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Der Tanz auf dem Vulkan

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Das Jahr 1986 könnte als Beginn eines dauerhaften Versöhnungsprozesses in die Geschichte Nordirlands eingehen, ebenso wahrscheinlich jedoch sind Chaos und Selbstzerstörung. Und noch nie in diesem Jahrhundert waren die Ziele und Strategien sämtlicher am Nordirlandkonflikt beteiligten Staaten, Parteien und Gruppen so unmißverständlich festgelegt wie heute.

Der Anlaß zur Verschiebung des nordirischen Koordinatennetzes war das Abkommen von Hülsborough, das am 15. Novem-

ber zwischen Großbritannien und der Republik Irland unterzeichnet und seither von den Parlamenten ratifiziert wurde.

Mit dem Vertrag erhielt die irische Republik ein begrenztes Mitspracherecht bei der Verwaltung der britischen Provinz Nordirland. Am 11. Dezember tagte erstmals die gemischte Regierungskonferenz unter dem gemeinsamen Vorsitz des irischen Außenministers Peter Barry und des britischen Staatssekretärs für Nordirland, Tom King. Im Rahmen dieser Konferenz vertritt Barry die Interessen der katholischen Bevölkerungsminderheit in Nordirland (rund 40 Prozent) und hat das vertragliche Recht, seine

Ansichten und Vorschläge zu praktisch jedem aktuellen Bereich nordirischer Realität zu äußern.

Die britische Seite behielt sich das Entscheidungsrecht in allen strittigen Fragen vor — und behauptete damit den eigenen Sou-veränitätsanspruch zum mindesten formal —, doch sie verpflichtete sich, in jedem Fall „entschlossene Anstrengungen" zu unternehmen, um zu einem beiderseitig akzeptablen Kompromiß zu gelangen.

Der Vertrag wird als fundamentalste Umwälzung seit den zwanziger Jahren gefeiert. Tatsächlich jedoch bietet das Abkommen nur ein Rahmenwerk, das im verbitterten und kompromißlosen nordirischen Alltag erst noch mit praktischer Politik ausgefüllt werden muß.

Die britische Regierung scheint gewillt, dem protestantischen Widerstand gegen das Abkommen mit Dublin mit allen Mitteln zu trotzen. Im Gegensatz zu früheren britischen Nordirlandinitiativen verfügen die Unionisten diesmal über keinen nennenswerten Rückhalt in der britischen Öffentlichkeit.

Margaret Thatcher hat die Unterstützung der gesamten Opposi-

tion. Sie will die Iren beim Wort nehmen und in Zukunft mit vereinten Kräften gegen die IRA vorgehen.

Unklar ist, ob Frau Thatcher den Vertrag als ersten Schritt zu einem britischen Rückzug aus Nordirland sieht. Zwar beteuert sie das Gegenteil, doch die alljährlichen 35 Milliarden Schilling britischer Steuergelder, die der ungeliebten Provinz das Uberleben ermöglichen, sind ihr sicherlich ein Dorn im Auge.

In Nordirland selbst, wo der Vertrag schließlich implementiert werden muß, sieht die Lage wesentlich düsterer aus. Die Unionisten scheinen zu allem entschlossen, um den verhaßten Vertrag, zu Fall zu bringen.

In ihren Augen ist die irische Mitsprache nur die erste Stufe eines katholischen Einheitsstaates. Sie boykottieren deshalb die britische Nordirlandverwaltung und haben ihre Sitze im britischen Parlament aufgegeben. Die Nachwahlen, die am 23. Januar stattfinden, sollen dem Vertrag ein

donnerndes „Nein" der Bevölkerung entgegenschleudern. Sollte London dann noch immer am Abkommen festhalten, steht ein Steuerstreik bevor. Offen bleibt dabei allerdings, wie lange die Unionisten unter der immer unbestritteneren Führung von Pfarrer Ian Paisley den protestantischen Terror in Schranken halten können.

Die IRA (Irisch Republikanische Armee) hat dem Vertrag in einer „Weihnachtsbotschaft" den totalen Krieg angesagt. Seit den Unterschriften in Hülsborough haben Granaten der IRA bereits sieben nordirische Polizeistationen ganz oder teilweise zerstört. Die permanente Bedrohung der Bauunternehmer mit dem Tod verhindert einen Wiederaufbau. Noch sind spektakuläre Massaker ausgeblieben, doch nichts deutet auf eine friedliche Zukunft. Erst die Nachwahlen werden zeigen, ob der Vertrag eines seiner zentralen Ziele erreicht: dem Terror die politische Basis durch spürbare Reformen zu entziehen. Die Stimmen für Sinn Fein, den politischen Flügel der IRA, werden als Maßstab dafür gelten, ob die katholische Minderheit Vertrauen in den jetzt begonnenen Prozeß hat.

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