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Der Wachhund, der nicht beißen kann

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AKH, 13.000-Schilling-Geburtstagstorten, überlange Dienstkarossen, Ölspekulation in der Verstaatlichten: der Rechnungshof legt den Finger auf öffentliche Verschwendung und Mißwirtschaft. Oft ohne Erfolg.

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AKH, 13.000-Schilling-Geburtstagstorten, überlange Dienstkarossen, Ölspekulation in der Verstaatlichten: der Rechnungshof legt den Finger auf öffentliche Verschwendung und Mißwirtschaft. Oft ohne Erfolg.

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Am 3. Juli beschloß der Nationalrat einstimmig, dem Rechnungshofausschuß eine Frist zur Behandlung des von ihm angeforderten Sonderberichtes in der Causa „Voest und andere“ bis Anfang November zu setzen, um dieses Thema noch vor der alljährlich hereinbrechenden „Budget-Hochzeit“ abschließend erörtern zu können.

Am Abend des gleichen Tages widmete sich die größte Medienorgel des Landes im „Inlandsreport“ der Frage, ob der Rechnungshof das „Salzamt der Nation“ sei; die Reporter kamen — auch optisch durch einen Blick auf den Rasen vor dem Amtsgebäude des Rechnungshofes untermalt — auf den Hund, „der bellt, aber nicht beißt“.

Der Rechnungshof ist dank oftmaliger Medienpräsenz (möglichst „exklusiv“ über „noch geheime Rohberichte“) kein unbe-

kanntes Wesen. Weniger bekannt ist vielleicht seine lange Tradition, die Kontrolle als eine nahezu „unendliche Geschichte“ erweist.

1491 richtete Maximilian I. am damaligen Hof zu Innsbruck eine kollegiale „Raitkammer“ ein, die jährlich einen „Auszug alles Ausgebens und Einnehmens“ zu verfassen hat; nichts anderes tut der Rechnungshof heute, wenn er alljährlich den Bundesrechnungsabschluß verfaßt, also jenen „Zahlenfriedhof, in dem schon manche Budgethoffnung zu Grabe getragen worden ist“.

Damals wurden „Umreiter“ in die habsburgischen Lande geschickt, um auf den „Kammergütern“ nach dem Rechten zu sehen; heute bereisen Prüferteams alle Bundesländer, um än Ort und Stelle bei der öffentlichen Verwaltung und bei den öffentlichen Unternehmungen „Einschau“ zu nehmen.

Nach Zeiten, in denen das Anliegen einer zentralen Kontrolle öffentlicher Finanzen verschüttet war, hat zur Zeit einer akuten Finanzkrise des Staates im siebenjährigen Krieg Maria Theresia 1761 die Hofrechenkammer gegründet.

Seither gibt es eine ungebrochene Tradition öffentlicher Finanzkontrolle in Osterreich; wer 1961 das 200-Jahr-Jubiläum des Rechnungshofes begangen hat und 1991 das 500-Jahr-Gedenken an die erste Kontrollbehörde erlebt, hat in der Spanne einer Beamtenlaufbahn gedanklich drei Jahrhunderte zurücklegen dürfen.

Manches aus der Zeit Maria Theresias ist zeitlos gültig geblieben, so das „Vier-Augen-Prinzip“ der Trennung von Anweisung und Vollzug oder die Einleitung zum Lehrbuch der Kameralistik von Mathias Puechberg, wonach Verrechnung bedeutet „Verantwortung zu geben für das, was einem anvertrauet ist“.

Viele Anpassungen und Ausgestaltungen seither beweisen die innovatorische Kraft der öffentlichen Finanzkontrolle.

Mit dem Wandel von einem Organ der Krone am Beginn der Republik Österreich I zu einem Organ des Parlaments erfolgte auch die Ausdehnung der ursprünglich auf ziffernmäßige Richtigkeit beschränkte Kontrolle auf jene der Wirtschaftlichkeit (1918), auf Länder und Gemeinden (1925) und auf Unternehmungen (1948) sowie die Entwicklung einer ADV-unterstützten „Neuen

österreichischen Staatsverrechnung“, die den Phasenablauf der Gebarung vollständig erfaßt (1968).

Erfolge der öffentlichen Finanzkontrolle bedürfen freilich manchmal einer langen Inkubationsfrist.

So hat Präsident Max Vladimir Beck 1921 Vorschläge für ein umfassendes Haushaltsrecht erstattet; erst mit der Bundes-Verfas-sungsgesetz(B-VG)-Novelle 1986 und dem Bundeshaushaltsgesetz vom April dieses Jahres ist das .Jahrhundertwerk“ einer Ablöse der im wesentlichen aus 1863 stammenden Grundregeln staatlicher Haushaltsführung gelungen.

Die verhängnisvolle Neigung, „mit Lücken des Budgetrechts Budgetlöcher stopfen“ zu wollen, äußerte sich Ende 1974, als der damalige Finanzminister Hannes Androsch konjunkturbedingt eine „Ebbe in der Staatskasse“ verspürte, aber keinen „Offenbarungseid“ yor dem Parlament ablegen wollte, um die Genehmigung zu einer Finanzschuldaufnahme zu erhalten; die gewählte Form einer Finanztransaktion (das „Zwei-Milliarden-Ding“) wurde vom Rechnungshof nicht

anerkannt, von der Parlamentsmehrheit aber durch ein rückwirkendes Gesetz als Verwaltungsschuld sanktioniert.

Im Zuge der Haushaltsrechtsreform ist dieses Maßnahmengesetz ausdrücklich aufgehoben und die Finanzschuld im Sinne der vom Rechnungshof schon seinerzeit bekundeten Auffassung definiert worden.

Ungeachtet dieser „Langzeit-Wirkung“ ist das Verhältnis des Parlaments zu seinem Organ Rechnungshof in manchem widersprüchlich:

• Der Rechnungshof listet seit drei Jahren in seinem Tätigkeitsbericht die unerledigt gebliebenen Empfehlungen in einer „Offe-nen-Posten-Buchhaltung der öffentlichen Finanzkontrolle“ auf (1984 waren es 119 Punkte); es läge am Nationalrat, durch Entschließung der Regierung entsprechende Maßnahmen aufzutragen.

• Der Rechnungshof wurde 1983 vom Nationalrat beauftragt, j ährlich die durchschnittlichen Einkommensverhältnisse bei Unternehmungen und Einrichtungen im Bereich der öffentlichen Wirtschaft des Bundes zu erheben und zu berichten. Zwei derartige Sonderberichte (für 1983 und 1984) blieben bisher unerledigt.

Trotz erheblicher Verfassungs-

rechtlicher Bedenken gegen die Aufgabenstellung, als „Sonderstatistisches Amt“ zu wirken, ist noch keine taugliche Rechtsgrundlage für diese politisch gewünschte Aktion geschaffen worden.

• Mit der B-VG-Novelle 1986 wurde der bisherige, dem republikanischen Gedankengut fremde Zustand einer lebenslänglichen Amtsfunktion für Präsident und Vizepräsident des Rechnungshofes beseitigt und eine zwölfjährige Funktionsperiode eingeführt.

Im Vorfeld dieser Regelung bestellte der Nationalrat einen Mann im 42. Lebensjahr in das Präsidium des Rechnungshofes, der mit 54 Jahren (wie ansonsten Bundesbahner) außer Dienst treten wird, allerdings dann noch keinen Ruhegenuß nach dem Bezügegesetz beanspruchen kann.

• Wesentliche Reformanliegen, die der Rechnungshof unter seinen Präsidenten Hans Frenzel (1960), Jörg Kandutsch (1972) und Tassilo Broesigke (1982) in Amtsentwürfen zu Neu-

fassungen des 5. Hauptstückes B-VG und des Rechnungshofgesetzes den Parlamentsklubs vorgelegt hat, blieben bisher unbehandelt, obwohl sie geeignet wären, das Prü-fungs- und Berichtsverfahren effizienter zu gestalten.

Kontrolle darf sich nicht entmutigen lassen, auch wenn die berufenen Reglerinstanzen manchmal nicht auf die ihnen gemeldeten Abweichungen des Ist- von einem Sollzustand reagieren.

Der Rechnungshof wird weiterhin bemüht sein, ohne „bissig“ zu werden, Ordnungswidrigkeiten und Unwirtschaftlichkei-ten in der öffentlichen Verwaltung und in den öffentlichen Unternehmungen dieses Landes aufzuzeigen und ihnen vorzubeugen, sie also kräftig „verbellen“, wie man es von einem treuen Wachhund erwartet.

Auf Kosten von jedermann

„Es interessiert die Leute mehr, ob die Krawatte des Fernsehsprechers schief sitzt, als daß der Finanzminister falsche Zahlen nennt.“

JACQUES TATI

„Der Staat ist die große

Fiktion, mit Hilfe derer sich jedermann bemüht, auf Kosten von jedermann zu leben.“

FREDERIC BASTI AT

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“

W. I. LENIN

Der Autor ist Honorarprofessor für betriebliches Revisionswesen an der Technischen Universität Wien und Sektionschef im Rech' nungshof.

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