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Der Wächter im Vatikan

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Seine Rolle als „teutonischer Buhmann“ (italienische Presse) vergällt dem deutschen Glaubenshüter zunehmend die Freude am Frommsein. Ein Intellektueller kämpft gegen Intellektualismus.

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Seine Rolle als „teutonischer Buhmann“ (italienische Presse) vergällt dem deutschen Glaubenshüter zunehmend die Freude am Frommsein. Ein Intellektueller kämpft gegen Intellektualismus.

Die sonst so glockenhelle Stimme, das sanfte, stets freundliche Lächeln unter dem glasklar-kühlen Blick -alles schien wie erstickt von bebendem Zorn. So hatte noch keiner der vatikanischen Prälaten den Kardinal Ratzinger erlebt. Es war unlängst bei einer jener Sitzungen hinter verschlossenen Türen, durch die selten etwas dringt — auch weil sich dahinter fast nie viel bewegt. Auch diesmal war es nicht der Anlaß, der unbekannt blieb, sondern seine Wirkung, der Ausbruch bitteren, angestauten Unmuts, mit dem der oberste Glaubenshüter der katholischen Kirche seine Zuhörer so überraschte, daß sie noch lange davon redeten...

Ist das noch derselbe Joseph Ratzinger?, fragen sich manche. Auch als Präfekt der römischen „Kongregationfür die Glaubensdoktrin“, der einstigen Inquisition, war er ein deutscher Professor geblieben.

Sieben Jahre nach der Versetzung von München nach Rom 1981 ist Ratzinger von der Münchener Faschingsgesellschaft „Narhalla“ mit dem Karl-Valentins-Orden ausgezeichnet worden, was im Vatikan manch säuerliches Staunen erregte: Der Kardinal reiste tatsächlich nach Schwabing und ließ sich am 4. Jänner 1989 in festlich-fröhlicher Runde den Narrenorden überreichen, denn - so plauderte Ratzinger kokett und weise - Hofnarren hätten ja früher als einzige die Wahrheit sagen dürfen.

Doch zehn Tage später schon trieb es den Kardinal in ganz anderer Stimmung vom päpstlichen Hof wieder in die bayerische Heimat, diesmal auf eine Kanzel, von der nun Scharen frommer Pilgersleute gar nicht mehr Heiteres, fast nichts Erbauliches zu hören bekamen, sondern vor allem eine düstere, dramatische Klage:

„Statt uns zu begeistern, uns den Wein der Freude einzuschenken, erscheint die Kirche nur von allen Seiten her als Anstoß und Ärgerlichkeit. Die einen ärgern sich an dem, was sie Amtskirche nennen, und fühlen sich von ihr vergewaltigt, die anderen stöhnen ob des Wirrwarrs und der Eigenmächtigkeit in der Kirche. Kirche ist wie eine Hochzeit ohne Liebe und ohne Wein geworden.“ So predigte Joseph Ratzinger am 15. Jänner auf dem Kapellenplatz von Altötting zum 500-Jahr-Jubiläum des Wallfahrtsortes.

„Wir sollten wieder der heiligen Macht Jesu vertrauen lernen... Dürfen wir unsere eigene Logik immer gleich Gott aufdrängen und ihn auf unsere Programme verpflichten?“ - Ein erstaunlicher Verdacht, wenn er aus dem Hause des „Stellvertreters Jesu Christi und höchsten Pontif ex der universalen Kirche“ kommt.

Geboren wurde Joseph Ratzinger 1927 in Marktl am Inn, sein Vater war Gendarmeriemeister-einMann bäuerlicher Herkunft, der nicht nur auf Recht und Ordnung achtete, sondern wie die Mutter auch ein „freudiges, farbiges, menschliches Christentum“ verkörperte. So habe er „von Kindheit an Barock eingeatmet“, erinnert sich der Kardinal. Nicht historisch-biblischer Beweise wegen vertraue sich ja ein Mensch kirchlichen Lehren an, sondern weil ihm „die Gemeinschaft des Glaubens und Betens, in der er aufgewachsen ist“, ruhige Sicherheit gewähre. Sie wurde nicht erschüttert, ja eher bestärkt, als der kleine Sepp erlebte, wie die Nazis den Pfarrer verprügelten, bei dem er Ministrant war. Manchmal trauert er jener vorkonziliaren Liturgie nach, für die noch ein Mozart und B eetho-ven Messen komponieren konnten. In Traunstein, wo der Musterschüler „Ratz“ aufs Gymnasium ging, wurden sie sonntags gesungen. Nein, gegen Rock und Pop in der Kirche sträubt sich nicht nur das Ohr des Kardinals, sein Katastrophengespür wittert dahinter - wie er vor dem Kongreß für Sakralmusik 1986 dozierte - „anarchische Freiheitsideen“ , ja sogar das „entscheidende Vehikel einer Gegenreligion“.

Aus der behüteten Welt seines katholischenElternhauses gerissen, wurde der 17jährige Ratzinger ..Hitler-Jugend-Luftwaffenhelfer“. Nicht von „außen“ freilich, erwartete sich der Junge eine Befreiung; für ihn war und blieb die Zuflucht -als Bastion und Freiraum zugleich— seine Kirche, auch wenn diese, wie Ratzinger später formulierte, „in der Wahl des geringeren Übels taktisch zu Pakten mit repressiven staatlichen Systemen kommen kann“. Das hat dann mit Diplomatie zu tun und nichts mit „politischer Theologie“ -ein Begriff, gegen den Ratzinger so allergisch ist, daß er jetzt auch den letztens diskutierten Plan eines „Friedenskonzils der Religionen“ heftig ablehnt: Eine Kirche dürfe sich „keiner Art politischer Strategie“ verschreiben, warnt er.

Weltflucht also - oder nur Abstand, um desto überlegener über Gott und die Welt reflektieren und den Leuten die Leviten lesen zu können? - Nicht ins Kloster ging Joseph Ratzinger, nicht in eine Pfarrei im Urwald; eine Universität war 30 Jahre lang sein missionarischer Denksportplatz. Mit 31 Jahren schon Professor für Dogmatik, Heß er in Freising, Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg sein Talent zu philosophisch-theologischem Höhenflug glänzen, ohne den Boden katholischer Rechtgläubigkeit unter den Füßen zu verlieren. Selbst bei Gefahren des Ausrutschens half ihm seine Kunst geschliffenen Formuliere ns, die Balance zu halten.

Und auf die kam es besonders an, als das Zweite Vatikanische Konzil 1962 die katholische Kirche einen -wie Johannes XXIII. meinte -„Sprung vorwärts“ riskieren ließ. Da begleitete Ratzinger als „Sachverständiger“ (peritus) den Kölner Kardinal Frings nach Rom und gehörte - wie sein alter Lehrer, der Münchener Dogmatiker Schmaus, etwas eifersüchtig sagte — zu den „theologischen Teenagern, die jetzt große Mode sind“. In ihrer Konzilsbegeisterung ahnten sie noch nicht, daß eine vertrackte Wechselwirkung zwischen Kirchenreform und Kirchenkrise entstehen würde. Während manche von ihnen - wie Hans Küng - die Krise als „christliche Herausforderung“ annahmen, um über dogmatische Grenzen hinauszudenken, erschrakein Theologe wie Ratzinger vor der Möglichkeit einer „selbstgemachten Kirche“. Ihn hat es, wie er einmal gestand, bei allem Gottvertrauen immer „gequält, daß der Erlösung kein sichtbarer Erfolg in der Welt beschieden ist“.

Das „Volk Gottes“, vom Konzil in fast demokratischen Tönen angesprochen, zog es nicht massenhaft aus der Kirche aus? Als einer, der selbst aus dem „Volk“ kam, hat er beobachtet, daß „soweit wir heil durch die Krise der letzten Jahrzehnte gekommen sind, dies ein Verdienst nicht der Theologieprofessoren, sondern jenes einfachen Volkes ist, das die Kirche im Dorf läßt“. Und deshalb sei es Aufgabe des Lehramtes, „den Glauben der Einfachen, derer, die nicht Bücher und Leitartikel schreiben, zu schützen und gegen die Macht der Intellektuellen zu verteidigen“.

Ratzingers Pech ist nur - man könnte es auch Tragik nennen -, daß er selbst ein solcher Intellektueller ist und bleibt. Ratzinger gesteht, daß er dieses Dilemma in seinen Münchener Bischofsjahren (1977 bis 1981) oft empfunden habe. Und heute, im Vatikan? Auf seinem, wie er sagt, „ungemütlichen Platz“ im Palazzo auf der Piazza des Heiligen Offiziums (so hieß die Inquisition von 1908 bis 1965) wird aus „der“ Wahrheit, die es zu hüten gilt, fast automatisch ein Verwaltungsgegenstand. Wie keiner seiner Vorgänger reist, redet, schreibt und predigt er -wie in unentwegtem, auch gedanklichem Höhenflug. Dann aber muß er doch, gekettet an die Rolle des teutonischen Buhmanns (zu dem ihn zumal Italiens Presse hochstilisierte), im Büro tätig werden, „Fälle“ bearbeiten, Papiere entwerfen, Urteile fällen.

Und immer wieder gerät er dabei selbst ins Gerede, wenn eigenwillige Theologen in aller Welt wider den römischen Stachel locken, wenn Namen wie Schillebeeckx oder Boff, Küng oder Curran zu ketzereiumwitterten Fanalen werden. Da brodelt es kirchlich wie sozial auch in Weltgegenden, aus denen vor der Erfindung der modernen Nachrichtentechnik kaum eine Kunde nach Rom drang. So hat das Stichwort „Befreiungstheologie“ Ratzinger und seinen Apparat alarmiert, der dazu zwei Papiere, zuerst ein negatives, dann - als der Schaden offenkundig war - ein einlenkend-ab wägendes produzierte. Mit gemischten Gefühlen betrachtete er 1986 den Ausflug seines Chefs nach Assisi, wo dieser Papst frohgemut und ärglos mit Vertretern aller Weltreligionen und Konfessionen betete. Ratzinger: „Dies kann nicht das Modell sein I “Den Kompromiß pries er zwar einmal als „die wahre Moral“ - aber nur für die Politik...

Doch eben ins Politische gerät der Präfekt der römischen Glaubenskongregation immer wieder beim Umgang mit seiner Weltkirche, die ja in dieser, nicht in einer überirdischen Welt lebt. Schon deshalb knirscht es vernehmlich in Ratzingers Apparat, dessen nur 30 Beamte bei den Hirten einer Herde von fast einer Milliarde Katholiken nach dem Rechten (und Linken) sehen sollen. Im übrigen werde wohl - so sagte er noch vor fünf Jahren- „irgendwann am Schluß doch der Heilige Geist die Autoritätsträger wenigstens an zu großem Unfug hindern“.

Der brave „Wachhund“ aus Bayern fühlt sich jenseits des Tiber immer mehr als „Sündenbock“ -genau so hat ihn einer seiner alten Kollegen bezeichnet, dem von der römischen Glaubensbehörde (schon vor Ratzingers Amtszeit) übel mitgespielt worden war der Moraltheologe Bernhard Häring. Er hat seinen Fall in einem Buch dokumentiert, das er im April in Rom vorstellte. Uber Ratzinger aber sagte er kein böses, nur eben jenes mitleidige Wort. Der Kardinal wäre also selbst Opfer der überkommenen, nur halb reformierten Strukturen geworden, die er dirigiert? „Das Amt soll nicht primär sich selbst betreiben“, schrieb er1970 als Professor, und 15 Jahre später gestand er als Präfekt: „Ich hätte gar nichts dagegen, wenn wir einmal einige Zeit schweigen dürften.“ Damals freilich, als er sein Amt antrat, hatte er die Bedingung gestellt, auch eigene Meinungen weiterhin äußern zu dürfen - als ob sie nicht auch als „amtliche“ verstanden würden..

Sein Lächeln wird kühler in „dieser winterlichen Welt“, von der er am Grab des Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar sprach Ernsthaft müht sich Ratzinger ab, die Frohbotschaft-das Evangelium - warmzuhalten. Ratzingers Trost klingt poetisch und melancholisch: „Auch im Winter lebt die Wurzel.“

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