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Der Sturm auf die „Reichspost“ Augenzeugen berichten

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Nachdem sich die FURCHE in ihrer letzten Nummer mit den Ursachen und Folgen der Ausschreitungen des 15. Juli 1927 beschäftigte, wenden wir uns diesmal einem Einzelereignis des „blutigen Freitags“ zu: Dem Sturm auf die Tageszeitung „Reichspost“, die der christlich-sozialen Partei nahestand. Wie kam es dazu? Wer waren die Anstifter? An Hand yon bereits publiziertem und verbreitetem Quellenmaterial und Augenzeugenberichten läßt sich das Bild der dramatischen Stunden in der Strozzigasse rekonstruieren.

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Nachdem sich die FURCHE in ihrer letzten Nummer mit den Ursachen und Folgen der Ausschreitungen des 15. Juli 1927 beschäftigte, wenden wir uns diesmal einem Einzelereignis des „blutigen Freitags“ zu: Dem Sturm auf die Tageszeitung „Reichspost“, die der christlich-sozialen Partei nahestand. Wie kam es dazu? Wer waren die Anstifter? An Hand yon bereits publiziertem und verbreitetem Quellenmaterial und Augenzeugenberichten läßt sich das Bild der dramatischen Stunden in der Strozzigasse rekonstruieren.

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Am Abend des 14. Juli 1927 brannte im Büro des Chefredakteurs der christlich-sozialen Tageszeitung „Reichspost“ in der Strozzigasse Nr. 8 das Licht länger als gewöhnlich. Dr. Friedrich Funder hatte sich verspätet an den Schreibtisch gesetzt, um den Leitartikel niederzuschreiben. Kurz vorher, um halb zehn, hatte der Obmann der Geschworenen im „Schattendorfer Prozeß“ gegen drei Mitglieder der Frontkämpfervereinigung, denen der Tod von zwei Menschen zur Last gelegt wurde, in der unheimli- schen, spannungsgeladenen Atmosphäre, die im Gerichtssaal des Landesgerichtes Wien II herrschte, das Urteil verkündet: Freispruch für die Angeklagten. Dr. Funder nahm die Feder zur Hand und kritzelte in seiner nur für wenige Schriftsetzer entzifferbaren Handschrift den Titel des Leitartikels auf das Manuskript: „Ein klares Urteil“. Der Freispruch der Frontkämpfer- kommentierte Dr. Funder- habe der Erkenntnis Rechnung getragen, daß die wahren Schuldigen der blutigen Ausschreitungen von Schattendorf die sozialdemokratischen Führer seien, die die Schutzbundmannschaft immer wieder in neue Konflikte hineinhetzten. Er ging sogar noch weiter: „So sehr es das Rechtsempfinden befriedigt, daß die Geschworenen die moralische Schuldfrage klar empfunden haben, so bitter ist die Erkenntnis, daß die wahren Schuldigen strafrechtlich nicht zu fassen sind.“ Dr. Funder hatte damit förmlich eine Lunte an das eigene Haus gelegt.

Einer seiner schärfsten politischen und journalistischen Widersacher, Friedrich Austerlitz, Chefredakteur der „Arbeiterzeitung“, hatte um die gleiche Zeit einen Leitartikel.zum selben Prozeßurteil verfaßt: „Die Mörder von Schattendorf freigesprochen“, schrie er im Titel dieses Artikels auf, ein Ausdruck des’ zutiefst verletzten sozialdemokratischen Rechtsempfindens also, gleichzeitig aber auch eine scharfe Warnung an das Bürgertum, denn einmal mehr spielte er mit Bürgerkriegsgedanken. Wenige Stunden später sollten diese Gedanken zur blutigen Realität werden. Austerlitz hatte einen Funken ins Pulverfaß geworfen.

Der Chefredakteur der Arbeiterzeitung“ legte in seinem Leitartikel aber auch (unbewußt) eine Pulverspur in die Strozzigasse. Austerlitz schrieb von einer „infamen Hetze der Regierungsblätter, die sorgsam vorbereitet, planmäßig angelegt“ worden sei. Wörtlich: „Das Bosheitsgrinsen, es werde schon erreicht werden, daß die Mordtaten ungesühnt bleiben, war in jeder Zeile zu spüren… Und diese Schandtat, in lebendige Menschen wie in ein jagdbares Wild hineinzuschießen, haben die feilen Regierungsblätter bemäntelt, gerechtfertigt.“

Am Morgen des 15. Juli wurde im Herold-Verlag die Arbeit wie anjedem Werktag aufgenommen. Auch hier war unter den Arbeitern und Angestellten der Ausgang des Schattendorfer Prozesses das Gesprächsthema Nummer eins. Doch schon lag etwas Drohendes in der Luft: Gegen 8 Uhr hörte man aus den Seitenstraßen die ersten kämpferischen Parolen der aufgebrachten Arbeiterschaft, die in Rich tung Ringstraße marschierte, um gegen den Freispruch der drei Frontkämpfer zu protestieren.

Erste Warnungen

Unter der Belegschaft des Herold- Verlages breitete sich zunehmend Unruhe aus. Zwischen 9 und 10 Uhr häuften sich in der Telephonzentrale jene Anrufe, die vor geplanten Angriffen der Demonstranten gegen die „Reichspost“ warnten. Frau Johanna Pahr saß damals in der Telephonzentrale im Herold-Verlag. An einen Anruf erinnert sie sich heute noch: „Es muß gegen halb zehn gewesen sein, als eine aufgeregte Stimme am anderen Ende der Leitung schrie: ,Paßt’s auf, die kommen zur «Reichspost» und wollen sich am Dr. Funder rächen.“ “

Otto Mangold, ebenfalls ehemaliger Angestellter des Verlages, keim an diesem 15. Juli zu spät zur Arbeit, weil seit acht Uhr die Straßenbahn nicht mehr verkehrte. Zu Fuß ging er über die Ringstraße in Richtung Lerchenfelderstraße. Erberichtet: „Plötzlichwar ich mitten im Aufruhr und aus dem wirren Geschrei hörte ich dann auch vereinzelte Parolen gegen die .Reichspost“: ,Der Funder ist auch schuld. Auf zur «Reichspost»!“ Ich bekam es mit der Angst zu tun und lief rasch in die Strozzigasse, um Dr. Funder zu warnen. Er hatte aber schon ähnliche Gerüchte von anderer Seite gehört.“

Dr. Funder wurde unsicher. Was hatten die Demonstranten vor? Die Angst, ein Bürgerkrieg könnte ausgebrochen sein, wurde größer. Gegen 11 Uhr wurde die „Reichspost“ verständigt, daß das Gebäude der deutschnationalen „Wiener Neuesten Nachrichten“ gestürmt und verwüstet worden sei. Daraufhin ließ Dr. Funder das gesamte Personal nach Hause gehen, einige Angestellte blieben aber freiwillig bei ihm zurück. Ein Ansuchen bei der Polizei, Verstärkung in die Strozzigasse zu schicken, blieb vorerst erfolglos. Etwas später kamen zu den drei bereits anwesenden Wachebeamten noch fünf weitere dazu.

Inzwischen hatten die im Gebäude zurückgebliebenen Frauen und Männer Vorbereitungen getroffen, um den bevorstehenden Angriff abzuwehren: Türen wurden verriegelt, Schreibmaschinen und Geldkassetten versteckt. Otto Mangold und Alois Kloiber- ein weiterer Augenzeuge der damaligen Ereignisse - bereiteten für den Fall ei nes Sturms einen Fluchtweg in einen Hinterhof vor.

Der „Sturm“ beginnt

Auf dem Schmerlingplatz vor dem Justizpalast war die Stimmung der Menge gegen 12 Uhr auf dem Siedepunkt angelangt. Aus dem Justizpalast zogen graue Rauchschwaden in den Himmel. Um etwa halb eins wurden schließlich die Drohungen vom Vormittag wahr gemacht: Rund 200 Demonstranten lösten sich, aufgepeitscht von Agitatoren, aus der Menge vor dem Justizpalast - und marschierten durch die Lerchenfelderstraße in Richtung Strozzigasse. Der Sturm auf die „Reichspost“ hatte begonnen.

Wenig später glich die Strozzigasse einem Hexenkessel: Die aufgebrachte Menschenmasse umlagerte das große Verlagstor, Steine, Eisenstangen und Holzlatten prasselten an die Fenster, die krachend zersplitterten, die Anführer der Demonstranten brüllten Kampfparolen: „Nieder mit der Hetzpresse! Nieder mit den Arbeitermör- dem! Rache für Schattendorf! Funder, Funder… Ein klares Urteil…“ Die Sicherheitswachebeamten hatten sich noch vor dem Angriff in das Innere des Gebäudes zurückgezogen. Dort bildeten sie eine Abwehrkette, die die jetzt immer zahlreicher ins Haus stürmenden Demonstranten aber nicht aufhalten konnte.

Dr. Funder flieht

Für Dr. Funder wurde es Zeit, das Gebäude auf dem vorbereiteten Fluchtweg zu verlassen. Otto Mangold suchte mit ihm einen sicheren Zufluchtsort: „Als wir aus einiger Entfernung noch einmal zum Herold- Haus zurückblickten, stiegen bereits die ersten schwarzen Rauchwolken auf. Dr. Funder mußte in diesem Augenblick an das Ende der .Reichspost“ geglaubt haben. Den Tränen nahe, stammelteer: .Mein Lebenswerk-aus, zerstört.“ Ich brachte ihn in einen Keller in der Piaristengasse und ging selbst wieder zurück zum Verlag.“

Die Verwaltungsräume im Erdgeschoß und im Mezzanin wurden inzwischen zerstört, in der Druckerei schlugen Demonstranten auf Maschinen und Einrichtungsgegenstände ein, Setzkästen wurden umgestürzt. Die Demonstranten demolierten mehrere Arbeitsräume, plünderten die Woh nung Dr. Funders und die Wohnung des Portiers. Mit Benzin wurde dann Feuer gelegt.

Um 13.07 Uhr wurde die Feuerwehrzentrale verständigt. Wenig später traf ein Löschzug ein, der aber kurz vor dem brennenden Gebäude aufgehalten wurde. Erst als der Kommandant des Zuges die Demonstranten auf die große Gefahr hinwies, daß auch die umliegenden Häuser in Brand geraten könnten, wurde die Feuerwehr durchgelassen. Die Löschaktion konnte allerdings noch nicht voll aufgenommen werden. Immer wieder wurden Schläuche zerschnitten, Feuerwehrleute wurden bei ihrer Arbeit behindert, einer mit vorgehaltener Pistole.

Den rettenden Einfall hatte der Feuerwehrkommandant. Otto Mangold erlebte diese Minuten aus allernächster Nähe. „Plötzlich hörte man aus einem Megaphon die Warnung: .Einsturzgefahr, sofort Haus und Straße räumen!“ Fluchtartig stürmten die von Zerstörungswut besessenen Demonstranten und Plünderer aus dem Gebäude, die Straße vor der Hausfassade war gleich darauf menschenleer. Nun konnte die Feuerwehr die noch intakten Schläuche voll einsetzen.“ Um 14.30 Uhr war das Feuer gelöscht.

Das Herold-Haus war verwüstet. Die Räume im Erdgeschoß waren vollkommen ausgebrannt, im Halbstock waren Möbel, Bücher und Akten ein Raub der Flammen geworden, die Einrichtungsgegenstände in den Redaktionsräumen und Korrektoren- zimmem in kleine Stücke zerhackt, die Wohnung des Chefredakteurs geplündert, drei Rotationsmaschinen in der Druckerei beschädigt.

Wer waren die Anstifter?

Namhafte Zeithistoriker, besonders Dr. Gerhard Botz, der sich mit den Ereignissen des 15. Juli 1927 intensiv beschäftigt hat, behaupten, daß es sich bei der Erstürmung der „Reichspost“ um keine aufschaukelnde, spontane Aktion der Arbeiterschaft (etwa wie beim Angriff auf die Wachstube Lich- tenfelsgasse, bei der Verwüstung der „Wiener Neuesten Nachrichten“ und der Redaktion der „Hausherrenzeitung“ sowie der Inbrandsetzung des Justizpalastes), gehandelt habe, sondern ziemlich sicher um eine von linksradikalen und kommunistischen Agitatoren gelenkte Aktion (Symposium Wien, 1972). Um die Mittagszeit, davon berichteten auch kommunistische Publikationen, seien KP-Mitglie- der unter der Demonstrantenmenge beim Justizpalast tätig gewesen. Auch die Wiener Polizeidirektion schilderte kommunistische Aufhetzer, die „in hervorragender Weise mitgewirkt haben, indem sie die Menge mit Aneife- rung von Worten und durch Verbreitung von Flugzetteln zu Gewalttaten aufforderten“.

Das „Mitteilungsblatt der Sozialdemokratie Deutsch-Österreichs“ vom 16. Juli 1927 schrieb im Zusammenhang mit dem Reichspostbrand von einer Menge, „die hier fürchtefliches Gericht hielt“. Offensichtlich kamen den sozialdemokratischen Berichterstattern die Demonstranten zu diesem Zeitpunkt diszipliniert vor, denn: „Als einer den Vorschlag machte, die Maschinen zu zerstören, wurde er von den meisten zurückgehalten: ,Das trifft die Arbeiter, die hier beschäftigt sind!“, sagten sie.“

Zwei Tage später, am 18. Juli, übernahm die „Arbeiterzeitung“ den Bericht über den „Reichspost“-Brand wörtlich, der zweite Teil war allerdings völlig verändert. In diesem Bericht bestand die Menge „zum größten Teil aus kommunistischen Jugendlichen und allerhand zweifelhaften Gestalten“. Die Arbeiterschaft wollte mit diesem Brand also nichts zu tun haben, Abteilungen des Schutzbundes hätten sogar versucht- heißt es in der „Arbeiterzeitung“ weiter -, das Zerstörungswerk zu verhindern und der Feuerwehr einen Weg zu bahnen. Erwiesenermaßen trafen Schutzbundab teilungen aber erst nach der Löschung des Brandes ein.

Die Wiener Polizeidirektion gab in ihrem Bericht zu den Ausschreitungen des 15. Juli 1927 an, daß sich „bereits in den Vormittagsstunden vor der .Reichspost“ ein junger Mann in Uniform des Republikanischen Schutzbundes durch längere Zeit herumtrieb, offenbar, um die Situation auszukundschaften. Nach den Angaben der Zeugen ist nun der gleiche Bursche später als Führer der meist aus Jugendlichen bestehenden Demonstranten wieder zur .Reichspost“ gekommen.“ In dem bereits zitierten Bericht der „Arbeiterzeitung“ kam dieser junge Mann — natürlich nicht in Schutzbunduniform — ebenfalls vor. Er sei der erste Brandstifter gewesen.

„Moskauer Arbeit“

Die „Reichspost“ selbst schrieb in ihrer Ausgabe vom 18. Juli 1927, daß „ari der Spitze des Brandkommandos ein elfegant gekleideter jüdischer Intellektueller stürmte, der die Befehle erteilte“. Die Vermutung der Polizeidirektion, daß der Schutzbund den Sturm auf die „Reichspost“ initiiert habe, ist also nicht zutreffend. Die „Reichspost“ schilderte außerdem: „Die Gesellschaft des Führers bestand nicht aus Leuten, die dem Arbeiterstand angehörten und die schon durch ihr Äußeres verrieten, daß sie aus den dunkelsten Elementen der Großstadt stammten.“ Offensichtlich glaubte auch Dr. Funder, daß der Sturm auf die „Reichspost“ das Werk radikaler Kommunisten war: „Hier war Moskauer Arbeit am Werke, wohlorganisiert und vorbereitet.“ Er stützte sich dabei insbesondere auf Zeugenaussagen, daß schon um 7 Uhr früh bei einem Hausmeister in der nahen Zeltgasse Kannen mit leicht brennbarer Flüssigkeit aufbewahrt worden waren, die kurz vor dem Sturm abgeholt worden seien.

Daß der Überfall auf die „Reichspost“ tatsächlich schon so früh geplant war, ist unwahrscheinlich. Es widerspräche dem gesamten Ablauf des Aufruhrs von seinem Beginn bis zum Brand des Justizpalastes. Daß diese Aktion aber vom Mittag an - als die Tätigkeit kommunistischer Agitatoren spürbar wurde (Botz: Symposium 15. Juni 1977)-gelenkt wurde, scheint sicher zu sein. Das bestätigte auch die Wiener Polizeidirektion: „Speziell der Überfall auf diese Zeitung war vielleicht nicht ein spontaner Ausdruck des Unwillens von Gegnern über die Haltung des Blattes während des Schattendorfer Prozesses.“

Ungereimtheiten beim Ablauf des Angriffs auf die „Reichspost“ ergeben sich noch durch die Aussagen verschiedener Augenzeugen. Sie behaupten, daß schon zwischen neun und zehn Uhr „Anti-Reichspost-Parolen“ geschrien wurden, die zu einem Angriff auf diese Zeitung aufforderten. Trotzdem ist kaum anzunehmen, daß ein Großteil der Arbeiterschaft die christlich-soziale „Reichspost“ an diesem Morgen gelesen hatte. Schon zu diesem Zeitpunkt könnten aber von Agitatoren Versuche unternommen worden sein, die Demonstration in eine bestimmte Richtung zu lenken.

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