Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Der unbekannte Freud
Die klinische Psychopathologie hat nidit nur freud’sche Gedankengänge aufgenommen, sondern auch nicht minder zahlreiche Auffassungen psy- chotherapeutiBcher Schulen, die Freud ergänzt haben oder in relativem Gegensatz zur Psydioanalyse stehen. Audi hat die Freud-For- sdi’ung längst den medizinischen Bereich verlassen, wie auch sdion sehr früh nicht-medizinisdie Wissensdiaf- tOT und nicht zuletzt Kunst und Literatur psydioanalytisdie Voisteliun-
gen rezipiert haben. Allen gemeinsam bleibt das Interesse der „Grundlagenforschung“ betreffend S. Freuds Leben und Werk.
Demzufolge ist es zweifellas sehr interessant Freuds eigene Träiune kennenzulemen und zu deuten. Freilich, der Meister der Indiskretion verhielt sich sehr diskret Er hat „seine Innenwelt stets sorgfältig vor den Blicken anderer bewahrt“ (7). Schon in der „Traumdeutung“ (1900) findet man eine Vorbemerkung bzw. den Satzi „Mit der Mitteilung meiner eiggnen Träume aber erwies es sich als untrennbar verbunden, daß ich von den Intimitäten meines psychischen Lebens fremden Einblicken mehr eröffnete als mir leb sein konnte.“ Und im Vorwort der zweiten Auflage 1908 schrieb Freud, daß die „Traumdeutung“ ein Stück seiner Selbstanalyse sei. BegreifUch, daß zahlreiche Psychoanalytiker die von Freud mitgeteilten Träume ,mit ihrer eigenen, nänüich der freud’- schen Methode zu analysieren versuchten; insofern ergab sich ein Einblick in den unbekannten Freud.
1895 träumte Freud seinen ersten Traum, den er einer eingehenden Analyse unterzog. 1900 wurde er in der „Traumdeutung“ veröffentlicht, Jahre einer Selbsitanaiyse. Es lag in der Natur der Sache, daß die wenigen lang zuTücfclegenden Traumauf-
zeichnungen mehrmals von je einem anderen Autor interpretiert wurden; Eva M. Rosenfeld (1956), Edith Bux- baum (1951), Heinz Politzer (1970), Erik H. Erikson (1954), Max Sdiur (1964), Alexander Grinstein (1968), Lutz Rosenkötter (1971), Herbert Lehmann (1966) und Calvin S. Hall und Bill Domhoff (1968).
Das gemeinsame Ergebnis faßt der Herausgeber folgendermaßen zusammen: „Freuds psydiisdie Struktur und Dynamik, wie sie sich in seinen Träumen widerspiegelt, sdieint in hohem Maße der Art und Weise zu entsprechen, wie er tagsüber existierte… Traum und Leben waren bei ihm nicht dissonant oder voneinander abgespal’ten, sondern im hohen Maße konsonant“ (15). Damit ergibt sich eine offensichtliche Ausgewo-
genheit. Was Freud tagsüber beschäftigt, lebt im Traum weiter; Divergenzen ziwisdien wachem Denken und Trauminhalt waren ebensowenig stark wie auch eine tiefgehende, stark verschlüsselte transkulturelle Symbolik fehlte, wie in Träumen typisch Jungscher Struktur.
Vermögen die mitgetedlten Interpretationen den unbekannten Freud zu enträtseln? Dazu hätte es wohl einer umfangreidien Traumserie bedurft, die es aber nicht gibt So scheint der Ertrag dieser Publikation in der Konvergenz der vorgelegten Traumdeutungen zu liegen, falls man dafür nddit dde gemeinsame psychoanalytische Methode von vornherein verantwortlidi macht; aber insofern vermittelt die Lektüre einen Einblick in dièse Weise der Traumdeutung.
DER UNBEKANNTE FREUD. Von Jürgen vom Scheidt, Kindler Verlag GmbH, Münschen, 1974.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!