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Der stille Krieg im Klassenzimmer
Daß Kinder mitunter am sogenannten Schulstreß zerbrechen, macht Schlagzeilen. Kein Thema aber war bis jetzt die Angst der Lehrer vor den Schülern - auch sie gibt es.
Daß Kinder mitunter am sogenannten Schulstreß zerbrechen, macht Schlagzeilen. Kein Thema aber war bis jetzt die Angst der Lehrer vor den Schülern - auch sie gibt es.
Alle Jahre wieder, mit schöner Regelmäßigkeit, häufen sich knapp vor Schulschluß die Berichte über entnervte und überforderte Schüler — der Schulstreß ist längst zum vielzitierten und strapazierten Schlagwort geworden.
Die Medien zeichnen das Bild eines Schulalltags, den die Schüler gerade’noch durch den Konsum von Psychopharmaka bewältigen. Aus Angst vor schlechten Noten im Zeugnis reißen Kinder von daheim aus. Und manche sehen gar nur mehr einen Ausweg — den Selbstmord.
Daneben gibt es aber noch eine andere Seite des Schulalltags, die gerade in den letzten Jahren an Brisanz gewonnen hat, von der Öffentlichkeit allerdings kaum wahrgenommen wird:
Viele Lehrer zerbrechen heute an der Rücksichtslosigkeit ihrer Schulkinder, klagen über Konzentrationsschwierigkeiten der Schüler, über rüpelhafte Umgangsformen und Disziplinlosigkeiten am laufenden Band, sehen sich ständig konfrontiert mit verbalen Grobheiten, mit versteckter und nicht selten auch offen zur Schau getragener Aggression.
Schüler werfen dem Lehrer, anstatt Antwort auf eine Frage zu geben, einfach das Götz-Zitat an den Kopf; ganze Schulklassen haben in langjähriger Praxis subtile Methoden der Provokation bis zur Perfektion entwickelt, daß dem Lehrer oft nichts anderes übrigbleibt, als aus der Klasse ins schützende Konferenzzimmer zu flüchten.
Oftmals treten Lehrer nur mehr mit zittrigen Knien vor ihre Schüler.
Ein stiller Krieg tobt in den heimischen Klassenräumen.
Aber nur selten wagen die Lehrer über ihre Schwierigkeiten und Ängste offen zu reden, weder gegenüber den Kollegen, noch in der Öffentlichkeit. Lehrerangst gilt als Tabu.
Für ihre Probleme mit aufmüpfigen und rabiaten Schülern finden die Lehrer kaum Verständnis, weder bei den Eltern, noch in der öffentlichen Meinung.
Erst im November letzten Jahres startete eine große österreichische Jugendzeitschrift eine Aktion, „bei der endlich einmal ,die Bösen’ belohnt werden“. Für diejenigen Schüler, in deren Zeugnis eine ganz besonders schlechte Betragensnote prangt, gab’s als Preis eine Gratisvorstellung im Kino und „Sekt in rauhen Mengen“ zu gewinnen.
Und Fred Sinowatz hat noch als wahlkämpfender Unterrichtsminister alle Schüler und Eltern aufgefordert, den Lehrern genau auf die Finger zu schauen und dem Ministerium all jene Lehrer namhaft zu machen, die sich durch besonders strenge Leistungsbeurteilung „auszeichnen“.
Daß solche Aktionen und Mini-
sterworte das Klima in den Schulen nicht gerade verbessern helfen, liegt auf der Hand.
Der Direktor der Pädagogischen Akademie der Erzdiözese Wien, Josef Kurzreiter, faßt die Erfahrungen vieler Standeskolle- gen zusammen: „So mühsam wie heute dürfte das Unterrichten noch nie gewesen sein.“
Und dęr Wiener Pädagogik- Professor Marian Heitger glaubt, die tiefere Ursache für das vielfach gestörte Lehrer-Schüler-
Verhältnis in der Tendenz der letzten fünfzehn Jahre auszumachen, nämlich: „Die sogenannte emanzipatorische Pädagogik hat die Aufmüpfigkeit der Schüler ja nachgerade gefordert.“ j
Selbst jene Lehrer, deren Selbstverständnis von der pädagogischen Reformbewegung der sechziger und siebziger Jahre geprägt ist, erleben heute die Diskrepanz zwischen Theorie und Schulalltag am eigenen Leib.
Erst unlängst beschrieb eine
Hamburger Grundschullehrerin in der „Zeit“ ihre diesbezüglichen Erfahrungen: „Was kreative, engagierte Arbeit sein sollte, wurde für viele zum Kampf gegen Windmühlenflügel. Liberaler Lehrstil und kameradschaftlicher Ton wurden falsch verstanden, mißbraucht, und oft mit einem schnoddrigen Ton beantwortet. … Nachsicht stieß auf Faulheit, Verständnis und Gesprächsbereitschaft auf leere und fordernde Diskutiererei, Höflichkeit auf Frechheit.“
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