6798938-1971_24_04.jpg
Digital In Arbeit

Der Typ, der ausstirbt…

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist ein alter Zirkusbrauch, daß der Direktor nach der letzten Vorstellung, wenn das Gastspiel aus ist, einen Strauß Blumen erhält.

Blumen hat es für den „Direktor“ Hermann Withalm nicht gegeben. Obwohl so vieles bei seinem Abgang an einen Zirkus erinnerte…

Withalm: das war der Mann, der wie ein Löwenbändiger durch mehr als ein Jahrzehnt Bünde und Länder einer hin- und hergerissenen Partei zusammenhielt, der wie ein eiserner Dompteur peitschenknallend einen Parlamentsklub an der Stange hielt.

Withalm, das war der Mann, der in einem schwindelnden Trapezakt die alte, verrostete Koalition aus den Angeln hob und sich als erster auf das dünne Drahtseil einer Alleinregierung wagte. Withalm: das war auch der Mann, der vom Applaus umbrandet war, als er zweimal seine Partei zu Siegen führte.

Dabei war Withalm fast stets nur Zweiter: Zweiter als Generalsekretär unter Gorbach und Klaus, Zweiter als Vizekanzler in der ÖVP- Alleinregierung. Und doch: im Apparat seiner Partei spricht man von den sechziger Jahren als der Ära Withalm. Er hat sie geprägt, gestaltet, ohne ihr im letzten ganz Herr zu werden. Aber was er — nach zehn Jahren als Generalsekretär und nach einem Jahr als Parteiobmann — schaffte, das war nicht die Stiländerung der ÖVP — aber das Sichtbarmachen von Konturen, die für die Zukunft hoffen lassen.

Für den Niederösterreicher aus dem historischen Boden des Nordostens von Wien war die Politik nie Geschäft — sie war ihm, wie selten einem seiner Freunde, eine Berufung. Er verachtete jene, die nur ihre Karriere im Auge hatten und von der Partei versorgt werden mußten. Er schätzte freie Menschen um sich, frei von Ängstlichkeit und Duckmäuserei. Freiheitsräume waren es auch, die er schaffte — gerade er, dessen Ruf als Mephisto und „Eiserner Hermann" es am wenigsten vermuten ließen.

Freiheitsräume in seiner Umgebung, in der Bundesparteileitung, in der Partei dort, wo er nicht Cliqueninteressen, sondern Engagement vermutete, Freiheitsräume in der Gesellschaft. Withalm war ein Mann, der nicht vom schwachen Saft des Antisozialismus lebte, sondern dem ein christlicher Liberalismus Tradition (auf die er nie verzichtete) und Verpflichtung (auf die er nie vergaß) war.

Der Landedelmann, der täglich die Stunde Fahrzeit nach Wölkersdorf nicht scheute, der Jurist mit gesichertem Einkommen, der passionierte Jäger: ein Typ, dem die Meinungsforschung nachweisen konnte, daß er ausstirbt.

Aber Hermann Withalm war eben kein „Anpasser" an die Zwänge eines Zuschnitts, wie ihn der Durchschnittsbürger gern haben möchte; kein plauderndes Identifikationsobjekt, kein schwätzender Schönling.

Er wußte das: darum konnte er auch eigene Fehler ohne weiteres eingestehen, Versäumnisse zugeben, seine Richtung revidieren, ohne im Grunde das Gesicht zu verlieren.

Sein Abgang am 4. Juni hat seine Partei ärmer gemacht. Mag sein, daß es notwendig war. Withalm selbst hat ja immer betont, daß er seinen Abschied selbst bestimmen wolle. Er wird es selbst am besten wissen.

Er geht nun mit seiner Frau Maria auf Weltreise. Ein Paar, das nicht resignierend den Rückzug antritt, sondern erst jetzt nachholt, was früher nicht möglich war.

Im Herbst wird Hermann Withalm wieder auf die Jagd gehen. Ganz ungestört und ohne Rücksicht auf den nächsten politischen Sitzungstermin.

Wir wünschen ihm „Weidmanns- Heil“!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung