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Der Stoff, aus dem Olympiasiege sind?

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40 Millionen Schilling kosten in Los Angeles die Dopingkontrollen, denen sich in jedem Bewerb die ersten Vier und zwei weitere - ausgeloste -Sportler stellen müssen.

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40 Millionen Schilling kosten in Los Angeles die Dopingkontrollen, denen sich in jedem Bewerb die ersten Vier und zwei weitere - ausgeloste -Sportler stellen müssen.

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„Kommt nicht nach Los Angeles, um unser System zu testen!" Diese Warnung hat Tony Daly, bei den Olympischen Sommerspielen 1984 für die Dopingkontrollen zuständig, an die „Jugend der Welt" gerichtet, die derzeit in Kalifornien um Medaillen kämpft.

Für den seit Jahrzehnten als „Dopingjäger" bekannten Wiener Sportmediziner Univ.-Prof. Ludwig Prokop ist das Netz der Dopingkontrollen heute enger ge-

knüpft denn je zuvor. Er sieht in dem Versuch, mit unlauteren Mitteln seine Leistung zu steigern, einen „gefährlichen Betrug". Betrogen werden die sportlichen Gegner, gefährdet wird die eigene Gesundheit.

In seiner „Einführung in die Sportmedizin" (Stuttgart — New York 1983) unterscheidet Prokop fünf Gruppen von Dopingmitteln: • Psychomotorisch stimulieren-

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de Substanzen (z. B. Amphetamin)

# Sympathikomimetische Amine (z. B. Ephedrin)

# Verschiedene zentral nervös stimulierende Substanzen (z. B. Strychnin)

• Narkotische Analgetika (z. B. Morphin, Heroin)

• Anabole Steroide (z. B. Me-thandienon)

Erst in jüngster Zeit auf die Dopingliste gekommen sind Cortison, Testosteron und die Beta-Blocker, die wegen ihrer beruhigenden Wirkung von Schützen (denen übrigens wie den Fechtern auch Alkohol verboten ist) gerne verwendet werden.

Doping spielt in erster Linie dort eine Rolle, wo es auf Ausdauer oder Kraft ankommt. Dabei beruht die Wirkung — so Prokop — zu einem großen Teil auf Autosuggestion. Wie er bei einem Experiment mit Sportlern feststellte, erbrachten diese, wenn sie sich nur gedopt glaubten (in Wirklichkeit hatte man ihnen ein Placebo-Mit-tel gegeben), meist viel bessere Leistungen, als wenn sie wirklich

gedopt waren, aber nichts davon wußten.

Das klassische Doping mit auf den Sympathikus und das Zentralnervensystem wirkenden stimulierenden Substanzen ist für Prokop zumindest bei Großereignissen wie Olympischen Spielen passe. Die Gefahren dabei liegen, wie der Salzburger Sportmediziner Univ.-Prof. Alfred Aigner unisono mit Prokop meint, weniger in den Drogen selbst (sofern es sich nicht um Suchtmittel handelt). Nur spürt der Gedopte die natürlichen Schmerzgrenzen weniger, und so kann es vorkommen, daß einer trotz Hitze, Flüssigkeitsverlust und totaler Erschöpfung weiterläuft oder -radelt, bis er tot umfällt (wie bei den Olympischen Spielen 1960 ein dänischer Radfahrer).

Ähnliches gilt für die Anwendung narkotischer Analgetika beim Boxen; sie läßt die Faustkämpfer viel mehr harte Schläge einstecken als sie eigentlich verkraften können.

Die größten Sorgen machen den Dopingjägern aber die Hormonabkömmlinge, die anabolen Steroide („Anabolika"), das männliche Sexualhormon Testosteron und neuerdings das Wachstumshormon Somatotropin - durchwegs Mittel, die zur Muskelbildung beitragen, schwer nachzuweisen sind, aber auch ernste gesundheitliche Folgen haben können.

Anabolika und verwandte Substanzen werden vor allem in der Aufbau- und Trainingsphase verabreicht. Setzt man sie rechtzeitig einige Wochen vor großen Wettkämpfen ab, so sind sie nicht mehr nachweisbar. Manchmal läßt dann auch die Form stark nach: Noch nie gab es so viele „Totalversager" im Stemmen wie 1976 in Montreal, als die ersten Anabolika-Kontrollen stattfanden.

Längst weiß man, daß Anabolika, wenn man sie massiv über längere Zeiträume nimmt, nach zehn bis 15 Jahren zu Lebertumoren und anderen Schädigungen führen können. Auch die „Vermänn-lichung" weiblicher Athleten (Bartwuchs, tiefe Stimme) ist eine Folge solchen Hormon-Dopings.

Noch gefährlicher dürfte das noch nicht auf der Dopingliste stehende (und daher in Los Angeles noch nicht kontrollierte) Wachstumshormon Somatotropin sein, das normalerweise nur gegen Zwergwuchs bei Kindern verschrieben wird. Bei Erwachsenen können - so Aigner - nur die Spitzen des Organismus weiterwachsen — das sind neben den Muskeln „die Finger, die Nase,

das Kinn, die Ohren, die Zunge". Aber auch ernstere Schäden sind zu befürchten.

Tatsächlich sind die Leute, die im Sport betrügen wollen, ja äußerst erfindungsreich. Seit der Antike wird gedopt. Man hat Gegner gedopt, damit sie bei Kontrollen auffallen (oder sich auf solche Aktionen der Gegner ausgeredet), hat versucht, fremden Urin bei der Kontrolle abzugeben, oder irgendein Leiden (Asthma, Bluthochdruck) vorgetäuscht, um trotzdem bestimmte Mittel nehmen zu dürfen.

Und wo nicht genau kontrolliert wird, wie jetzt bei den Gegen-Olympia-Meetings in Osteuropa, sind überhaupt Fragezeichen angebracht. Fachleute waren ja auch erstaunt, daß bei den Olympischen Spielen in Moskau kein einziger Dopingfall bekannt wur-

de. Prokop läßt durchblicken, daß in der Vergangenheit einiges unter den Tisch gekehrt wurde.

In Los Angeles halten die beiden österreichischen Sportmediziner aber ein Vertuschen, auch wenn ein Vertreter der USA als Dopingsünder ertappt werden sollte, für kaum möglich.

„Sechs Personen müssen Unterschriften leisten von der Abnahme der Urinprobe bis zu ihrem Eintreffen im Labor", sagt Prof. Prokop. Die Analyse erfolgt mit modernsten chemischen Methoden (Gaschromatographie, Massenspektogramm). Doping gilt schon bei der kleinsten Menge einer verbotenen Substanz (nur bei Coffein ist ein gewisses Quantum erlaubt) als erwiesen. Bei einem Dopingfall wird zur Kontrolle eine zweite—inzwischen auf Eis gelegte — Probe im Beisein von Vertretern des Landes des betreffenden Sportlers analysiert. Spätestens dann, so Prokop, geht es „so öffentlich zu wie beim Steuerakt Androsch".

Aigners Vorschlag, Doping besser als durch punktuelle Kontrollen bei Großereignissen zu bekämpfen: fliegende Kommissionen, die jederzeit unangemeldet in den Trainingszentren der Weltklassesportler auftauchen können. Damit wäre der heutigen Praxis, seine Hormone einfach rechtzeitig vor Olympia abzusetzen, ein Riegel vorgeschoben.

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