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Der verlorene Hochwürden

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Wie redet man eigentlich heutzutage im deutschen Sprachraum einen Geistlichen an? Der gute alte Hochwürden ist im Zuge postkonziliärer Demokratisierung verschwunden — ersatzlos. Es gibt keine Anrede mehr, die auf jeden geweihten Priester paßt, vom jüngsten Kaplan bis zum päpstlichen Hausprälaten. Der Gläubige muß sich stattdessen im österreichischen Titel-Eiertanz üben. Er muß den Herrn Doktor vom Herrn Religionsprofessor unterscheiden 1ernen und den Caritasdirektor vom Konsistorialrat — sofern er es nicht überhaupt vorzieht, wie jüngst ein Starlet bei einem Prominentenempfang, den populären Fernsehprediger kurzerhand mit den Worten zu begrüßen: „Derf i eh Gustl sagen zu dir?”

Andere Völker haben es leichter, sie sagen „Father”, „mon pe-re”, „Padre”. Es scheint ein Bedürfnis zu geben für so ein einfaches, egalitäres, zutreffendes Wort, das zugleich Vertrauen und Abstand signalisiert und zuerst das priesterliche Amt meint und dann erst die Stellung des Trägers im Dschungel der kirchlichen

Hierarchien und Gremien. Der Verzicht auf den Hochwürden hat bewirkt, was sicherlich am allerwenigsten gewollt war: der Priester ist, wenigstens dem sprachlichen Schein nach, zum Beamten, zum Funktionär geworden.

Aber auf grotesken Umwegen kommt das Wort oder besser: das, was damit gemeint war, wieder zurück. Jeder kennt mittlerweile „Pater Ralph” aus der Fernsehserie „Dornenvögel”, obwohl der schöne Kardinal in spe natürlich keineswegs ein Ordensmann ist, sondern eben nur von jedermann mit „Pater” („Father”) angeredet wird. Wahrscheinlich gibt es jetzt in Österreich eine Menge junger Leute, die fest davon überzeugt sind, dies sei die in der katholischen Kirche übliche korrekte Anrede für Weltgeistliche.

' „Pater Ralph” entspricht „Priester Popieluszko”. In den Zeitungsberichten über den polnischen Märtyrer wurde das polnische „ksiadz” routinemäßig mit .Priester” (als Titel) wiedergegeben, also etwa „die Mörder warfen Priester Popieluszko in die Weichsel”. Auch diese Form ist im Deutschen unüblich — aber sagt die Tatsache, daß sie in einem katholischen Land trotzdem allgemein übernommen wurde, nicht aus, daß es eine übliche Form für den Begriff eben offensichtlich nicht gibt?

Die Frage ist mehr als Wortklauberei. Hinter ihr steckt der Verlust eines allgemeinverbindlichen Priesterbildes. So fragwürdig der altvaterische Hochwürden in mancher Hinsicht gewesen sein mag, im schwarzen Anzug und römischen Kragen weithin erkennbar, von den Kindern respektvoll gegrüßt - er war doch ein vertrauter Typ, eine Art öffentlicher Institution, für jedermann zugänglich, der die Gnadenmittel der Kirche in Anspruch nehmen wollte.

Ihn gibt es nur noch in vereinzelten Ausnahmeexemplaren. An seine Stelle ist der Priester für Insider getreten. Äußerlich ist er nicht als Gottesmann zu erkennen. Um zu wissen, wer er ist, muß man seinen Namen und seine Funktion wissen. Ihn einfach anzureden, etwa mit der Bitte „Ich möchte beichten”, scheint für den Gläubigen und mehr noch für den sogenannten „Fernstehenden” unvorstellbar.

Es ist so ähnlich wie mit den Kirchen: in eine herkömmliche Kirche mit Kirchturm, Kniebänken, mit dem Barockaltar vorn und dem gipsernen Judas Thaddäus hinten, traut sich jeder hinein, vom frommen Kerzelweiberl bis zum längst aus der Kirche ausgetretenen Freigeist, der einmal ruhig nachdenken will und dabei selber nicht genau weiß, ob ihm das Nachdenken nicht unversehens zum Gebet gerät. Ins moderne Pfarrzentrum dagegen, mit seiner als Theatersaal, Jugendraum und Seminarwerkstatt verwendbaren geschmackvollen Mehrzweckkirche, verirrt sich kein Fremder. Gedacht als für jedermann zugänglicher Mittelpunkt der Gemeinde, ist es erst recht zur exklusiven Domäne der Berufskatholiken geworden.

Ist der moderne Priester nicht in Gefahr, ein ähnliches Schicksal zu erleiden? Herausgetreten aus der vermeintlichen Isolation, kein Hochwürden mehr, ein Mensch wie du und ich in flotten Jeans oder im korrekten Straßenanzug, ist er dem kirchenfernen, aber möglicherweise glaubenshungrigen Durchschnittsmenschen fremder geworden, als es sein traditionalistischer Vorgänger je war.

Ausgerechnet eine Kitschfigur wie der Held der „Dornenvögel”, bei dem so gut wie gar nichts stimmt, mußte daherkommen, um uns das bewußt zu machen. Dieser Geistliche läuft (wenn er nicht gerade nackt ist) überall in der Soutane herum, er wird von jedermann mit „Pater” angeredet — und wird prompt zum Publikumsliebling. Waren es wirklich nur seine Qualitäten als Liebhaber, die Pater Ralphs Erfolg begründet haben — oder ist hier etwa auf verworrene und verschlungene Weise die heimliche Sehnsucht des katholischen Volkes nach einem Priester durchgekommen, der wie ein Priester aussieht und wie ein Priester angeredet wird?

Schon möglich, daß „Hochwürden” heutzutage nicht mehr wiederzubeleben ist, weder das Wort noch der Typ. Aber spätestens seit ,Pater” Ralph müßte uns bewußt sein, daß es für beides bisher noch kein Äquivalent gibt, und daß uns ein solches Äquivalent schmerzlich fehlt.

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