6799471-1971_26_16.jpg
Digital In Arbeit

Der Traum vom Fliegen

19451960198020002020

Für den Sforza-Herzog Lodovico entwarf und baute er in Mailand Geschütze, Festungsanlagen, Panzerungeheuer in Gugelhupfform mit Helmbekrönung, für Beatrice d’Este das erste Badezimmer mit fließendem Warm- und Kaltwasser. Aus Lust an „utopischer“ Spekulation zeichnete und notierte er in seine Tagebücher technische Details von Flugmaschinen (den uralten Traum des Menschen), die ersten U-Boote, das erste Automobil, Helikopter, Drehbrücken und andere Wunderkonstruktionen.

19451960198020002020

Für den Sforza-Herzog Lodovico entwarf und baute er in Mailand Geschütze, Festungsanlagen, Panzerungeheuer in Gugelhupfform mit Helmbekrönung, für Beatrice d’Este das erste Badezimmer mit fließendem Warm- und Kaltwasser. Aus Lust an „utopischer“ Spekulation zeichnete und notierte er in seine Tagebücher technische Details von Flugmaschinen (den uralten Traum des Menschen), die ersten U-Boote, das erste Automobil, Helikopter, Drehbrücken und andere Wunderkonstruktionen.

Werbung
Werbung
Werbung

Leonardo da Vi n c i, der Maler der „Mona Lisa“ und des berühmten „Letzten Abendmahles“ in Florenz, war zugleich einer der kühnsten Konstrukteure der Renaissance. IBM hat in den vergangenen Jahren erstmals seine Skizzen und Pläne als Modelle nachbäüen lassen. Das Ergebnis: Leonardo schuf technisch perfekte Konstruktionen, nirgends dekorative Phantastereien. Die Modelle werden nun bis Ende Juli im IBM-Haus in der Oberen Donaustraße 95 gezeigt.

Leonardo war eines der größten Universalgenies aller Zeiten: Architekt, Musikus, Theaterdekorateur, Regisseur, Maler, und vor allem Forscher. „Sein unstillbarer Forschungsdrang wurde geprägt von dem Wunsch, dem Menschen die Arbeit zu erleichtern und die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung in der Natur zu erklären. Über den enormen Umfang von Leonardos Forschungsgebiet geben uns seine Notizen und Tagebücher Aufschluß. Diese Notizen füllen ins gesamt mehrere Bände und zeigen, daß er seine Erkenntnisse nie als abgeschlossen und endgültig betrachtet hat“ (Georg Kuglar).

Daß er einer der ersten Denker seiner Zeit war, beweist der Umstand, daß er bereits die Gravitation ahnte, die erst zwei Jahrhunderte später von Newton definiert werden sollte. Der Satz, den er immer wieder repetiert: „Jedes Gewicht versucht auf kürzestem Weg zum Mittelpunkt der Erde zu fallen“, zeigt wie er sich mit diesem Problem beschäftigte. Er zeigt aber auch, daß er in die scholastisch erstarrte Wissenschaft seiner Zeit eine im wesentlichen neue Methodik brachte: die vorurteilsfreie Naturbeobachtung.

Erst sie ermöglichte ihm viele seiner theoretischen Überlegungen und „Erfindungen“, die er durch praktische Versuche untermauerte. Fast tragisch, daß kaum eines seiner großen Projekte jemals verwirklicht werden konnte. Teils mangelte es seiner Epoche am Verständnis, teils war die technische Entwicklung noch nacht genügend weit fortgeschritten, um so manche seiner Vorschläge (vor allem vom Material her) in die Realität umzusetzen.

Wesentlich ist, daß in Leonardos Schaffen die Wissenschaft stets mit der Kunst Hand in Hand geht. Fast könnte man ihn als den ersten modernen Designer ansprechen: ästhetische Form und Funktionsgerecht- heit sind für ihn untrennbar. War er doch ein Empiriker, der sein enzyklopädisches Wissen durch Experiment und Darstellung bis zum äußersten erweitern wollte, wobei er immer danach strebte, durch Maß und Zahl den Gesetzen des richtigen Sehens und des künstlerischen Darstellens auf die Spur zu kommen.

Leonardo verband Kunst und Wissenschaft, um in beiden Höchstes zu leisten: Die Kunst stellte er auf eine wissenschaftliche Grundlage und wissenschaftlichen Fragen spürte er mit künstlerischer Intuition nach. Für ihn war das Sehvermögen das

Fundament jeder Erkenntnis, deshalb setzte er Sehen und Erkennen in ganz enge Beziehung zueinander.

„Seine Naturerkenntnis war also nicht philosophisch, sondern künstlerisch, hat ihn aber an die Grenzen und Grundfragen der Welt und des Menschen geführt“ (Kugler).

Man weiß bis heute nicht, ob er seine kühnsten Ideen von Belagerungsapparaten, Panzerfahrzeugen und Maschinengewehren, zu denen er sogar Bemerkungen über den strategisch-taktischen Einsatz notierte, jemals den Militärs gezeigt hat. Daß er mit seinen praktischen Arbeiten an der „modernen“ Kriegführung von anno 1500 wesentlichen Anteil hatte, ist nicht zu übersehen. Von ihm’stammten etwa die Pläne zur Umleitung des Arno, um dem feindlichen Pisa so den Hauptweg zu nehmen; im Dienste Cesare Borgias arbeitete er als Festungsbau-Inspizient in den Operationsgebieten des päpstlichen Heeres in Mittelitalien, wo er damals die bedeutendsten Städtepläne und Landkarten der Zeit zeichnete usw.

Fast alle Erfindungen Leonardos sind Theorie geblieben, obwohl sie in so hohem Maße praktisch konzi-

piert waren. Ja, so sehr er auch die Vorstellungen all seiner großen Ingenieurvorgänger zusammengefaßt hat, um selbst mehrere nachfolgende Generationen mit seinen technischen Ideen zu beeinflussen, hat er doch auf die technische Entwicklung des 16. Jahrhunderts kaum direkten Einfluß genommen. Er hat lediglich das Denken verändert, den Humanismus mit geprägt, die Einstellung zu den Phänomenen der Welt „modernisieren“ wollen. Ein Grund, daß er so manche seiner genialsten Erfindungen nie der Öffentlichkeit preisgab, dürfte aber auch seine Angst gewesen sein, als Ketzer gebrandmarkt zu werden. Mit Recht: Seine Notiz über die Unbeweglichkeit der Sonne (und daher die Beweglichkeit der Erde), hätte ihm wohl ähnliche Schwierigkeiten bereitet, wie später Galileo Galilei. Vielleicht ist dies auch der Grund gewesen, warum er die meisten seiner Theorien in Spiegelschrift festhielt. Oder bloß einfach die Tatsache, daß er damit rechnete, es werde früher oder später ein Verfahren geben, das es gestatte, Abzüge direkt von seinen Manuskripten herzustellen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung