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DER STROM, der vom Himmel kommt

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Seit knapp einem Jahr ist es nun vom Netz, das Freiburger Solarhaus. Wilhelm Stahl, der seither mit seiner Familie das Haus bewohnt, zieht Bilanz: „Das Bewohnen und Handhaben des Hauses ist absolut unkompliziert".

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Seit knapp einem Jahr ist es nun vom Netz, das Freiburger Solarhaus. Wilhelm Stahl, der seither mit seiner Familie das Haus bewohnt, zieht Bilanz: „Das Bewohnen und Handhaben des Hauses ist absolut unkompliziert".

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Das Außenthermo meter zeigte mi nus acht Grad, als in der Sylvesternacht 1992/93 Heike und Wilhelm Stahl ihren Gästen zuprosteten. Im Haus, das von der Sonne lebt, hatte es 20 Grad Raumtemperatur, die von den Gästen angenehmer empfunden wurden als in herkömmlichen Häusern, weil von den höher temperierten Wänden größere Behaglichkeit ausgeht. Doch nicht nur zu „Prosit Neujahr" fanden sich viele Besucher im Solarhaus ein. Das ganze Jahr über war ein reges Kommen und Gehen von Leuten, die an dieser wahrscheinlich einzigen ökologisch verantwortbaren Energie-Alternative interessiert waren: Zahlreiche Fernsehteams und Journalisten-Vorführungen mit Over-head-Projektoren verdoppelten denn auch den vorausberechneten Bedarf an elektrischer Energie.

Im übrigen aber hat das meist so funktioniert, wie in fünfjähriger For-schungs- und Entwicklungsarbeit vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) vorausberechnet worden ist. Nach weiteren 14 Monaten Bauzeit ist dann im Oktober des vorigen Jahres das erste energieautarke Einfamilienhaus mit Leben erfüllt worden, als Projektleiter Wilhelm Stahl ist mit seiner Familie für zwei Jahre eingezogen ist.

Das Haus hat 145 Quadratmeter, ist zweigeschossig und vollständig unterkellert. Am Dach befindet sich die 36 Quadratmeter große Solarzellenanlage zur Energiegewinnung, im Keller sind die technischen Installa-

tionen, von Elektrolyseur bis zu den Batterien, untergebracht. An sonnigen Tagen gibt das Sonnenkraftwerk 4,2 Kilowatt Strom ab, der in das Netz des Hauses eingeleitet wird. Wichtig sind die an solchen Tagen entstehenden Uberschüsse. Diese werden in die Batterien eingespeichert. Wenn die Akkus voll sind, wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Die dadurch entstehenden Gase dienen als Energiereserve für nebelige Tage, die sich im vergangenen Jahr als das eigentliche Problem erwiesen haben.

Während einer 18tägigen Nebelperiode im Februar, bei der mit Wasserstoff nachgeheizt werden mußte, zeigte sich nämlich, daß der katalytische Wasserstoffbrenner mit einer Leistung von 700 Watt unzureichend dimensioniert ist, was zur Folge hatte, daß die Raumtemperatur unter die von den Technikern als Minimum angesehenen 18 Grad fiel.

Damit die „graue Suppe" im kommenden Winter die Stahls nicht mehr frieren läßt, wird aber eine Modifikation des Brenners genügen.

Etwas schwieriger wird der an den eisigen Wintertagen entstandene Engpaß in der Warmwasserversorgung zu beheben sein. Gerade zu der Zeit, als naturgemäß die Sehnsucht nach einem warmen Bad am größten war, gab es Probleme mit der Brennstoffzelle, die die vom Elektrolyseur in Wasserstoff und Sauerstoff getrennten und in Tanks gespeicherten Energievorräte wieder in Strom und Wärme zurückverwandelt.

Da in den kalten Februartagen die fotovoltaisch erzeugte Energie nicht für die Raum- und Brauchwassererwärmung ausreicht, muß sie deshalb dem Speicher entnommen werden, was ohne leistungsstarke Brennstoffzelle, die zur Zeit weltweit nur von einem Hersteller erzeugt wird, nicht möglich ist. Für einige wenige Tage

wurde das Solarhaus deshalb wieder ans Stromnetz angehängt. Die provisorische Lösung, das Nachladen der Batterien mit Hilfe eines netzgekoppelten Ladegerätes herzustellen, wird die Stahls zwar im kommenden Winter auch an frostigen Tagen die Badewanne benutzen lassen können, befriedigende Lösung ist es aber keine. Dieses Problem stellt also die größte Herausforderung an die Wissenschaftler vom ISE dar, weil der Kauf dieser High-Tech-Zelle enorme Kosten verursachen würde.

Absolut keine Probleme gab es bei der Bewirtung der zahlreichen Gäste, denn der auf der Basis von handelsüblichen Geräten umgebaute Wasserstoff-Herd läßt sich wie ein normaler Gasherd handhaben. Wie übergekochte Milch zu behandeln ist, konnte ziemlich rasch geklärt werden. Wer glaubt, daß nach derart unangenehmen Gerüchen keine Fenster geöffnet werden dürfen, um nicht kostbare Energie zu verschwenden, irrt gewaltig. „Wir haben Fenster geöffnet, wenn uns der Sinn danach stand", meinte Wilhelm Stahl. Das ausgeklügelte System der Transparenten Wärmedämmung (TWD), die die Südfassade umgibt, machte es möglich. Durch die vierfach wärmeschutz-verglasten Fenster fallen die Sonnenstrahlen ein und halten die Wärme in der Wand fest, sodaß diese stets wärmer bleibt als die Raumluft. Im Sommer verhindern Rollos eine Überhitzung.

Insgesamt sind sowohl die Bewohner als auch die Wissenschaftler vom ISE zufrieden mit dem ersten Jahr, das gezeigt hat, daß vollständige Energieautarkie möglich ist. Die-zirka 41 Millionen Schilling teuren Entwicklungskosten sind unvergleichlich besser angelegt, als die Milliarden für die Atomfusion, die immer noch viel mehr Energie verschlingt als sie abgibt. Im kommenden Jahr kann nun mit der Meß-und Feinarbeit begonnen werden, wofür die 150 im Haus installierten Sensoren die Daten liefern. Noch ist das Solarhaus ein Forschungslabor und kein Fertigteilhaus. Doch die Zeit, in der die saubere Energie von jedermann genützt werden kann, ist in greifbare Nähe gerückt.

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