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Der Wahrheit dienen

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Wenn der Bischof einem Angehörigen jener Fakultät, die sich von der Pflege der sogenannten freien Künste herleitet, den Auftrag übermitteln läßt, er möge innerhalb dieses Gottesdienstes so etwas wie ein Zeugnis geben, so sind wir verwundert und herausgefordert.

Ist denn nicht alles zu Wort gekommen, was im Rahmen der Messe seinen Platz hat: in den Lesungen und im Lied, im Gebet und in der Predigt? Es ist aber auch unsere Fähigkeit zur Unterscheidung herausgefordert: Was ist das, was wir hier tun können? Nehmen wir den Auftrag an, indem wir ihn in dieser Form zurückweisen. Statt Zeugnis zu geben, wollen wir fragen, was für ein Zeug denn solches Zeugnis sei.

Die Frage führt uns aus dem gottesdienstlichen Raum hinaus. Zeugnis geben, so wurde uns gezeigt, ist ein Vorgang der Information. Unser Alltag aber ist so voll von Informationen, daß wir— ermattet — längst darauf verzichten, sie stets aufs neue voneinander zu sondern. Da sind zunächst die Informationen, im engeren Sinn des Wortes, Wissenschaftsmeldungen etwa, der Wetterbericht oder „Nachrichten aus der christlichen Welt".

Da ist die kommerzielle Information, das was wir Werbung nennen. Da ist ferner der breite Bereich der — hierzulande zunehmend um Unerkennbarkeit bemühten — ideologischen Information, das also, wofür das Wort Propaganda zur Verfügung steht.

Und da ist schließlich das Zeugnis. Die Heimat des Begriffes scheint das Rechtsleben zu sein: Das, was einer vor einer urteilenden Instanz im Zusammenhang eines Streitfalles als seine eigene Beobachtung zu Protokoll gibt, das ist sein Zeugnis.

Die meisten dieser Informati-i onsweisen — bis hin zum Zeugnis) des Glaubens — präsentieren sich heute als „Service". Und wenn wir die Begriffe der Kommunikationswissenschaft aufnehmen, so haben alle diese informierenden Vorgänge dieselbe Struktur. Uberall gibt es einen Sender und einen Empfänger, eine Nachricht und eine Nachrichtenquelle. Doch gerade diese formale Analogie öffnet uns den Blick auf den radikalen inhaltlichen Unterschied.

Sehen wir auf den Empfänger. Die täglichen Nachrichten der Medien sprechen seine rezeptive und selektive Intelligenz an. Straßenzustandsmeldungen verlangen praktische Konsequenzen. Die Werbung weckt seine Bedürfnisse und läßt ihn die Möglichkeit prüfen, ihnen Rechnung zu tragen.

Wie anders und unverwechselbar behandelt die Information des Glaubens den, der sie empfängt! Sie richtet sich in ihrer Ganzheit an ihn persönlich und verlangt den Einsatz seiner ganzen Person. Anders als vor Gericht geht es hier nicht nur um Tatsachen, sondern auch um deren Bedeutung und gläubige Anerkennung. Anders wiederum als die Propaganda macht diese Information den Empfänger nicht zum Objekt eines angestrebten kollektiven Vorgangs. Sie gilt vielmehr dem einzelnen, der als freies Subjekt herausgefordert ist, sich selbst erneuernd an der Erneuerung anderer mitzuwirken.

Und wie steht es mit dem Sender, mit dem also, der Zeugnis gibt? Er ist, so werden wir zuallererst feststellen müssen, nicht Herr seiner Nachricht, sondern ihr Knecht. Die Wahrheit, von der er spricht, ist nicht die seine, sie ist überhaupt keine Wahrheit, die einer besitzt, sondern eine Wahrheit, in deren Dienst einer sich stellt.

Nicht das Vermögen zu reden, aber die Techniken der Überredung werden hier bedeutungslos sein. Ebenso liegt es im Wesen dieses Dienstes, daß er mit Fanatismus und Streitsucht, mit Polemiken, die zu nichts anderem gut sind, als daß sich die Schreiber ihres eigenen Vorhandenseins vergewissern, genausowenig zu tun hat wie mit jenem teils müden, teils zynischen Skeptizismus, der heute so viele hohe Geister zu einem trägen Gesinnungsbrei vereinigt.

Gemessen an dem, worauf er hinweist, ist dieser Zeuge bedeutungslos. Und doch hängt alles an ihm. Für die Werbung ist es irrelevant, wenn der, der sie konzipiert, persönlich das Produkt der Konkurrenzfirma vorzieht. Beim Zeugnis des Glaubens hingegen bedarf es einer Konkordanz zwischen Zeugen und Zeugnis, einer Konkordanz keineswegs nur im Moralischen. Der Zeuge des Glaubens ist kein auf sich selbst gestellter und sich auf sich selbst stellender Einziger, sondern unbeschadet seiner Freiheit und persönlichen Verantwortung die Stimme einer Versammlung...

Indem er nicht von sich und seinen Problemen spricht, kommt dieser Zeuge zu sich selbst. Indem er auf Geschehenes hinweist, so wie jener Johannes der Täufer des Isenheimer Altars auf einen Toten hinweist, wird er sichtbar und gegenwärtig.

Der Versuch hingegen, an Aktualität zu gewinnen, indem wir darauf verzichten, dessen eingedenk zu sein, was uns zusammengeführt hat, sei es in der Kirche, sei es in der Heimat, sei es an der Universität, dieser Versuch führt ebenso ins Nichts wie jene Sehnsucht nach dem Dialog, die in Wahrheit dem Klang der eigenen Stimme gilt.

Wenn die Auskunft der Sprachwissenschaft stimmt, so hängen die lateinisch-griechischen Worte für Zeugnis und Erinnerung, Memoria und Martyrium, an derselben Wurzel. Das Gebet der Liturgie, „unde et memores", bekommt, sobald wir diesen Zusammenhang ernst nehmen, einen unerwarteten oder doch überhörten, alle Umstehenden berührenden und aufrufenden Klang.

Der Autor ist Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Wien und hielt obige Ansprache im Dezember 1981 bei einem Gottesdienst, den Kardinal König auf Einladung der Kath. Hochschulgemeinde Wien mit Professoren und Studenten feierte.

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