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Der Südpol wird enteist

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Ein Blick auf die Landkarte der südlichen Erdkappe zeigt es: Die Malvinas (Falkland-In-seln) sind nicht die einzigen Inseln, über die zwischen Argentinien und Großbritannien Meinungsverschiedenheiten herrschen. Es geht auch um die britisch verwalteten Shag Rocks, South Georgia (das derzeit wieder fest in britischer Hand ist), um die South Orkneys und South Sandwich.

Und außerdem sind da die sich überschneidenden Ansprüche in der Antarktis. Eingefroren sind durch den Antarktispakt seit 1959 nur die Forderungen am Südpol, um die Inseln kann, wie der Vor-

stoß der Argentinier vom 2. April gezeigt hat, gestritten werden.

Übrigens liegen sich auch Chile und Argentinien in den Haaren, denn Argentiniens Antarktisansprüche überlappen nicht nur mit den britischen, sondern auch mit den chilenischen. Beide Länder, Chile und Argentinien, lehren ihre Kinder in der' Schule, daß die kleineren Inseln und die Antarktishalbinsel in der Fortsetzung der Anden, zum eigenen Heimatland gehören. Der Vatikan vermittelt feinfühlig in diesem Konflikt.

Der Handstreich Argentiniens auf die Malvinas, Großbritanniens Zurückschlagen und Rück-

eroberung, die Parteinahme Europas und der USA für Großbritannien werden, wie immer sich die Angelegenheit des Südpols entwickelt, auf diese abfärben. War bisher immer die Rede davon, daß sich die mächtigen Forschernationen USA und UdSSR den Mineralienkuchen unterm Eis teilen werden, so ist seit dem 2. April klar, daß die südliche Halbkugel solchem nicht tatenlos zusehen wird.

Argentiniens Aktion hatte nicht zuletzt wirtschaftliche Gründe. Im Kontinentalsockel, der Argentinien mit den Malvinas verbindet, liegt Ol. Eine Gulf-Oil-Expe-dition zeigte, daß auch unter der Ross- und Weddellsee öl liegt Ersten Schätzungen zufolge ebenso viel wie in Alaska.

Unter dem Eis der Südkappe ruhen Kohle, Eisen, Uran, Platin, Tantal, Lithium und Chrom, um nur die wichtigsten Mineralien zu nennen. In zwei, drei Jahrzehnten wird die Hebung möglicherweise wirtschaftlich sein.

Als 1959 mit dem Antarktispakt alle Gebietsansprüche eingefroren wurden, wußten die Signatarstaaten um die Notwendigkeit einer Abkühlungsphase. Schon da-

mals war nur ein Stück der Poltorte „unclaimed" (unbean-sprucht): Der Sektor zwischen chilenischem und neuseeländischem Eis. Australien hatte bereits abgesteckt (auch, siehe oben, Argentinien, Chile und Großbritannien), ebenso Frankreich und die Polarforschernation Norwegen.

Zu den Signatarmächten, die sich mit „freies Gebiet für die Forscher aller Länder" und .jeder darf beitreten" sehr weltweit gaben, gesellten sich bald weitere Wirtschaftsinteressenten, sodaß heute Argentinien, Chile, Neuseeland, Australien, Südafrika, Japan, Großbritannien, Belgien, die USA, die UdSSR, Polen, Norwegen, Frankreich und die BRD mit den assoziierten Staaten die Niederlande, die CSSR, Rumänien, Dänemark, die DDR und Brasilien an einem Tisch sitzen — und Rotchina hat soeben sein Interesse angemeldet.

Das Wissenschaftsparadies, in dem die USA und die UdSSR dominieren, ist also eines auf Zeit. Jeder darf bei jedem ein und aus gehen (was angesichts der Distanzen zwischen den Stationen und dem Wetter eher selten zu un-

angemeldeten Besuchen führt), und die Forschungsergebnisse werden über ideologische Grenzen hinweg ausgetauscht.

Neben Klima-, Kohlendioxid-, Ozonmessungen und psychologischen Studien über die Einsamkeit in sechsmonatiger Polarnacht haben die Forscher 900 wertvolle Stoffe entdeckt, die auf ihre Bergung warten. Darum wird es 1990 gehen. Darum geht es heute schon. Und davon wissen auch Nichtclubländer: Uruguay, Peru und Kolumbien haben sich angemeldet. Sie wollen auch ein Stück Polkuchen.

Die USA, die UdSSR und\ die BRD haben bisher keine territorialen Ansprüche erhoben. Das ist keineswegs so überraschend, wie es auf den ersten Blick aussieht. Sie plädieren für die Internatio-nalisierung des Gebietes, sodaß jeder naschen darf. Nun, es kann eben nicht jeder.

Das Heben von Bodenschätzen in diesem Gebiet ist so anspruchsvoll, daß nur die technisch höchstentwickelten Länder werden mithalten können. So wie auch bei der Bergung von Mineralien vom Meeresboden. Die Parallelen zur Seerechtskonferenz oder zur der-

zeit in Wien stattfindenden Welt1-raumkonferenz, bei der auch die Nutzung zur Sprache kommen wird (so ist etwa der Ring für geo-stationäre Satelliten so gut wie vollbesetzt, vor allem von den USA, UdSSR und Europa), drängen sich auf.

Die Diskussion um Tiefsee, Weltraum und Südpol wird zunehmend bitter. Die armen Länder, die Schwellenländer, die Entwicklungsländer wollen — nachdem sie jahrhundertelang als Rohstoffquellen für Europa" und ihre Kinder gedient haben — die „restlichen" Gebiete nicht nur frei und internationalisiert, sondern für alle: als „Common Heritage of Mankind", als gemeinsames Erbe der Menschheit, nicht nur auf dem Papier, sondern in der Teilung der zu gewinnenden Ressourcen.

Bisher stieß jeder Vorstoß, den die UNO oder die Welternährungsorganisation auf diesem Gebiet unternommen hatten, bei den Hochindustrialisierten auf taube Ohren. Auch liegt noch kein viables Konzept für so eine Regelung vor. Aber so viel steht fest: Der Nord-Süd-Dialog wird mit den Ereignissen um die Malvinas eine neue und härtere Note bekommen.

Sie werden auch der Südpoldiskussion eine ganz neue Richtung geben, wenn die lateinamerikanischen Schwellenländer nach der heftigen USA- und Europa-Enttäuschung des Jahres 1982 ihr wachsendes Gewicht vorbehaltlos für die Entwicklungsländer in die Waagschale werfen.

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