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Der „Vater des Wunders“

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„Abu el-Mu'allim“ („Vater des Wunders“) nannten ihn die Damaszener, „Zauberer“ die Beiruter Presse und „meinen Freund Doktor Henry“ der ägyptische Präsident Sadat. Abgesehen von den Palästinensern — die argwöhnen, er betreibe den Ausverkauf ihrer Interessen, und ihm mehrmals nach dem Leben trachteten — sehen die direkt am Nahost-konfliik't beteiligten Araber in ihm einen ehrlichen Makler: Henry Kissinger, Außeniminister der USA, gebürtiger Deutscher und Jude, nunmehriger Fremdenführer für Präsident Nixon durch den Nahen Osten.

Nixons Nahostreise markiert ohne Zweifel einen neuen Abschnitt in der Nahostpolitik, die durch' einen schwindenden Einfluß Moskaus gekennzeichnet ist. Sie markiert allerdings auch neues US-Engagement.

Die Vereinigten Staaten genießen zudem, seit dem Ende des Kolonial-zeitalters, im Vorderen Orient großes Ansehen. Die Haltung der Araber gegenüber Washington, wie sie sich im und nach dem „Kalten Krieg“ zu formen begann, war weit mehr von Enttäuschung gekennzeichnet als von Ablehnung. Die Unterstützung Israels führte zwar zu einer Entfremdung, die sich nach dem Sechs'tage-feldzug im Abbruch der diplomatischen Beziehungen -mehrerer arabischer Staaten zu Washington und nach dem Yom-Kippur-Krieg im öl-boykott entlud. Doch nur wenige Araber glaubten die Propagandalüge Gamal Abdel Nassers, die Amerikaner hätten durch ihr direktes militärisches Eingreifen auf gegnerischer Seite den israelischen Junisieg von 1967 ermöglicht. Die Dankesbezeigungen an die Adresse der hilfreichen Sowjetunion erwiesen sich spätestens nach der Ausweisung der roten Instrukteure aus dem Nilland durch Präsident Sadat als bloße Lippenbekenntnisse. Die Russen brachten es im Vorderen Orient bis heute nicht zu einem ihrem materiellen und psychologischen Aufwand entsprechenden Beliebtheitsgrad. Selbst in der kühlsten Periode der arabischamerikanischen Beziehungen hoffte man auf arabischer Seite noch auf einen Sinneswandel Washingtons. Ende der Siebzigerjahre konstatierte man sogar in dem scheinbar fest am russischen Zügel liegenden Ägypten, es brauche bloß ein amerikanischer Außenminister mit einem Dollarblankoscheck am Nil zu erscheinen und Kairo werde mit fliegenden Fahnen die Seiten wechseln. Man muß nicht unterstellen, Kissinger habe die beiden Truppenentflechtungsabkommen zwischen Israel und Ägypten und Israel und Syrien mit solchen Dollarschecks erftauft. Tatsache ist jedoch, daß sein bloßes Erscheinen auf der nahöstlichen Bildfläche zu einer entscheidenden Akzentverschiebung führte. Die Sowjetunion mag ihren Anteil am Zustandekommen der Entflechtungsabkommen haben; sie schaltete sich jedoch erst spät ein, als erkennbar wurde, daß sie sich dem Trend zu einer Verhandlungslösung nicht länger entgegenstellen konnte. (Insgeheim versucht sie es jedoch noch immer, indem sie den Palästinaguerrilleros umfangreiche politische und materielle Hilfestellung gibt.)

Wichtigstes Element für die Erfolge Kissingers war die arabische Erkenntnis, daß die von ihm vermittel-

ten Abkommen in erster Linde den arabischen Interessen dienen. Ohne einen Schuß Pulver wurde Israel zum erstenmal seit seiner Gründung — der Rückzug nach der Suezkampagne von 1956 gehört in eine andere Kategorie — zu substantiellen Gebietsaufgaben gezwungen.

Israel mußte schon öfter die Erfahrung machen, daß jüdische Politiker an den administrativen Schalthebeln befreundeter Staaten durchaus keine Gewähr für eine israelfreundliche Politik dieser Staaten bieten. Im Gegenteil, sie zeigen im allgemeinen weniger Verständnis für die zionistischen Interessen als NichtJuden. Die Reihe dieser Erfahrungen reicht von dem keineswegs prozionistischen Palästinagouverneur Sir Herbert Samuel bis zu Henry Kissinger.

Auf arabischer Seite setzte man aus eben diesem Grund von Anfang an auf diese Karte. Das heißt durchaus nicht, daß Kissinger sich gegen die israelischen Interessen stellte. Aber er war gegenüber den Arabern kein Fürsprecher Israels, weil er selbst Jude ist sondern er diente ausschließlich den amerikanischen Interessen; zuweilen sicher auch gegen diejenigen Israelis, obwohl er Jude ist.

Wieviel dabei für die USA herausspringen wird, dürfte sich am Ergebnis der Nahostreise von Präsident Richard Nixon zeigen. Wieviel dabei für die Araber herausgesprungen ist, läßt sich schon jetzt in Quadratmetern ausrechnen. Wieviel dabei für Israel herausspringt, wird erst die fernere Zukunft zeigen.

Kissinger erhielt für seine Vietnamvermittlung den Friedensnobelpreis. Doch in Südostasien ist nichts entschieden und es wird weitergeschossen. Ein Frieden in Nahost verdiente einen zweiten Nobelpreis. Doch ob es zu ihm kommt, hängt von vielen Uniberechenbarkeiten ab, von denen eine „Palästinenser“ heißt. Diese dürften sich mindestens in einer Beziehung mit den Skeptischen unter den Israelis einig sein: Der „Kissinger-Frieden“ dient, so räsonieren sie, zweifellos den amerikanischen Interessen, gar nicht so zweifellos aber auch den Interessen der Betroffenen beiderseits der Fronten.

Das Fatale ist, daß die Juden Realisten und die Araber Visionäre sind. Nach dem Sechstagekrieg war die Haltung Israels etwa derjenigen des Mannes ähnlich, dem der Sperling in der Hand lieber ist als die Taube auf dem Dach. Seit Kissingers Marathonlaufen zwischen Kairo und Jerusalem, Jerusalem und Damaskus erhielt die visionäre Ader der Araber wieder starken Auftrieb. Prüft man die arabischen Stellungnahmen zu den beiden Trupenentflechtungsabkom-men auf Herz und Nieren, stößt man immer wieder auf den Umstand, daß sie für die arabische Seite eben nicht der erste Schritt sind zu einem dauerhaften Frieden durch eine Ver-nunftregelung . der Palästinafrage, sondern der erste Schritt zu einer Revision der historischen Entwicklung. Darüber deriikt man in Kairo nicht anders als in Damaskus und schon gar nicht in den Schlupfwinkeln der Freischärler.

Die Araber haben wirklich Grund, dem Juden Kissinger dankbar zu sein. Die Frage ist nur, ob er ihre Visionen durchschaut? Dann wäre er nämlich für die Araber das, was die Antisemiten einen „guten Juden“ nennen..

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