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Der Tiger zeigt jetzt seine Krallen

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Nach Redaktionsschluß kam die Zustimmung Präsident Chun Doo Hwans zu einem 8-Punkte-Demo- kratisierungsprogramm - Hintergrundinformation in unserem Augenzeugenbericht.

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Nach Redaktionsschluß kam die Zustimmung Präsident Chun Doo Hwans zu einem 8-Punkte-Demo- kratisierungsprogramm - Hintergrundinformation in unserem Augenzeugenbericht.

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„Ich werde Sie auf den Stufen der Kathedrale empfangen“, hatte Pater Augustin Harn, der Sekretär des Erzbischofs von Seoul, Kardinal Stephan Kim-souwan am Telefon gesagt. Ich nahm ein Taxi ins Stadtzentrum von Seoul, in dessen Mitte die Kathedrale von Myongdong steht. Wir kamen nicht weit. An der Zufahrt zum erzbischöflichen Palais versperrte uns Polizei den Weg. Sondereinheiten, die sogenannte „Riot Police“, mit Helmen, Visier aus Plastik, Schildern, die an mittel-

alterliche Turnierspiele erinnern, Holzknüppel in den Fäusten.

Ich stieg aus, zückte meinen Presseausweis, kam durch, die menschliche Mauer zeigte ein kleines Loch. Der nächste Kordon, noch einer. Jetzt konnte ich schon den Hof der Kathedrale sehen, voll von Menschen. Lieder ertönten, über einen Lautsprecher hörte man „We shall over- come..die Hymne der amerikanischen Bürgerrechtskämpfer. Die letzte Polizistenkette, dann nur noch Scherengitter, Stacheldraht, Ketten.

Noch ein Versuch, hier durchzukommen. Unsere Verhandlungen werden durch Geknatter unterbrochen. Es klingt wie Feuerwerkskörper, aber das Resultat ist anders. Ein süßlicher Geruch breitet sich aus, und schon beginnt das Brennen der Augen, Niesreiz, Hustenreiz und Schluckbeschwerden, alles auf einmal.

Alltag in Korea in diesen Juni/ Julitagen. Tränengas ist zur wichtigen politischen Waffe geworden. Geschäfte, Büros müssen schließen, weil die Angestellten nicht Weiterarbeiten können. Selbst bis in die Hotels auf den Hügeln dringt das Gas, Ausländer flüchten in die klimatisierten Räume. Ausländische und koreanische Kollegen lachten über meine erste Erfahrung, berichten mir, daß in Korea das stärkste Gas eingesetzt wird, die Gasproduktion zu den lukrativsten Geschäften gehört, denn nach offiziellen Angaben wurden 1985 mehr als

204.0 Kanister Gas abgefeuert. Heuer dürfte diese Zahl längst überschritten sein. Gegen die Demonstrationen werden mehr Polizisten als Teilnehmer eingesetzt.

Wogegen? Worum geht es? Viel hat sich in diesen Wochen aufgestaut. Es begann im April damit, daß Präsident Chun Doo Hwan die Tür für Verhandlungen über eine Verfassungsreform zuknallte. Die Opposition verlangt die Direktwahl des Präsidenten durch das Volk, die Regierung will an der Wahl durch ein Kollegium von 5.000 Jasagern festhal- ten, die ihr die Macht sichert.

Als Begründung für seinen Entschluß, erst nach den Olympi schen Spielen wieder zu verhandeln, nennt der Präsident die Spaltung der Oppositionspartei, die er und seine Partei durch Druck, Drohungen und Versprechungen selbst herbeigeführt hatten. Es war ein Pyrrhussieg, denn, in der NKDP (Neuen Demokratischen Partei Koreas) hatte sich eine institutionalisierte Opposition entwickelt. Nun haben die beiden Kim (Dae Jung und Young Sam) eine weitaus radikalere Partei (RDP - Reunification De- mocratic Party/Wiedervereini- gungs- und Demokratische Partei) gegründet und 80 Prozent der Abgeordneten der NKDP mitgenommen.

In die Enttäuschung über Chuns brüsken Abbruch platzte die Nachricht vom Foltertod des Studenten Park Chong Chol. Der Einundzwanzigjährige war am Abend des 11. Jänner auf dem Heimweg nach einem Gasthausbesuch ohne Haftbefehl festgenommen worden. Drei Stunden später war er tot,.Schock“, hieß es in der ersten polizeilichen Meldung. Dann stellte sich heraus, daß Park erstickt war, als sein Kopf in ein gefülltes Waschbek- ken gedrückt wurde. Zwei Polizisten wurden als Schuldige festgenommen. Doch katholische Kreise entdeckten, daß weitere hohe Polizeioffiziere in den Fall verwickelt waren, schließlich sogar der Polizei Vizepräsident, der den beiden Polizisten Bankkonten an- bot, wenn sie sich als schwarze Schafe zur Verfügung stellten. Der Skandal löste eine Regierungskrise aus, der Ministerpräsident, sein Stellvertreter, ein halbes Dutzend führender Minister und der Chef des Geheimdienstes wurden entlassen.

Es folgte ein Presseprozeß gegen drei Journalisten, die in einem Magazin sogenannte „Richtlinien“ der Regierung für die Zeitungen veröffentlicht hatten. Sie lieferten den Beweis dafür, daß die Regierung den Medien Tag für Tag bis ins Detail „empfiehlt“, ob, wie und in welcher Aufmachung zu berichten sei. So etwa soll über amerikanische Kritik an den Zuständen in Südkorea gar nicht oder wenig berichtet werden, über die Sicherheitsverpflichtungen Washingtons aber viel und groß.

Oder: Nach der Entführung eines südkoreanischen Diplomaten im Libanon sei kein Hinweis auf moslemische Terroristen zu nennen, vielmehr die Vermutung, daß Nordkorea dahinterstecke. Noch vor Beginn des Prozesses wurden die Angeklagten mit dem erstmals vergebenen katholischen Pressepreis ausgezeichnet.

In diesen kritischen Wochen gab es schließlich noch den Jahrestag der Ereignisse von Kwang- ju, wo 1980 mindestens 200 Menschen (nach anderen Angaben bis zu 2000) von Polizei und Armee getötet wurden, eine Wunde, die nicht vernarbt ist und die heuti- gen Machthaber schwer belastet

Wieweit das Regime vom Pulsschlag des Volkes entfernt ist, bewies Chun, indem er angesichts dieser Skandale und Probleme seinen innenpolitischen Fahrplan fortsetzte, als sei nichts geschehen.

Im Fernsehen konnte ich die „Wahl“ des Kandidaten für die nächste Präsidentschaft verfolgen. Während über der Stadt die Tränengaswolke lag, wurde erstmals eine olympische Stätte für politische Zwecke mißbraucht.

20.0 wurden im Chamsil-Stadi- on für Basketball vergattert, um den einzigen Kandidaten, den Chun wenige Tage vorher bei einem Essen vorgeschlagen hatte und dessen Wahl längst’feststand, zu küren.

Der zum nächsten Präsidenten auserwählte Roh ,Tae Woo ist mehr als nur ein Freund, Mitarbeiter und Verbündeter des amtierenden Präsidenten. Er ist sein Waffenkamerad — und das zählt. Denn die Kaderschmiede der heutigen Machthaber Südkoreas ist die Koreanische Militärakademie (KMA). Vor allem aber kommt es auf den Jahrgang an, und davon ist der elfte, der 1955 ausgemustert wurde, der wichtigste. Ihm gehören nicht nur Chun und Roh, sondern auch zahlreiche Minister und Militärs sowie Geheimdienstchefs, unter anderen der ehemalige Generalstabchef Chung Ho Yong, an, der als einer der Verantwortlichen für das Kwangju-Massaker gilt.

Roh aber war schlechthin der Königsmacher, denn als Chun 1979 nach der Ermordung des Diktators Park Chung Hee selbst putschte, war es Roh, der als Kommandeur der 9. Infanteriedivision Chun zu Hilfe eilte, mit Truppen, die zur Verteidigung der Nordgrenze abgestellt waren und unter amerikanischem Kommando standen, dessen Bewilligung nicht einmal eingeholt wurde. Es geht um die Fortsetzung des Regimes unter anderem Namen.

Das Regime leidet am Mangel von Legitimität. Es ist durch Putsch an die Macht gekommen, genau so wie seinerzeit Park Chung Hee. Die einzigen Hinweise auf die Volksmeinung aber besagen: 46 Prozent für Kim Dae Jung unter den schwersten Behinderungen der Park-Diktatur 1971,64 Prozent für die Opposition (davon allein 12 von 14 zu vergebenden Mandaten für Seoul), 36 Prozent für die regierende DJP (De- mocratic Justice Party/Demokratische Gerechtigkeitspartei) bei den keineswegs fairen Wahlen 1985.

Das Alarmzeichen aber ist in diesen Tagen die Haltung der Mittelklasse, bisher das eiserne Rückgrat des Regimes. Sie hat diesmal in Massen ihre Sympathie, wenn nicht ihre Mitwirkung an den Demonstrationen bekundet. „Die Bürger haben mehr Un-

terstützung gegeben als bisher, viele sangen die Nationalhymne, schwenkten die Nationalflagge oder beteiligten sich an den Hupkonzerten“, schreibt die über allen Verdacht erhabene „Korea Times“.

Bisher konnte die Regierung beruhigt sein. Die Bürger wollten Wohlstand statt Freiheit, Dividenden statt Demokratie, hieß es. Jetzt wollen sie beides.

Im Grunde steht das Regime in Seoul vor dem gleichen Dilemma wie etwa das chinesisch-kommunistische. Die politische Entwicklung ist hinter der wirtschaftlichen zurückgeblieben. Einen Unterschied gibt es allerdings: Wenn die Pekinger Studenten demonstrieren, sind sie Freiheitshelden, wenn Studenten das Gleiche in Seoul tun, werden sie zu Hochverrätern gestempelt.

Die Forderungen der Opposition sind einfach: „Direkte Präsidentenwahl, Presse- und Versammlungsfreiheit, Freilassung der politischen Gefangenen, volle politische Rechte für Kim Dae Jung“, sagt mir der Vorsitzende der RDP, Kim Young Sam, in einem Gespräch (die FURCHE wird kommende Woche ausführlich darauf eingehen). Unterdessen aber sind die Olympischen Spiele zum mächtigsten Verbündeten der Opposition geworden. Denn sie können schwerlich unter Kriegsrecht durchgeführt werden. Schon wirft die Situation ihre Schatten voraus: während meines Aufenthalts mußten zwei internationale Fußballspiele wegen Tränengaseinwirkung abgebrochen werden. Der Hödori, das niedliche Tigermaskottchen der Olympischen Spiele, wird in den Händen der Opposition zum gefährlichen Raubtier. Niemand schien gewillt, meinen Vorschlag anzunehmen, falls keine politische Lösung gefunden wird: Die Spiele um einen Bewerb reicher zu machen: Spießrutenlaufen durch Polizeikordons.

In Korea legt die konfuzianische Ethik die Regeln fest - infolge der Isolierung mehr noch als in China oder Japan. Sie gewährt dem Herrscher wohl das „Mandat des Himmels“ - dem Volk aber auch das Recht der Rebellion, wenn der Herrscher zu ungunsten des Volkes regiert und sein Mandat mißbraucht.

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