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Der vorletzte Schrei

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Nun haben wir es also: das neue „museum moderner kunst“ im Palais Liechtenstein. Ist es also doch noch vor den Wahlen fertiggeworden.

Es fing so harmlos an. Da war ein energetisch aus den Nähten platzender, unerhört dynamischer Präsident des Künstlerhauses, nämlich Hans Mayer, der unter anderem auch von unheilbarem Patriotismus geplagt wurde. Er bekam Kontakt mit dem deutschen Sammlerehepaar Ludwig, das den großen Vorzug genießt, sehr reich zu sein. Und Mayer überredete nun - sicherlich sehr geschickt - das Ehepaar Ludwig, einen erheblichen Teil seiner modernen Sammlung Wien und Österreich zunächst als Leihgaben anzubieten.

Und damit wurde ein Kuckucksei in die sonst eher verschlafene Wiener Kunstszene gelegt, das erhebliche Ungelegenheiten bereitete. Und dafür allein muß man schon dankbar sein. Denn solche Ungelegenheiten bedeuten geistigen Zugzwang. Und plötzlich dachte man über die Problematik eines modernen Museums nach.

Hiezu kamen höchst persönliche Ressentiments, denn Mayer tut für österreichische Verhältnisse viel zu viel, hat eine sehr „kurze Leitung“ und spricht nicht schönbrunnerisch, sondern um ein bis zwei Etagen tiefer gelegenen, demonstrativ urwüchsigen Dialekt. Verschiedene besonders vornehme Leute stört das.

Die Tatsache, daß das „Museum des XX. Jahrhunderts“ dringend restauriert werden muß, kam dazu, und nun kristallisierte sich um die Exponate der Sammlung Ludwig alles. Und dieser historische Kern wird wahrscheinlich für Jahrzehnte für die Vorstellungen der Moderne in Wien mitbestimmend sein. Sie wurde, wieder durch die Initiave Hans Mayers, ergänzt durch eine andere deutsche Sammlung, die sich schon in der Bundesrepublik Deutschland als Ergänzung der Sammlung Ludwig verstand.

Und schließlich wurde auch der neue Direktor sozusagen zugepaßt: Er heißt Dieter Ronte, stammt aus Köln, ist Kunsthistoriker (die Kunstgeschichte wird hierzulande als einzige Kunstwissenschaft angesehen, Kunstpsychologie, Kunstsoziologie etc. gelten nichts!) und steht Ludwig und so auch Mayer nahe.

Das alles ist eigentlich höchst logisch und konsequent. Warum soll man nicht einen Direktor nehmen, der zur Sammlung paßt?

Hat man einmal die Grundproblematik begriffen, dann müßte die Diskussion um den Kern der Sache gehen, nicht um Per-sonalia, denn die sollten an sich im Sinne des Kernes entschieden werden. Und das ist die Sammlung Ludwig.

Und nun hat man sich autoritätssüchtig, wie man hier nun einmal ist— um die Diskussion dieses Kernes herumgedrückt. Und die Diskussionsthemen müßten lauten: Wie sehr reflektiert die Sammlung Ludwig unsere Zeit? - Werden die Objekte der Sammlung - allesamt, zum größeren oder geringeren Teil - über die Gegenwart hinaus nicht nur als zeitgeschichtliche Realitäten, sondern als anerkannt qualitativ hochwertige Kunstwerke Anerkennung behalten? Dies setzt natürlich die Bereitschaft und das Risiko von Bewertungen voraus, eine Bereitschaft, die sehr gering ist, weil sich so viele eben davor fürchten, sich auf die Dauer zu blamieren.

Bewertungskriterien von Kunstwerken stehen nun selbst zur Debatte. Ich persönlich schätze vor allem die Ausdrucksintensität, andere ziehen ästhetische Kriterien vor. Von hier aus gesehen, schätze ich nicht das Glatte und Banale, wie es aus den USA so gerne exportiert wird (zu überhöhten Preisen). Für die Flachheit und die oberflächliche Hysterie, einer Lebensform, die man - nicht immer zutreffend - „american way of life“ nennt, wird dabei nur Propaganda gemacht, statt sie zu entlarven. - Was eine echte Aufgabe ist.

Ludwig selbst sieht das Problem, aber er hält sich, sozusagen positivistisch distanziert, aus Bewertungskonflikten heraus. Er will mehr Zeit dokumentieren, als das Hochwertige herausdestillieren. Das würde jedoch etwa für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bedeuten, daß man dem Namen Courths-Mahler in der Literatur - als sicherlich hervorragender Exponentin der Zeit - besonders großen Raum zugestehen mußte.

Und so finden wir in seiner Sammlung flache Belanglosigkeiten Andy Warhols neben großartig ausdrucksintensiven Arbeiten Eva Aepplis. Da gibt es das linke Nazarenertum des pathetisch geschwollenen Renato Guttuso neben der großangelegten Parkland-schaft von Gerhard Richter. Es gibt billiges Buchstabenarrangement Robert Indianas neben einem so intensiven Bild wie A. R. Penks „Der Ubergang“.

Und so wäre nun einmal Bild für Bild durchzudiskutieren. Und man sollte sich nicht davor scheuen, selbst mit dem Risiko, daß man auf längere Sicht hin Unrecht behält.

So kann der Photorealismus tatsächlich so penetrant werden, daß er etwa bei Jean Olivier Hucleux in „Friedhof oder in Ralph Goings „Wohnwagen“ wieder etwas von dem Magischen Realismus erhält, von dem er herkommt.

So wäre noch sehr vieles zu sagen. Aber die kritiklose Hinnahme alles dessen, was da produziert wird, wäre auf die Dauer nicht erfreulich. Und die autoritative Demonstration solcher Objekte durch ein „fachmännisch“ geleitetes Museum sollte auch nicht zu einer Unterwerfung jeder Persönlichkeit unter das Spezialistentum führen. Man sollte ein selbständiger Mensch bleiben, auch in einem „museum moderner kunst“.

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