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Der Trassenkrieg

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Die Struktur der Tiroler Landeshauptstadt ist durch Raummangel gekennzeichnet. Die Ausdehnurtgs-möglichkeiten der zwischen hohen Gebirgsmassiven eingezwängten Alpenmetropole sind minimal und die der Stadtgemeinde und Baugesellschaften noch zur Verfügung stehenden Baugründe sind überaus begrenzt. Stadtplanung ist unter solchen Bedingungen äußerst schwierig und es bedarf besonders reiflicher Überlegung und außergewöhnlicher Einfälle. Mit solchen Tugenden sind die Innsbrucker Stadtplaner leider nicht in hohem Maße gesegnet.

Die Verbauung der einst so schönen Stadt am Inn nimmt erschrek-kende Formen an. Bezeichnende Beispiele sind die in den letzten zehn Jahren aus dem Boden gestampften Wohnviertel Reichenau und Olympisches Dorf, die man heute bereits als moderne Slums bezeichnen kann. Ein ähnliches Dilemma ist die Verkehrssituation in Innsbruck. Der Aufenthalt in der Innenstadt ist für den Fußgänger ein wahres Martyrium, aber auch für den Autofahrer kein Vergnügen. Die Durchzugsstraßen führen nahezu ausnahmslos durch bewohntes Gebiet. Die Belästigung der Einwohner durch Lärm und Abgase ist in großen Teilen der Stadt beängstigend. Kein Wunder also, daß sich unter der Innsbrucker Bevölkerung allmählich ein intensives Unbehagen breitmacht und sich die Bürger zu wehren beginnen!

Seit ungefähr acht Monaten schwelt in der Tiroler Landeshauptstadt ein permanenter Trassenkrieg, der sich in einer Serie von Bürgerinitiativen gegen Straßenbauprojekte im Stadtgebiet richtet. Bogen-nen hat diese Urbane Selbsthilfebewegung mit einer massiven Protestaktion gegen den ursprünglich geplanten Autobahn-Völlknoten Innsbruck-West. Durch diese Fehlplanung wäre ein zentral gelegener Stadtteil als Wohngebiet praktisch zerstört worden.

Einige Wochen später rührten sich die Einwohner der Siedlung Sieglanger und setzten sich gegen den Bau der Autobahn vor ihren Wohnhäusern zur Wehr. Sie verlangten, daß die Autobahn an dieser Stelle durch einen Tunnel geführt werde. Landeshauptmann Wallnöfer versprach damals, das Projekt noch einmal überprüfen zu lassen. Bald darauf meldeten die Anrainer der projektierten „Holzhammerbrücke“ massive Bedenken an. Unter großen Opfern haben sich diese Leute in den letzten Jahren dort Wohnungen gekauft und nun laufen sie Gefahr, daß ihr Dasein durch die Errichtung der neuen Innbrücke arg beeinträchtigt wird. Die Holzhammerbrücke wurde bereits vor 30 Jahren geplant und die Verwirklichung des Projektes stößt nun auf größte Schwierigkeiten, da das Gebiet inzwischen total verbaut wurde. Eine Alternativlösung wäre die Verlegung von Brücke und Trasse in eine Gewerbezone. Das würde allerdings mehr kosten und eine Umplanung ist wegen des durch die Winterolympiade 1976 bedingten Zeitdruckes kaum möglich.

Ebenfalls an der Olympiade scheiterte dieser Tage eine Protestaktion der Bevölkerung der Orte Igls und Vill gegen die geplante neue Zufahrtsstraße zur Patscherkofel-Talstation und zu den Olympischen Kampfstätten in diesem Raum. Durch diese Straße wird eines der schönsten Spaziergängerparadiese in Innsbrucks nächster Umgebung zerstört. Obwohl ein großer Teil der Bevölkerung von Innsbruck und Umgebung kein Verständnis dafür aufbringt, daß eine' Straße nur wegen der Olympiade gebaut und dafür wertvolles Naherholungsgebiet geopfert werden soll, wurde der Bau der Straße vom Stadtsenat bereits beschlossen. Andere Lösungen wurden aus finanziellen Gründen abgelehnt.

Mehr Glück hatte der Innsbrucker Verschönerungsverein mit seinem Protest gegen die ursprüngliche Planung der Autobahn-Südtangente, die eine offene mit Anschlußstelle Innsbruck-Mitte vorsah. Als umweltfreundliche Variante wurde der Bau eines Tunnels durch den Berg Isel vorgeschlagen. Der Erholungsraum Berg Isel würde dadurch erhalten bleiben und die Bewohner der südlichen Stadtteile wären unbehelligt. Nach dem letzten Stand der Dinge sieht es nun tatsächlich so aus, als ob die Initiative des Verschönerungsvereins von Erfolg begleitet sein werde.

Die Verantwortlichen für die Stadtplanung werden gut daran tun, der Tendenz in der Bevölkerung Rechnung zu tragen. So wird auch der Innsbrucker Generalverkehrsplan angesichts der geänderten Verhältnisse — Umweltbedrohung, Ruf nach besserer Lebensqualität, Energieknappheit — einer beträchtlichen Revision bedürfen. Dieser Verkehrs-plän, der gerne bei Leistungsschauen der Stadtgemeinde präsentiert wird, wurde vor zehn Jahren in Auftrag gegeben. Die allgemeine und die spezielle Situation hat sich mittlerweile grundlegend verändert. Wie sich immer deutlicher zeigt, geht der Zukunftstrend vom Individualver-kehrsmittel zum Gemeinschaftsverkehrsmittel, vom Auto zur Bahn. Es ist dies nicht der Wunschtraum des einzelnen, sondern der Zwang der Entwicklung.

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