unterrichten, heißt die gemeinsamen geistigen Werte dieser Länder der Jugend zu übermitteln und vorzuleben. Der völkerverbindende Geist des Bodenseeraumes, die gegenseitige Toleranz dieser Völker schufen für die Schule jene geistige Atmosphäre, in der unter der Leitung der Jesuitehpatres aus der Schweiz ein Stück gemeinsames Europa in Schule und Internat Wirklichkeit wurde.

Es ist der schönste Beweis für die hervorragende Qualität der österreichischen Lehrpläne, daß die Schüler der Stella, die ohne Rücksicht auf die nationale Zugehörigkeit gemeinsam in den gleichen Klassen unterrichtet wurden, ihre Maturaprüfungen an verschiedenen Schweizer Universitäten und vor dem Beauftragten der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland mit einem ebenso guten Erfolg ablegen konnten, wie vor der österreichischen Maturakommission.

Ein internationales Kolleg ist nur so zu führen, wenn die Schule eng mit einem Internat verbunden ist, in dem an die 300 Schüler aus verschiedenen Ländern während ihrer gesamten Studien- und Freizeit von einem qualifizierten Team von Erziehern geistig betreut, ihrem Alter entsprechend pädagogisch geführt werden und differenzierte Angebote und Anregungen auf sportlichem, fachlichem, kulturellem, menschlichem, gesellschaftlichem und religiösem Gebiet erhalten.

Es ist vergeblich, pädagogische Grundsätze aufzustellen und zeitgemäße Zielsetzungen als Ideal anzupreisen, wenn sie von der Jugend nicht so empfunden werden. Die Worte eines Maturanten von 1972 lassen erahnen, in welch hohem Maß das Internat für jene menschlichen Werte die jungen Menschen begeistern konnte, die die Grundwerte einer christlichen Erziehung sind: „Wir werden kaum mehr später eine solche Gemeinschaft wiederfinden, wie wir sie in der Stella gefunden haben. Wir haben in der Stella Werte erhalten, die uns eine andere Schule überhaupt nicht, oder zumindest nicht in dieser Art und Weise, geboten hätte: die Werte eines Menschseins, das die heutige Zeit oft nicht mehr kennt

Man spürt das Anliegen des Humanen und des Religiösen, die mitein-

ander verwoben sind. Man sprach nicht in obligaten Worten über das Konzil, aber die Linienführung der Pastoralkonstitution .Gaudium et spes'. war in der Erziehung und der reügiösen Betreuung verwirklicht: In der Heilsgeschichte wird ,die richtige Autonomie des Menschen nicht nur nicht aufgehoben, sondern in ihre eigene Würde eingesetzt und darin befestigt.“

Unter den vielen tausend Schülern, die im Kolleg unterrichtet und erzogen wurden, sind auch berühmt gewordene Persönlichkeiten zu nennen, u. a. die späteren Staatsmänner und Politiker: Bundeskanzler Otto Ender und Kurt Schuschnigg, der Lordmajor von London, Johann Knill, der letzte Präsident der bayr. Kammer der Reichsräte, Fürst Karl Fugger-Glött, Parlamentsdirektor Wilhelm F. Czerny und Landeshauptmann Keßler.

Altstellaner waren die Kardinäle Ehrle und von Galen, die Bischöfe von Streng in Basel und Defregger in

München, der Benediktinerabt Beda Hophan und der Zisterzienser Heinrich Groner. Welche Bereicherung das Kolleg für die Wissenschaft bedeutete, mag die Pioniertat von drei alten Alumnen beleuchten: aus Feldkirch sind zur Gründung der katholischen Universität in Tokio ausgezogen der spätere Ordensgeneral, der Deutsche P. Wernz, der Engländer James Rockliff und P. Dahlmann.

Es ist schmerzlich, ein solches Kolleg schließen zu müssen. Es war ein hartes Ringen bis zur Entscheidungsfindung, die sich durch mehrere Jahre hinzog. Man wollte nicht. Man wollte aber auch nicht den internationalen Charakter des Kollegs aufgeben und es in eine Lokalschule verwandeln, obwohl die Berücksichtigung der verschiedenen Studienpläne immer schwieriger und letzten Endes schier unmöglich wurde. Entscheidend war aber der unerwartete Ausfall mehrerer Patres aus dem Kolleg und der immer drückender werdende Nachwuchsmangel.

Man spürte auch, daß ein internationales Kolleg mit einem Internat mit so vielen Schülern hauptsächlich von einer Gemeinschaft von Erziehern getragen werden muß, deren Mitglieder mehrheitlich „um des Himmelreiches willen“ auf eigene Familie, auf ihre Freizeit, auf ihren Sonntag, auf ihre Abende und auf einen angemessenen Lohn verzichten, in ihrem Herzen jung bleiben und eine ausgezeichnete Bildung haben.

Die Bemühungen um eine Lösung in den vielfältigen, ineinander ver-wobenen Problemen und Aspekten zogen sich über ein Jahr hin. Der Ordensgeneral war bereit, Schule und Internat einem Trägerverein zu über-

geben und zwei bis drei Patres in der Schule vor allem für den Religionsunterricht zu belassen. Aber auch dieser Vorschlag führte zu keiner Lösung. Daraufhin erfolgte das Dekret der Auflösung.

Trotz all den Schwierigkeiten -khalepa ta kala (die schönen Dinge sind schwer) sagt der Grieche - war es eine Freude für den Erzieher, in einem solchen Team arbeiten zu können, für den Lehrer, an einem solchen Kolleg unterrichten zu dürfen, und für den Schüler, in einer solchen Atmosphäre erzogen zu werden. Darum gebührt unser Dank all denen, die dies - so lange es ging - unter großem Einsatz ermöglicht haben.

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