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Der Tod als Vollendung

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FURCHE: Der Tod hat den Menschen zu allen Zeiten bewegt und die Frage nach Ursprung, Ursache und Sinn menschlichen Sterbens offengehalten. Jeder Mensch ist irgendwann in seinem Leben um eine Antwort auf die alte Frage besorgt: Was ist der Tod? Wie soll man und wie kann man über den Tod angemessen reden?

RAHNER: Mit dem Tod ist zunächst einmal alles aus. Das Leben ist vorbei, es kommt nicht wieder. Es wird einem nicht ein zweites Mal geschenkt. Der Tod ist für den Christen das Ereignis der Vollendung seines einmaligen Lebens.

Nun glaube ich, daß alle ernsthaften und vernünftigen Menschen, auch die Anhänger eines Seelenwanderungsglaubens im Fernen Osten, der Uberzeugung sein werden, daß es Aufgabe des Menschen sei, dem Rad von Geburt und Tod zu entrinnen und die eigene Freiheitsgeschichte in eine letzte und ewige Vollendung hinein zu vollenden.

Ich kann durchaus denken, daß sich dieses Gelingen bei jedem Menschen in dem einen Leben, das ihm gegeben ist, ereignen kann. Uberall, wo in einem Menschenleben Freiheit, das heißt Entscheidung radikaler Art, denkbar ist, ist auch Vollendung möglich.

FURCHE: Sie als Theologe werden doch sicher der Meinung sein, daß sich eine verantwortliche Rede vom Tod nur und allemal im Horizont verantwortlicher Rede von Gott vollzieht. Es bedarf also, um vom Tod angemessen reden zu können, eines Wortes, das wir uns nicht selber zu sagen vermögen. Ist es das Evangelium, und zwar als „Wort vom Kreuz" II Kor 1,18), das unsere Rede vom Tod erst sachgemäß macht?

RAHNER: Letztlich würde ich diese Frage bejahen. Nur muß man zunächst einmal davon ausgehen, daß es unzählige Menschen gibt, die mit einer ausdrücklichen Interpretation des Todes durch die biblische Offenbarung nicht konfrontiert sind. Wir Christen sind trotzdem davon überzeugt, daß im Bestehen des Todes all diesen Menschen die letzte Möglichkeit gegebenist, sich für oder gegen Gott zu entscheiden.

Dort, wo der Mensch in einer letzten und definitiven Weise über sich selber verfügt, und zwar auf Endgültigkeit hin, nimmt er den letzten tragenden Grund seiner Existenz an, nämlich Gott, oder er bekennt sich zu einer letzten Absurdität und Nichtigkeit des menschlichen Lebens.

Weil der Tod das Ereignis einer letzten, totalen Selbstinterpretation des Menschen nach der einen oder anderen Seite hin ist, hat er mit Gott zu tun. Gott ist das Wort, das den umfassenden, tragenden, alles bedingenden Grun'd der menschlichen Existenz in ihrer Unbegrenztheit und Uferlosigkeit bedeutet.

FURCHE: Der Tod erscheint im biblischen Verständnis in einer spezifischen Affinität zu der Schuld, mit der der Mensch im Laufe seines Lebens sich belastet. Sie selbst sagten einmal: „Der Tod ist die Sichtbarkeit der Schuld" . . .

RAHNER: Sie berühren hier ein außerordentlich schwieriges Thema der christlichen Offenbarung. Sicher gibt es in der Bibel die Lehre eines Zusammenhangs zwischen Schuld und Tod. Diese Lehre ist aber für uns Heutigen nicht so ohne weiteres verständlich, weil wir auf der einen Seite das biologische Ableben als ein Phänomen erkannt haben, das ja längst vor der menschlichen Schuldgeschichte gegeben war, und weil wir andererseits es uns nicht vorstellen können, daß der Mensch ohne Schuld dauernd und immer gelebt haben sollte.

Ich meine, wir dürfen ruhig sagen: Der Tod als die Vollendung der Freiheitsgeschichte als solcher ist ein Vorgang, der unablässig und im voraus zur Schuld schon gegeben ist. Wo Geschichte ist, will sie selber ein Ende haben. Freiheit und Vollendung gehören zusammen. Eine Vollendung, die sich, indem sie sich vollzieht, nicht selber besitzt und nicht selber kontrollieren kann, sondern als eine Vollendung in die Unbegreiflichkeit eines göttlichen Gerichtes hinein geschieht, ein solcher Tod hat etwas mit Schuld zu. tun. Die Finsternis ist ein Anzeichen der Schuldverfaßtheit des Menschen.

Ob diese Schuldverfaßtheit nun die seiner persönlichen Schuld oder die Folge einer Schuld am Anfang der Menschlichkeitsgeschichte ist oder ob beides gegeben ist, das ist ja noch einmal eine andere Frage.

FURCHE: Der Tod erscheint aber auch eine versöhnliche Dimension zu haben. Schelling spricht vom Tod als einer „essentiftcation", Bloch von einer „ Verwesentlichung". Diese Denker haben ein Verständnis des Todes entwik-kelt, das diesen geradezu als letzten und eigentlichen Akt menschlicher Selbstverwirklichung begreift. Sie selbst haben den Tod als die das eigene Leben vollendende Tat des Menschen, ja als „die Tat des Wollens schlechthin", bezeichnet.

RAHNER: Die Großartigkeit einer derartigen menschlichen Daseinsinterpretation läßt sich nur verteidigen unter der Voraussetzung, daß das alles gesehen wird als Setzung und Verfügung des Schöpfers.

Dort, wo man in einem Schelling-'schen Idealismus oder Bloch'schen Optimismus meint, der Tod müsse automatisch der Anfang einer seligen Endgültigkeit des Menschen sein, wird der Christ sagen: Ja, das hoffe ich von mir, aber der, der mich richtet, ist Gott. Der Christ wird auf den Tod als die ewige Vollendung hoffen, er fürchtet aber gleichzeitig in Demut die Möglichkeit, daß sein Ende wirklich das Ende einer wirklichen Verlorenheit sein könnte. Der Mensch ist so zwischen Heilssorge und Heilshoffnung ausgespannt, und diese Ausgespanntheit ist die letzte Triebfeder seiner Geschichte.

FURCHE: Der christliche Glaube steht und fällt mit dem Bekenntnis, daß im Tod Jesu mildem Tod selber etwas geschehen ist. Der christliche Glaube verkündet einen neuen Anfang aus dem vernichtenden Nichts des Todes als A uferstehung von den Toten. Was ist, Pater Rahner, der eigentliche Inhalt dessen, was die Bibel mit der Chiffre von der Auferstehung der Toten den Menschen als ihre Hoffnung ankündigen will?

RAHNER: Da wird man zunächst einmal nüchtern sagen müssen, daß die Interpretation des Wortes Auferstehung nicht hundertprozentig einheitlich in allen christlichen Jahrhunderten und allen theologischen Schulen war.

Dort, wo man zunächst einmal bis in die modernen Zeiten der Aufklärung hinein einen fundamentalen, massiven Unterschied zwischen Leib und Seeleso denkt, daß man an und für sich kein Problem hat, das Schicksal der sogenannten unsterblichen Seele völlig unabhängig vom Schicksal des Leibes zu denken, wird man natürlich einen Begriff der Auferstehung haben, der sich auf die Leibhaftigkeit des Menschen ausschließlich bezieht.

Wo man umgekehrt mit einer neueren, etwas weniger platonisierend arbeitenden Anthropologie moderner Art das Verhältnis von Leib und Seele enger denkt, da wird man zwar als Christ nicht bestreiten, daß es einen Unterschied gibt zwischen dem, was wir Leib, und dem, was wir Seele nennen. Man wird ferner nicht bestreiten, daß einiges über die Endgültigkeit dieser „Seele" genannten Wirklichkeit des Menschen gesagt werden kann, was im selben Sinn nicht einfach von der Endgültigkeit des menschlichen „Leibes" gesagt werden kann.

Aber man wird eben doch auf der anderen Seite „Auferstehung des Fleisches" mit seiner Tradition vom Alten Testament eigentlich mehr als Stichwort für die endgültige Gerettetheit des einen und ganzen Menschen verstehen, wobei eben dann die Voraussetzung ist, daß diese Endgültigkeit des einen und ganzen Menschen, das, was wir seine Leibhaftigkeit nennen, nicht von vornherein mißverstanden werden darf als eine bloße Seligkeit und Vollendung einer leibfrei gewordenen Seele.

Wir können heute als Christen, ohne irgendwelche dogmatischen Schwierigkeiten zu bekommen, auf der einen Seite sehen, daß der Mensch als der Eine, Konkrete, Leibhaftige letztlich doch nur ein Schicksal und eine Vollendung haben und daß diese eine totale Vollendung des einen, auch leibhaftigen Menschen Auferstehung der Toten genannt werden kann.

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