6855981-1977_15_16.jpg
Digital In Arbeit

Der Wahlkampf an den Hochschulen Sozialprogramme im Vordergrund

19451960198020002020

Die Hochschulwahlen vom kommenden Mai werfen ihre (Schlag-)Schatten voraus. Vor der Rampe der Wiener Universität prügeln sich wie in alten Zeiten die Links- und Rechtsradikalen. Umgeworfene, demolierte Plakatständer dienen als Prügel. Die österreichischen Hochschülerschaftswahlen machen diesmal stärker von sich reden als in den letzten Jahren. Hier soll ein Überblick über die politischen Gruppierungen auf Hochschulboden gegeben werden.

19451960198020002020

Die Hochschulwahlen vom kommenden Mai werfen ihre (Schlag-)Schatten voraus. Vor der Rampe der Wiener Universität prügeln sich wie in alten Zeiten die Links- und Rechtsradikalen. Umgeworfene, demolierte Plakatständer dienen als Prügel. Die österreichischen Hochschülerschaftswahlen machen diesmal stärker von sich reden als in den letzten Jahren. Hier soll ein Überblick über die politischen Gruppierungen auf Hochschulboden gegeben werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Im Gegensatz zu den letzten Wahlen (1975) zeigt sich ein neuer Trend. Waren die Fraktionen noch vor zwei Jahren politischer eingestellt und strebten nach Gesellschaftsveränderung, so wird diesmal mehr Wert auf Sozialpolitik gelegt. Doch vorerst wird mit allen Mitteln geworben. Mit Leiberln, Slogans, Häschenwitzen, Plakaten, Flugzetteln, Autopickerln und anderem Kleinkram. Und dank der weniger friedlichen Aktivitäten der extremen Links- und Rechtsgruppierungen kommt man auch noch in die Zeitung, was für die Wahlwerbung auch nicht gerade schlecht ist.

Gewählt werden am 11. und 12. Mai der Zentralausschuß, die Hauptausschüsse und die Fakultätsvertretun- gen der Hochschülerschaft nach dem Listenwahlrecht, die Studienrichtungsvertretungen nach dem Persönlichkeitswahlrecht.

Während der letzten Jahre hatte die österreichische Studenten Union (ÖSU) im Zentralausschuß (ZA) die Mehrheit. Deshalb wird auch der größte Teil der ÖH-Arbeit durch ÖSU-Mitglieder geleistet, ebenso wie auch die Vorsitzenden im ZA von der ÖSU gestellt wurden. Von den bisher 55 möglichen Mandaten im ZA (heuer 61 Mandate) erreichte sie bei den letzten Wahlen 21 Mandate. Zweitstärkste Fraktion wurde der Verband Sozialistischer Studenten (VSStö), gefolgt von: Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), Junge Europäische Studenteninitiative (JES), Forum Innsbruck, Fraktion Theologie, Marxistisch-Leninistische Studenten (MLS), Gruppe Revolutionärer Marxisten (GRM), Kommunistischer Studenten-Ver- band (KSV) und Demokratische Stu- denten-Union (DSU).

ÖSU

Wie schon in den letzten Jahren wird der Wahlkampf auch heuer durch die mandatstärkste Fraktion, die ÖSU, angeführt. Sie ist keine Teilorganisation der ÖVP, doch bezeichnet der Vorsitzende der ÖH an der Technischen Universität Wien und Spitzenkandidat für die kommende Wahl, Fritz Pesendorfer, den Kontakt zur Oppositionspartei als „gutes Nahverhältnis“.

Ihre Ideen für die Zukunft lassen sich von tausenden ÖSU-Wahlplaka-

ten ablesen. Das Schwergewicht liegt auf den drei Hauptpunkten:

• Individuelles Wohnen

• Höhere Studienqualität

• Ausreichende Studienfinanzierung.

Erstmals sollen mit dem ÖSU-So- zialprogramm „individuelles Wohnen“ nicht nur die Studentenheime gefördert, sondern auch alle anderen Wohnungsformen für Studierende erreichbar gemacht werden. Gedacht ist an Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen, sanierte Altbauwohnungen und Eigentumswohnungen. Der Vorteil dieser Neuorganisation liegt einerseits in der Abschaffung der „Studenten-Ghettos“, anderseits fördert sie das Zusammenleben zwischen den Studenten und der übrigen Bevölkerung und trägt gleichzeitig zu einem ungezwungenen Kontakt bei.

Was die „höhere Studienqualität“ betrifft, so stellt Pesendorfer fest, daß die erste Phase der Studienreform mißglückt ist. Der Versuch, eine einheitliche Studienordnung für alle österreichischen Hochschulen aufzustellen, hat zu einer Verschulung der Studien geführt. Auch der kürzlich herausgegebene OECD-Bericht kritisiert die geringe Flexibüität und Wahlmöglichkeit für die Studenten und regt zu „größerem Spielraum an Studien-, Lehrveranstaltungen und Lehrmethoden“ an.

Dem soll in der zweiten Phase der Studienreform Rechnung getragen werden: „Der Studierende soll in erster Linie zu Kreativität, Spontanität, Kritik- und Verantwortungsbewußtsein“ - so Pesendorfer - „erzogen werden“. Eine prinzipielle Spezialisierung sei abzulehnen. Mässenvorle- sungen sollen vermindert werden und durch Seminare, in denen Beteiligung, der Teilnehmer an der Arbeit verlangt wird, Gruppenarbeit und Unterlagen, die ein Selbststudium ermöglichen, ersetzt werden.

Die Hauptforderungen der ÖSU an eine ausreichende Studienfinanzierung sehen folgendermaßen aus:

• Kostendeckende Stipendien für sozial bedürftige Studenten.

Als sozial bedürftig sind jene Studierenden anzusehen, deren elterliches Einkommen den durchschnittlichen Verdienst eines Industriearbeiters nicht übersteigt.

• Anhebung der Bemessungsgrundlage.

Dadurch soll verhindert werden, daß die Stipendien durch die Inflation immer geringer werden. (Die Bemessungsgrundlage wird auf Grund des Einkommens der Eltern abzüglich diverser Absetzbeträge errechnet.)

• Berücksichtigung der tatsächlichen Studiendauer anstatt der „theoretischen“.

Die derzeitige Studienregelung ist an die Mindeststudiendauer gebunden; In dieser Zeit bringen die wenigsten Studenten ihr Studium zum Abschluß.

• Auszahlung der Studienbeihilfen zwölfmal im Jahr (bisher zehnmal) und im Krankheitsfall.

Eine lange Liste von Forderungen; wie weit sie befriedigt werden können, wird sich zeigen.

RFS

Mit ähnlichen Forderungen wie die ÖSU, aber wesentlich geringeren propagandistischen Mitteln zieht der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) in den Wahlkampf.

„Wir sind leidenschaftlich für Österreich. Wir bekennen uns zum deutschen Volk und zur deutschen Kulturgemeinschaft, weil wir glauben, daß die Leistungen der Österreicher einen wesentlichen Beitrag zur gesamten Kultur darstellen. Doch das wird uns immer als Nazismus unterschoben“, meint Hellfried Heikenwälder, Jus- student, Familienvater, berufstätig und Spitzenkandidat des RFS.

Der Ring Freiheitlicher Studenten ist eine ausschließlich von Studenten geführte Gruppe, die ideologisch der FPÖ nahesteht, aber parteiunabhängig ist. „Das hat den Vorteil“ - so Heikenwälder-, „daß die Entscheidungen im rein studentischen Bereich dem RFS allein Vorbehalten bleiben, bringt aber auch den Nachteil mit sich, daß unsere Fraktion wesentlich weniger Geldmittel als andere, parteigebundene Gruppen, zur Verfügung hat“ Dieser finanzielle Aspekt macht sich jetzt vor der Wahl besonders bemerkbar. Wie Heikenwälder andeutet, sei das Wahlkampfbudget der ÖSU zehnmal größer als das des RFS. Als „Kapital“, sagt er, könne der RFS den übergroßen Einsatzwillen und Idealismus seiner Mitarbeiter anführen.

Mit neun Mandaten gegenüber vorher zwölf mußte die Fraktion bei den letzten ÖH-Wahlen dem VSStö den Platz räumen und ist derzeit die dritt- stärkste Gruppe im ZA. AufGrundder starken materiellen Verluste während der Wahlkampfauseinandersetzungen und der materiellen Unterlegenheit im Wahlkampf sieht Heikenwälder dem Wahlausgang ohne Illusionen entgegen und ist schon zufrieden, wenn er den jetzigen Stand halten kann und kein Mandat verliert.

Die RFS-Forderungen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderer Fraktionen - mit der Ausnahme, daß einer ihrer Grundsätze die „Betonüng des Leistungsprinzips“ ist. „Die Leistung an sich wird in der Gesellschaftspolitik als positiver Wert betrachtet, der gefördert werden soll“, führt Heikenwälder aus. Deshalb soll bei der Vergabe der Stipendien der Lernerfolg unter Berücksichtigung des Arbeitsaufwandes und der Schwierigkeit der einzelnen Studienrichtungen herangezogen werden.

Bei der Bemessung der Stipendienhöhe sei die Kostenintensität des jeweiligen Studiums zu berücksichtigen. Die differenzierte Förderung für wichtige Studienrichtungen nach Neigung und Begabung ist eine der RFS-Hauptforderungen.

JES

„Kenntu Jes? JA Muttu wählen!

Mit diesem Häschenwitz, dessen Vorbilder in letzter Zeit in tausenderlei Varianten zum Ohrwurm wurden, versucht Jes, die Junge Europäische Studenteninitiative, ihren Wählerkreis zu vergrößern.

Ein dreiviertel Jahr vor den letzten Hochschülerschaftswahlen gegründet, ist sie der Nachfolgeverein der „Aktion Österreich-Europa“, die wiederum der „Monarchistischen Bewegung Österreichs“ (MBÖ) nachgefolgt war.

„Wir haben für unsere Prinzipien gekämpft, für Christentum, für Demokratie, für Freiheit und soziale Gerechtigkeit, für die europäische Einigung. So haben wir konservative Politik gemacht. In Veranstaltungen und Flugblättern. Mit persönlichem Engagement jedes einzelnen von uns“, verkündet Carina Rys, Vorsitzende der Jes und Spitzenkandidatin für die kommende Wahl, und meint damit die fünf politischen Richtlinien der Gruppe:

• Jes-europäisch

• Jes-sozial

• Jes-christlich

• Jes-demokra tisch

• Jes-konservativ.

Die hervorstechendste Aktivität der Fraktion ist das Organisieren von Vorträgen und Großveranstaltungen mit Referenten aus dem In- und Ausland. Ansonsten beansprucht sie in einem 25 Punkte umfassenden Programm mehr Hilfestellungen für die Studenten auf dem Wohnungssektor, bei der Studienberatung, der Jobvermittlung und verschiedene andere Service- und Sozialleistungen.

vsstö

„Gemeinsam kämpfen“ ist die Parole des VSStö, die von den „eiligroten“ Plakatständern förmlich herunterleuchtet. „Es genügt nicht, zu wollen, und wir setzen es einfach durch“, erklärt Robert Wiesner, Spitzenkandidat des VSStö und Nachfolger des zurückgetretenen Michael Häupl, „der VSStö will die Arbeit nicht alleine tun, er will die Studenten vielmehr aktivieren, selbst für ihre Interessen einzutreten und zu kämpfen. Bei diesem Kampf wird sie der VSStö so gut es geht unterstützen.“

Der Wahlkampf habe für diese Gruppe nicht den gleichen Stellenwert wie für die anderen Fraktionen, führt Wiesner weiter aus, die seiner Ansicht so tun, als ob sie plötzlich die Studenten entdeckt hätten und nun ganz für sie da seien. Der VSStö arbeite vielmehr kontinuierlich weiter und trete für die studentischen Interessen auf seine Art und Weise ein, nämlich still. Er brauche keine Wahlpropaganda. Einziger Wunsch derGruppe sei es, die Position, die sie durch die Wahl bekomme, so einzusetzen und auszunützen, daß die Studenten noch besser und zweckmäßiger unterstützt werden können.

Das hört sich ganz nach der wieneri-

sehen Redewendung „i bin i“ an. Doch ob diese Selbstsicherheit wirklich echt ist, kann man bezweifeln. Gerade jetzt ist nicht alles klar im VSStö, wo sich in der letzten Zeit Grundlegendes geändert hat. Hatte sich die angespannte Beziehung zwischen SPÖ und VSStö seit Dezember 1976 langsam entspannt, so ist der Faden vor wenigen Wochen ganz gerissen.

Gescheitert ist ein mögliches Abkommen mit der Regierungspartei, weil sich der VSStö weigerte, das Liebäugeln mit den marxistischen Gruppen zu unterlassen. Wie weit es nun in der neuen Situation zu einem Anschluß und einer Zusammenarbeit mit den Linken kommt, bleibt abzuwarten. Das um so mehr, als die heurige Wahl gekennzeichnet ist durch das Zurückgehen der extrem linken Gruppen (MLS, GRM, KSV). Dieser Trend zeigte sich bereits bei den letzten ÖH-Wahlen, wo sie mehr als ein Prozent des Wähleranteiles verloren.

Neben dem Zurückgehen der extrem linksgerichteten Gruppen ist ein verstärktes Auftreten der neuen Rechtsgruppierungen zu verzeichnen. Besonders die „Aktion Neue Rechte“ (ANR) bemüht sich um die Kandidatur. Ob sie als rechtsradikale Gruppe die vorgeschriebenen gesetzlichen Erfordernisse für eine Wahlzulassung erfüllt, soll in Kürze entschieden werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung