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Der Tenor der Jugend: Alternativen, ja bitte!
„Die“ Jugend von heute gibt es nicht. Es gibt auch nicht „das“ typische Leben, das für alle, die den „Schulstreß“ überstanden haben und nicht den Drogen,, Sekten oder Glücksspielautomaten verfallen sind, zumindest noch eine saftige „Midlife crisis“ bereithält, ehe sie der „Pensionsschock“ der letzten Ullusionen beraubt. Verallgemeinerungen und Kli
schees sind unangebracht, wo es um menschliche Individuen geht, nur gründliche Untersuchungen lassen über eine ganze Menschengruppe vorsichtige Aussagen zu.
In einigen Untersuchungen sind bereits Merkmale der heutigen Jugend, insbesondere ihre kritische Haltung gegenüber der Politik und ihre positive Einstellung zur Familie, deutlich zutage getreten. Nun liegt eine neue Studie des Soziologen Erich Brun- mayr vor, die neue Erkenntnisse bringt und alte bestätigt. Im Auftrag der ÖVP-Landesrätin Liese Prokop wurden dafür rund 1300 Jugendliche im österreichischen Kernland Niederösterreich befragt, das sowohl für den städtischen wie auch den ländlichen Bereich repräsentativ ist.
Relativ zufrieden zeigten sich die Jugendlichen (durchwegs zwischen 15 und 19 Jahren) mit dem üblichen Leben in der Familie, mit der Art zu wohnen, mit der Arbeit im Betrieb und mit dem üblichen Schulbetrieb. Bei Arbeit im Betrieb kreuzten immerhin 20 Prozent die Antwortmöglichkeit „berührt mich nicht“ an, ebenso viele bei Kirche, während es bei den politischen Parteien sogar 43 Prozent waren!
Obwohl eine klare Mehrheit die Demokratie als die beste Staatsform einstuft, glaubt die Mehrheit der Jugendlichen, daß es in der Politik ziemr lieh korrupt zugeht und mehr um die Partei als um Allgemeininteressen. Nur 49 Prozent würden mit Überzeugung eine Partei wählen, 30 Prozent nur mit Widerwillen, und 21 Prozent erklärten, sie würden momentan, gar nicht wählen gehen.
Die jüngsten Jugendunruhen werden von den Jugendlichen jedenfalls nur selten „Spinnern“ angelastet oder als vom Ausland gelenkt empfunden (Tabèlle A).
Zwar sind 87 Prozent dafür, daß die Behörden bei solchen Vorfällen einschreiten, aber nur 35 Prozent befür
worten ein Durchgreifen „mit aller Härte“. 94 Prozent wollen, daß es zu einem Gespräch mit den jungen Leuten kommt, und 72 Prozent, daß auf deren Vorschläge eingegangen wird.
Was den Beruf betrifft, hat für eine deutliche Mehrheit eine wirklich befriedigende Tätigkeit gegenüber einem gut bezahlten Beruf, in dem man nur zu arbeiten und zu funktionieren hat, Vorrang. Lieber Aussteiger als Aufsteiger, scheint die Devise zu sein.
Zwiespältig sind die Antworten zum Thema Gewaltfreiheit (Tabelle B): Zwar akzeptiert die Mehrheit die militärische Landesverteidigung, aber in deren Rahmen Menschen umzubringen, lehnen die meisten ab.
Eine knappe Mehrheit führt Klage, „die meisten Eltern sind am hohen Lebensstandard und an materieller Sicherheit mehr interessiert als an einem glücklichen Familienleben“. Gefühle sollten spontaner gezeigt werden können, das Leben nicht in so feste Regeln gepreßt sein. Statt „komfortabel zu wohnen“ wollen die meisten Jugendlichen „lieber gemütlich hausen“.
Noch viel deutlicher bekennt sich die in der Studie herausgehobene Gruppe der Sympathisanten der Alternativbewegung zu den Jugendunruhen und Hausbesetzungen, zur Gewaltlosigkeit (hier wird offenbar Gewalt gegen Personen genau von Gewalt gegen Sachen getrennt) und zur Kritik am politischen System, nicht aber an der Demokratie an sich.
Große Sympathien gegenüber der Alternativbewegung und weitgehende Übereinstimmung mit deren Ideen ergab eine Sonderauswertung der Drogengefährdeten. Die Studie zählt dazu bereits zwölf Prozent der Befragten, „echte“ Drogenerfahrung (also mehrmaliger Konsum) dürfte aber nur drei Prozent betreffen.
Kennzeichnend für die Drogenge- fahrdeten ist ein gestörtes Verhältnis zum Elternhaus, besonders zum Vater, und ein totaler Zweifel am Sinn des Lebens. Überrepräsentiert sind Kinder von Selbständigen, Freiberuflern, Akademikern und berufstätigen Müttern. Diese bekannten Tatsachen werden durch die deprimierend eindeutigen Zahlen dieser Studie »erhärtet.
Während Drogengefährdete seltener als der Durchschnitt einer Vereinigung oder Organisation angehören, sind Sektengefährdete (auch diese Gruppe wurde in der Studie eigens erhoben) in hohem Maß Gemeinschaftsmenschen, vor allem natürlich in kirchlichen Organisationen (seitens der nichtgefahrdeten Jugendlichen finden Sportvereine am meisten Zulauf).
Das Potential dèr Sektengefährdeten in Niederösterreich wird auf etwa acht Prozent geschätzt. Diese jungen Menschen haben meist sehr idealisti-
Der Einzugsbereich von Wien (Südbahn, Indu'strieregion, aber auch das Weinviertel) ist- besonders betroffen, das Waldviertel liegt im Mittelfeld, am besten sieht es noch im Mostviertel und in der Wachau aus.
Wo liegen nun die Ansätze, diesen Tendenzen in der Jugend zu begegnen? Was ist den jungen Menschen wirklich wichtig?
Eine Briefumfrage von Landeshauptmann-Stellvertreter Leopold Grünzweig (SPÖ) im Rahmen der Aktion „Jung sein in Niederösterreich“ brachte eine Rücklaufquote von 25 Prozent(rund 17.000 Zuschriften):
Für sehr wichtig halten Jugendliche die Sicherung der Arbeitsplätze und eine gute Berufsausbildung, verstärkte Maßnahmen gegen den Drogenmißbrauch, verstärkte Hilfe für behinderte Menschen, erschwingliche Wohnungen für junge Menschen, den Ausbau der medizinischen Betreuung und verstärkte Initiativen für den Umweltschutz.
verkürzte Arbeitszeit für sehr wichtig. Nach der Nutzung der Kernenergie wurde vorsichtshalber nicht gefragt ...
Aus der Brunmayr-Studie gehen vier wichtige Anliege’n der Jugend hervor: Gewaltlosigkeit - Menschenwürde (mehr Platz für Gefühle) - Einfacher leben (Familie und Erfüllung vor Verdienst und Streß) - Glaubwürdigere Politik (außerhalb von Parteihierarchien).
Über allem steht der von der Jugend oft als besonders drückend empfundene Mangel an eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. Alles ist überorganisiert, der Staat brüstet sich, er sorge für alles. Auch von Eltern (gerade von Drogen- oder Sektengefährdeten) hört man: „Unser Kind hat bei uns doch alles gehabt.“ Vielleicht hat es eines nicht gehabt: ein Selbstwertgefühl - das ungeheuer wichtige Bewußtsein, mit einer sinnvollen eigenen Leistung Anerkennung zu finden.
Man macht es sich zu leicht, die jungen Leute als „Spinner“ abzutun. „Träumer“ trifft wahrscheinlich eher zu. Man macht es sich aber auch zu leicht, dieser Jugend in allem recht zu geben. Natürlich wurde und wird hier auch ständig übers Ziel geschossen, und zu denen, die am lautesten schreien, gehören auch verzogene Wichtigmacher.
Da man hierzulande aber meist nur als Krawallmacher in die Medien kommt, haben die Unruhestifter immerhin ein Gutes getan, nämlich das latente Unbehagen einer viel größeren Zahl von Jugendlichen aufgezeigt.
Wer könnte leugnen, daß die jungen Leute sehr oft den Finger auf wunde Punkte gelegt haben (Zwentendorf, Parteipolitik, Wohnungspolitik, Rolle der Familie, Waffenexporte, Umweltschutz)?
Und wer könnte leugnen, daß die Jugendlichen letztlich sehr positiv eingestellt sind, wenn laut Brunmayr- Studie folgende Menschen ihnen besonders sympathisch sind:
• „den das Leben freut und dem die Arbeit und Freizeit etwas gibt“ und
• „der verheiratet ist, Kinder hat und in seiner Familie so richtig aufgeht“?
Angesichts der politischen Lage ist ein echter Dialog der Generationen - möglichst in einem Raum ohne Schmollwinkel - sehr zu empfehlen.
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