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Der Untergang der Vergessenen Noch immer Krieg in Kurdistan

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Kurdenführer General Mustafa Mulla el-Barsani wurde kürzlich unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und strikter Geheimhaltung aus seinem iranischen Exil in eine amerikanische Militärklinik gebracht und liegt nach mehreren Krebsoperationen dort auf dem Totenbett.

Ein Totenbett bereiten die irakischen Araber gleichzeitig auch dem Zehn-Millionen-Volk der Kunden, dessen Gros im Nordirak beheimatet ist. Ein großer Teil der kurdischen Zivilbevölkerung wurde nach dem Zusammenbruch des organisierten Widerstandes gegen die Zentral regie- rung und der Flucht el-Barsanis und seiner Krieger in das benachbarte Persien zwangsweise in das Sumpfgebiet des Südiraks umgesiedelt. Bagdad erlaubt ihnen jetzt offiziell die Rückkehr in ihre Heimstätten innerhalb der nächsten beiden Jahre. Der Irak weist darauf hin, daß er mit seinen Autonomieverpflichtungen und der vor kurzem erlassenen weitgehenden Amnestie mehr als alle Nachbarländer für die Kurden getan habe. Was ist die Wahrheit?

Die Flucht General el-Barsanis nach Persien war, wie sich jetzt herausstellt, keineswegs gleichbedeutend mit dem Ende des fast sechzig Jahre währen-

den kurdischen Aufstandes gegen die arabische Fremdherrschaft. Im Gegenteil: die Kurdenfrage ist in den letzten Monaten und Wochen auch in den bisher „ruhigen“ Nachbarländern wieder akut geworden. Im Iran bildet die kurdische Minderheit eine durch den Zustrom kurdischer Flüchtlinge aus dem Irak noch unruhiger gewordene Minderheit. Gegen sie richten sich starke Restriktionen der Tehe- raner Sicherheitsbehörden. In Syrien soll es, unbestätigten Berichten zufolge, zu aufstandsähnlichen Zusammenstößen mit den arabischen Behörden gekommen sein. In der Türkei wurden drei ausländische Reporter vom Geheimdienst belästigt und hernach ausgewiesen, weil sie über die kurdische Minderheit in Anatolien berichten wollten. Nur aus der Sowjetunion gelangen keine zuverlässigen Nachrichten über das Schicksal der kurdischen Minderheit in der Provinz Aserbeid- schan.

Im Irak wird offiziell behauptet, der kurdische Widerstand sei seit März 1975 endgültig zusammengebrochen. Damals habe die kurdische Partisanenarmee der irakischen Armee die „letzte Schlacht“ geliefert. Bekannt ist, daß die damaligen Gefechte die Kurden mindestens achtzig Tote und neunhundert Gefangene kosteten. Diese Gefangenen wurden mitsamt ihren Familienangehörigen zur „Umerziehung“ in Lager im Südirak ver frachtet. „Judenschlächter“ Feldmarschall Achmed Hassan el-Bakr ließ zudem achtzig Kurden hinrichten. Währenddessen flüchteteri rund vierzigtausend Kurdenkrieger in die iranischen Lager mit ihren kaum besseren Daseinsbedingungen. Immerhin aber erhielten sie dort eine systematische Berufsausbildung, und es erwarteten sie bessere Lebensumstände als in der verlorenen Heimat.

Der Irak verweist seither auf eine angeblich friedliche Entwicklung in Irakisch-Kurdistan. Als Beispiel nennt man in Bagdad die alte Kurdenhauptstadt Galala. Dorthin kehrten inzwischen Zweihunderttausend von einer Viertelmillion zurück und die einstige Siedlung Rowanduz, die im Verlauf der langwierigen Kämpfe zur Hälfte zerstört wurde, erhielt sogar Kreditzusagen für den Wiederaufbau. Wo. Badgad das Amnestieversprechen korrekt einhält, regt sich sogar Kritik an der diktatorischen Herrschaft des alten Kurdenführers el-Barsani. Viele seiner ehemaligen Anhänger meinen heute, er sei keineswegs der edle Freiheitskämpfer gewesen, als den man ihn im Westen verehre. Vielmehr habe er sich als der in der Wolle gefärbte Kofnmunist erwiesen, als den ihn Stalin einst zum General befördert habe.

Doch dies ist nicht die ganze Wahrheit. Die Iraker haben nicht nur das Gros der kurdischen geistigen Elite in den Südirak zwangsumgesiedelt, sie versuchen auch, die demographische Struktur Kurdistans durch die Ansiedlung arabischer Bauern zu verändern. Im Zweifelsfall setzt der Feldmarschall an der Spitze der irakischen Militärdiktatur immer noch auf militärische Mittel. Erst kürzlich wieder wurden irakische Panzerpatrouillen beim Versuch, ins Kurdengebiet vorzudringen, angegriffen. Dabei soll es auf kurdischer Seite erneut zweihundert Todesopfer gegeben haben.

Feststeht, daß zweihundert- bis dreihunderttausend Kurden aus etwa fünfhundert Siedlungen von der erwähnten Zwangsumsiedlung betroffen wurden. Man deportierte die Einwohner unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe in den Süden. Die Behausungen wurden niedergebrannt. Noch immer finden Deportationen statt. Für die Rückkehr präpariert werden nur „umerzogene“ Kollaborateure. Tausende von Kurden befinden sich in Konzentrationslagern. In einem Lager quält man allein achthundert ehemalige Freiheitskämpfer, und es gibt laufend Hinrichtungen. Bagdad ist drauf und dran, ein ganzes Volk auszurotten, und die Weltöffentlichkeit schaut tatenlos zu.

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