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Der trotzige Diktator

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Mit seinem Dorfzerstörungsprogramm ist der rumänische Staatschef im Westen schwer unter Beschuß geraten (FURCHE 8/1989). Auch Moskau gegenüber zeigt sich der rote „Conducator“ unbeeindruckt.

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Mit seinem Dorfzerstörungsprogramm ist der rumänische Staatschef im Westen schwer unter Beschuß geraten (FURCHE 8/1989). Auch Moskau gegenüber zeigt sich der rote „Conducator“ unbeeindruckt.

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Ein linientreuer Kommunist, wenn auch ein „Querkopf“ war Nicolae Ceausescu immer schon gewesen. Wie Frankreichs de Gaulle gegen die USA, wetterte der rumänische Staatschef vehement gegen Bevormundungsversuche aus Moskau. Der Westen beklatschte seine „Extrawürste“. Hoffte man doch, damit Rumänien aus dem Ostblock herausschälen zu können.

So wehrt sich der „Conducator“ („Führer“), wie er sich gerne nennen läßt, beispielsweise erfolgreich gegen Manöver des Warschauer Paktes auf seinem Territorium. Er gilt auch als der be-

ständigste Verhinderer einer verstärkten wirtschaftlichen Integration der Comecon-Länder. Groß war auch die westliche Begeisterung, als sich Rumänien dem Oststaaten-Boykott der Olympischen Sommerspiele 1984 in Los Angeles nicht anschloß. Der eigensinnige Ceausescu war es auch, der ungeniert der PLO und Israel seine Vermittlungsversuche anbot. Jahrelang galt der widerspenstige Rumäne daher auch als Symbol des nationalen Selbstbehauptungswillens, mit dem sich viele seiner Landsleute identifizieren konnten.

Heute steht der rote Diktator ziemlich einsam da mit seinem Primitivkommunismus nach sta- linistischem Vorbild. Die Wirtschaft des Landes ist total ruiniert, und der Staatschef muß sich permanent wegen Menschenrechtsverletzungen und seiner Dorfvernichtungsprogramme (FURCHE 8/1989) auf die Anklagebank setzen lassen.

Rumänien ist außerdem zum Armenhaus Europas geworden. Ceausescus überstürztes Industrialisierungsprogramm — vor 20 Jahren begonnen — ist praktisch gescheitert.

Derzeit müssen die Rumänen aber alle Energien in den Abbau der Auslandsverschuldung stek- ken. Mit rund 13 Milliarden Dollar stand 1981 das Land bei westlichen Kreditgebern in der Kreide. Vier Jahre später, so lauten seriöse Quellen, betrug die Verschuldung nur mehr die Hälfte, und am Beginn der neunziger Jahre soll das Land schuldenfrei sein, hieß es kürzlich. Für die rund 23 Millionen Rumänen bedeuten diese ehrgeizigen Pläne aber seit Jahren, den Gürtel immer enger schnallen zu müssen. Das Staatsinteresse erfordert brutalen Konsumverzicht.

Nicolae Ceausescu will auch jetzt weder politische noch wirtschaftliche Reformen. Nach wie vor beherrscht der gelernte Schuhmacher sein Land, als wäre es sein Privateigentum. Korruption und Mißwirtschaft sind zwei der unausbleiblichen Folgen. Dabei braucht kein Staat „Umgestaltung“ so notwendig wie Rumänien.

Fragt man die Rumänen nach ihrer Einschätzung von „Glas- nost“ und „Perestrojka“, so erntet man nur ein gleichgültiges Achselzucken. Anders als in den anderen osteuropäischen Ländern setzt man hier wenig Hoffnung auf die „neue“ Politik des Kremlherrn. Seit rund einem Vierteljahrhundert kocht Ceausescu sein eigenes Süppchen, heißt es. Und das wird auch so bleiben, selbst wenn der heute 71jährige sein irdisches Dasein beendet hat.

„Wir sind weit davon entfernt, irgend jemanden dazu aufzurufen, uns zu imitieren“, sagte Michail Gorbatschow 1987 in Prag. „Keine einzige Partei besitzt das Monopol auf Wahrheit…“

Wenn das aber so ist, kann sich von Berlin bis Sofia niemand mehr auf die brüderliche Hilfe Moskaus in „schwierigen“ Situationen verlassen. Wenn es gilt, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen, werden Panzer nicht mehr so ohne weiteres rollen.

Diese Konsequenz des Umdenkens in Moskau wirkt auf die Rumänen tief deprimierend. Sie geben in Gesprächen recht offenherzig zu, sich ab und zu eine „Befreiung“ von Ceausescus Diktatur durch sowjetische Panzer zu wünschen. Eine traurige Hoffnung, die derzeit sicher nicht erfüllt wird.

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