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Der stille Tod der Dorfgemeinde
Eingemeindungen wurden stets mit betriebsökonomischen Überlegungen gerechtfertigt. Die meist negativen sozialen Auswirkungen werden erst gar nicht hinterfragt.
Eingemeindungen wurden stets mit betriebsökonomischen Überlegungen gerechtfertigt. Die meist negativen sozialen Auswirkungen werden erst gar nicht hinterfragt.
Als man Mitte der 60er Jahre daranging, die Gemeindestruktur" Österreichs zu reformieren, hat der österreichische Gemeindebund ein Minimalprogramm für den voll ausgestatteten Hauptort, der das Zentrum der neuen Gemeinde bilden sollte, erarbeitet.
Darin waren u.a. genannt: ein Gemeindeamt mit hauptamtlichem Sekretär; ein Arzt; eine Volksschule; Pfarre mit regelmäßigem Sonntagsgottesdienst; ein Veranstaltungsraum-, ein Geldinstitut-, entsprechende Geschäfte für den Alltagsbedarf etc.
Diese Tendenz zur Zentralisierung wurde stets mit betriebsökonomischen Überlegungen gerechtfertigt. Die Soziale Komponente war erst gar nicht hinterfragt worden. Der zusätzlich entstehende Aufwand an Kosten, Energie und Zeit zur Uberwindung der Wege zum Hauptort wurde vernachlässigt.
Auch der Widerspruch zu der heute so besonders laut erhobenen Forderung nach Vermenschlichung der Verwaltung blieb unentdeckt.
Dennoch konnten zunächst die erwünschten Erfolge erzielt wer-
den, die anfangs genannten Bedingungen wurden in aller Regel erfüllt.
Ausgelöst durch den raschen sozialen und strukturellen Wandel im ländlichen Raum sind aber Geschäfte, Lehrer, Pfarrer, Gendarmerieposten, Postamt und Arzt rasch aus den Dörfern—auch aus den Hauptorten—verschwunden.
Auch konnte der Bevölkerungsrückgang durch die Gemeindezusammenlegung nicht gestoppt werden, da die Lage der Gemeinden in strukturschwachen Gebieten eine Verbesserung der Einwohnerzahlen a priori verhinderte.
Somit ist die Gemeinde als soziologische Einheit aufgelöst worden.
Die Stadt Zwettl z. B. umfaßt nach der Gebietsreform 41 Dörfer und Weiler auf einer Fläche von 256 km'. Wie sollen sich da noch emotionelle Bindungen und Zusammengehörigkeitsgefühle entwickeln und festigen?
Gerade diese Beziehungen sind aber statistisch nicht erfaßbar und machen es somit unmöglich, die infolge der Zusammenlegung aufgetretenen gesellschaftlichen Veränderungen zu messen und zu beurteilen. Sie werden aus der Argumentation ausgeklammert.
Ein Blick auf die politische Struktur zusammengelegter Gemeinden zeigt einen zunächst deutlich höheren Anteil von ÖVP-Bürgermeistern im Vergleich mit allen Gemeinden Österreichs.
Auffallendes und erstes Kennzeichen emotionellen Widerstandes war die Tatsache, daß in zusammengelegten Gemeinden ein relativ hoher Anteil von Bürgermeistern festzustellen war, die von Namenslisten gestellt worden waren. Im Burgenland stieg die-
ser Anteil zeitweilig bis auf 82 Prozent.
Mehr als zwei Drittel aller zusammengelegten Gemeinden Österreichs befinden sich in reinen Agrargebieten - besonders im Burgenland und in der Steiermark —, während in Niederösterreich relativ viele Gemeinden im industriell-gewerblichen Mischgebiet liegen. Nur 27 von insgesamt 618 zusammengelegten Gemeinden gehören Stadtregionen an.
Dies ist insofern günstig zu beurteilen, da die am inneren Rand der Städte liegenden Orte mit ihren Problemen innerhalb der Städte zu Randgrößen mit oft vernachlässigbarer politischer Bedeutung absinken, auf die aus wirtschaftlichen Gründen nicht eingegangen wird.
Andererseits: Abgesehen von den erwähnten Ausnahmen war keine österreichische Großstadt an Gemeindezusammenlegungen beteiligt — obwohl doch gerade in den Großstadtregionen die Probleme besonders konzentriert auftreten. Das zeigt, daß auf die möglichen Chancen von Strukturverbesserungen in diesen Räumen nicht geachtet wurde.
So sind etwa im Raum Wien-Süd die Strukturen gänzlich ineinander übergegangen, die Gemeindegrenze stellt nur eine rechtliche Barriere dar. Dadurch werden aber wirtschaftliche Verzerrungen verursacht, deren Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Gemeinde enorm sind.
Disparitäten bleiben
In einzelnen Fällen konnten die wirtschaftlichen Ziele auch deshalb nicht erreicht werden, weil, durch die Freiwilligkeit der Zusammenlegung verursacht, die neuen Gemeindegrenzen Gebiete mit annähernd gleichen Strukturmerkmalen durchschneiden, so z. B. im Raum Hartberg (Stmk.) und Ternitz (Niederösterreich).
Eine der wirtschaftlichen Hauptabsichten der Gebietsreform war es jedenfalls, die im Finanzausgleich festgelegten und für die Zuweisung der Ertragsanteile maßgeblichen Schwellen zu überschreiten, meist also über 1000 Einwohner zu erhalten.
Die Gebietsreform hat aber zunächst lediglich die administrative Struktur verändert und sich damit noch keineswegs als jenes Mittel herausgestellt, welches geeignet wäre, die Probleme zu lösen, die sich aus regionalen Disparitäten und dem Strukturwandel des ländlichen Raumes ergeben haben.
Bei der Analyse der Ursachen der Gemeindezusammenlegungen fällt auf, daß andere sich anbietende Lösungsstrategien und Zielsetzungen gar nicht erst diskutiert worden sind. Etwa durch regionale übergemeindliche Zusammenarbeit an die Aufgaben heranzutreten.
Dies scheint auf dem unterentwickelten rechtlichen Instrumentarium ebenso zu beruhen, wie auf den durch den starren Finanzausgleich hervorgerufenen vermeintlichen Sachzwängen — wie immer eine Ausrede für mangelnde Phantasie.
Viele der Argumente für eine Gemeindezusammenlegung stechen im Widerspruch zu den klassischen Sozialprinzipien, die doch gerade von den der ÖVP angehörenden Kommunalpolitikern besonders zu vertreten gewesen wären.
Das Subsidiaritätsprinzip ver-
langt nun einmal, daß Gemeinden die Möglichkeit zur eigenständigen Entwicklung haben müssen, in deren Mittelpunkt jenes Leitbild steht, das sich die Gemeinde im Rahmen ihres örtlichen Entwicklungsprogramms selbst absteckt.
Ist es doch widersinnig, daß für Großstädte mit ihren großen wirtschaftlichen u. verwaltungstechnischen Problemen die Zergliederung in möglichst kleine Einheiten forciert wird (Bezirksparlament), während kleine Einheiten, die von der Bevölkerung getragen werden, zwangsweise zentralisiert werden.
Uberall dort, wo die Gemeinde aus organisatorischen und politischen Gründen selbständig existenzfähig ist, sollte sie erhalten und gepflegt werden.
Kontakte fehlen
Die Erfahrung in den zusammengelegten Gemeinden zeigt deutlich, daß bei allen anerkennenswerten Bemühungen der örtlichen Politiker es einfach nicht mehr in jenem Maß wie früher möglich ist, persönliche Kontakte innerhalb der Gemeinde herzustellen.
Die Bedingungen, die es zulassen, daß die Menschen aus eigenem Antrieb und aus eigener Verantwortung in ihrer Gemeinschaft handeln und diese auf ein gewünschtes Ziel hinlenken, sind zerstört worden.
Die gerade im ländlichen Raum erkennbare Abwendung der Wähler von der den Sozialprinzipien verpflichteten ÖVP ist auch eine Antwort auf verfehlte Maßnahmen im Bereich der Gebiets- und Strukturreform.
Wenngleich es kaum möglich sein dürfte, Gemeindezusammenlegungen in größerem Ausmaß rückgängig zu machen — Einzelfälle gab es freilich —, wird es doch gelten, in Zukunft dem einzelnen Dorf wieder mehr Rechte einzuräumen und seine Vertretung zu kräftigen.
Durch innergemeindliche Dezentralisierung wird viel von dem, was die Verwaltung an sich gezogen hat, wieder an den Bürger zurückzuführen sein.
Angesichts der rasch steigenden Zahl hoch verschuldeter Gemeinden stellt sich sogar die Frage, ob nicht manche Entwicklung, bei materieller und ideeller Förderung aller jener Aktivitäten, die die Bürger in ihrer Gemeinde selbst setzen können und wollen, aber unter Verzicht auf rigorose Eingemeindungspolitik, anders, verlaufen wäre.
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