6867370-1978_09_03.jpg
Digital In Arbeit

Der Tag, an dem in Prag die Kommunisten losmarschierten

19451960198020002020

Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches glaubten viele Politiker und Publizisten des Westens daran, daß es wieder eine liberal-demokratische und freiheitlich-rechtsstaatliche tschechoslowakische Republik geben würde. Man hatte dem im Londoner Exil tätigen Expräsidenten Benes und seinem Außenminister Jan Masaryk vertraut, die dem Westen die völkerrechtliche Kontinuität beteuerten. Einsichtige Politiker erkannten allerdings die neuen politischen Tatsachen, die durch eine von Moskau aus tätige Emigration und die vom Osten her erfolgte militärische Befreiung eingetreten waren.

19451960198020002020

Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches glaubten viele Politiker und Publizisten des Westens daran, daß es wieder eine liberal-demokratische und freiheitlich-rechtsstaatliche tschechoslowakische Republik geben würde. Man hatte dem im Londoner Exil tätigen Expräsidenten Benes und seinem Außenminister Jan Masaryk vertraut, die dem Westen die völkerrechtliche Kontinuität beteuerten. Einsichtige Politiker erkannten allerdings die neuen politischen Tatsachen, die durch eine von Moskau aus tätige Emigration und die vom Osten her erfolgte militärische Befreiung eingetreten waren.

Werbung
Werbung
Werbung

Zudem hatte Benes gegen das Interesse und gegen den Rat der englischen Regierung am 12. Dezember 1943 in Moskau einen „Vertrag über Freundschaft, gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit nach dem Krieg“ abgeschlossen, in dessen Artikel 4 die Verpflichtung enthalten war, „kein Bündnis abzuschließen und sich an keiner Koalition zu beteiligen, die gegen die andere hohe vertragschließende Partei gerichtet ist“.

Nach der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 26. Mai 1946 hatten die Kommunisten 38 Prozent, die Sozialdemokraten 12 Prozent der Stimmen, was eine knappe Mehrheit für die Marxisten im Parlament ergab. Zum Ministerpräsidenten avanchierte der langjährige Chef der KPÖ, Klement Gottwald.

Von den 26 Ministerien hatten zwölf die Kommunisten und Sozialdemokraten, zwölf besetzten zusammen die Volkssozialisten - auch „Benes-Par-tei“ genannt -, die tschechischen Volksparteiler und die slowakischen Demokraten, deren Partei ein Auffangbecken für alte Autonomisten war. Zwei Minister, Außenminister Jan Masaryk und Verteidigungsminister General Ludvlk Svoboda, waren parteilos. Masaryk galt als ein Mann des Westens, der General war ein getarnter Kommunist.

Im Juli 1947 bot US-Außenminister George Marschall ERP-Hilfe an. In Prag wollte man mit beiden Händen zugreifen, Stalin jedoch ließ dies nicht zu. Etwa zur selben Zeit gab es diplomatische Verhandlungen über den Abschluß eines französisch-tschechoslowakischen Beistandspakts. Wieder wußte Stalin das zu verhindern. Mitte 1947 führte ein regenloser Glutsommer zu einer katastrophalen Dürre, die nicht einmal die Hälfte der normalen Getreideernte erwarten ließ. Was tun, da man gerade die ERP-Hilfe hatte ausschlagen müssen? Da bot Stalin großzügig 650.000 Tonnen Getreide an, mehr, als man in Prag gefordert hatte. Um aber den Bauern helfen zu können, sollten durch eine sogenannte „Millionärssteuer“ sechs Billionen Tscheche-Kronen aufgebracht werden. Um diese Steuer entbrannte ein heftiger Parteienstreit und die Unruhe im Land stieg weiter an, als bekannt wurde, daß gegen Außenminister Jan Masaryk, Justizminister Dr. Prokop Drtina und einen weiteren, westlich eingestellten Minister Attentate geplant gewesen waren, die gerade noch rechtzeitig aufgedeckt werden konnten.

Zur eigentlichen Staatskrise aber kam es erst am 13. Februar, als der Justizminister von ständigen Entlassungen nichtkommunistischer Polizeioffiziere berichtete und mitten in diese Regierungssitzung eine neue Meldung hereinplatzte, daß acht weitere Polizeioffiziere der nationalen Sicherheitspolizei ihres Amtes enthoben wurden, um durch linientreue KP-Mitglieder ersetzt zu werden. In dieser stürmischen Sitzung boten die zwölf nichtkommunistischen Minister ihre Demission an, die von Präsident Benes aus taktischen Gründen zwar gutgeheißen, gleichzeitig aber zur Stützung der ihm nahestehenden Minister nicht angenommen wurde. Damit sollte die Regierung Gottwald zu Fall gebracht werden. Die Situation wurde dadurch kompliziert, daß die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung ROH plötzlich auch noch die Erweiterung der „Nationalen Front“ durch außerparlamentarische Gruppen, wie Widerstandskämpfer und Gewerkschaften, forderte.

Schließlich traf ohne jede Ankündigung, beim. Staatspräsidenten .pder beim Außenminister der „Umsturz-Experte“ und stellvertretende Außenminister der UdSSR, Valerian Sorin, in Prag ein, um angeblich auf einer Tagung der Gesellschaft für

tschechoslowakisch-sowjetische Freundschaft eine Rede zu halten. Gleichzeitig wurden Gerüchte verbreitet, die Rote Armee stünde an der ostslowakischen Grenze zum Einmarsch bereit, falls man sich in Prag den Forderungen der Kommunisten mit Waffengewalt widersetzen würde. Ministerpräsident Klement Gottwald hatte schon vorher bei einer Massenveranstaltung auf dem Altstädter Ring den Staatspräsidenten aufgefordert, die Demission der „zwölf kapitalistischen und verräterischen Minister“ anzunehmen.

Planmäßig wurden um Prag herum verläßliche Polizeitruppen konzentriert und die sogenannten Arbeitermilizen bewaffnet. Zwischen Benes und Gottwald kam es auf dem Hra-dschin zu einer dramatischen Unterredung, bei der Gottwald dem Präsidenten mit den Worten gedroht haben soll: „Die KPC wird von nun an im ganzen Land für Ruhe und Ordnung sorgen, wenn die Demission der zwölf Minister nicht sofort angenommen wird.“

Noch am Mittwoch, dem 25. Februar, hatten Tausende Studenten fü r eine strikt parlamentarische Lösung demonstriert. Zunächst gab es Handgemenge mit der Polizei vor dem Nationaltheater und auf der Legionenbrük-ke. Die Studenten versuchten dann über die Kleinseite zur Burg zu kommen. Auf der steilen und engen Neru-da-Gasse wurde ihnen der Weg von der Polizei versperrt: Schüsse fielen, Tote und viele Verwundete blieben auf dem Straßenpflaster liegen. Die Studenten ahnten nicht, daß Benes um diese Stunde bereits alles unterschrieben hatte, was Gottwald von ihm verlangt hatte. Die KP saß nun an allen Hebeln der Macht...

Am 28. Februar stürzte sich der entlassene Justizminister Drtina aus dem Fenster seiner Wohnung. Am 10. März lag der von der Regierung übernommene Außenminister Jan Masaryk tot im Hof des Palais Czernin. Prag war wieder einmal seinem Ruf gerecht geworden: die Stadt der Fensterstürze.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung