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Der Wald und wir

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„350 Millionen Jahre Wald“ zeigt derzeit das Wiener Naturhistorische Museum. Die Frage „Wie viele Jahre noch?“ steht unausgesprochen dahinter.

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„350 Millionen Jahre Wald“ zeigt derzeit das Wiener Naturhistorische Museum. Die Frage „Wie viele Jahre noch?“ steht unausgesprochen dahinter.

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Zusammen mit dem Geologischen Museum Dresden, dessen Bestände sich mit denen Wiens glücklich ergänzen, zeigt derzeit das Naturhistorische Museum in Wien bis 9. Februar 1987 mit ausgewählten Versteinerungen das unendlich langwierige Werden jenes Waldes, den der Mensch nun unabsichtlich, aber zielstrebig zu zerstören im Begriff ist.

Als die Algen im Silur die schützenden Urozeane verließen, um mit Verdunstungsschutz, Festigungsund Verankerungsstrukturen (Wurzeln) und neuen Systemen für Energiegewinnung, Gasaustausch und Vermehrung als Pflanzen an Land Fuß zu fassen, waren sie nackt und blütenlos.

Vor 350 Millionen Jahren zeigten sie schon farnartige Blätter, Sporenvermehrung und strebten aus Lichtkonkurrenz empor. Später saßen ihnen bereits nach außen vorgewölbte „Blüten“ im Stamm, an dem die Dinosaurier weideten. Neben Baumschachtelhalmen, Bärlappen und Siegelbäumen versuchte der erste echte Baum die Evolution. Stämme von damals zeigen noch kein differenziertes Leitungssystem, sondern führen Blattstiele über weite Strecken. Ein vier Meter hoher rekonstruierter Schuppenbaum und neue Graphiken geben dem Ausstellungsbesucher Eindrücke von den mächtigen Wäldern, aus denen die ersten Kohlenflöze entstanden.

Im Erdmittelalter bildeten sich Riesenschachtelhalme, Gingko-bäume und jene „Bennettiteen“, die schon Bedecktsamigen ähneln. Das berühmteste Fundstück stammt vom sächsischen Hof zu Dresden, ein zumindest ebenso schönes aus Dakota (USA) gehört dem Wiener Naturhistorischen Museum. Doch erwies sich diese Entwicklung als Sackgasse: Sie wurden von den echten Angiospermen mit ihren fruchtbedeckten Samen überflügelt.

Im 1965 aufgelassenen Bergwerk Grünbach sind schon alle heute bekannten Blätter von Weiden, Nadelbäumen, aber auch Palmen und Gingko vertreten. Der Oberkreidewald setzte sich vor 60 Millionen Jahren zwar rasch durch, starb aber schließlich doch aus, da durch das An-driften des indischen Subkontinents Temperaturerhöhungen eintraten, denen er sich nicht mehr anpassen konnte.

Auch im Tertiär bildete sich, oft aus Nadelgehölzen, in riesigen Sumpfwäldern an mäandrieren-den Flüssen wieder Kohle, in allen Abstufungen bis zu Anthrazit, je nach Druck und Luftabschluß: aus zehn Meter Biomasse ein halber Meter! Immergrüne Lorbeerwälder prägten den Süden, laubwerfende Flora den Norden, wobei die Grenzen sich mit den jeweiligen Temperaturänderungen verschoben. Zeitweise gab es Fiederpalmen in Tirol und Mastix und Weinreben in Norddeutschland.

Europa verarmte

Da Amerika nord-süd-laufende Gebirge hat, zwischen denen sich wärmeliebende Pflanzen während der Klimaschwankungen immer zurückziehen konnten, behielt es eine viel größere Mannigfaltigkeit als das verarmte Europa, dessen Flora unter den West-Ost-Verläufen der Berge litt. Fossilien beweisen auch die Landbrücken zwischen den Kontinenten.

Unseren kargen Rest einstiger Urwälder sollten wir uns um jeden Preis zu erhalten trachten, und sei es dadurch, daß wir den Entwicklungsländern — deren stärkstes Wachstum wir mitauslösten — zur Sonnenenergienutzung verhelfen. Nur dann sind sie nicht gezwungen, ihre Wälder weiter zu Brennholz zu Schlägern.

Unsere gegenseitigen Abhängigkeiten verdeutlicht am besten das System Tropischer Regenwald, von dem heute jährlich 20.548 Hektar vernichtet werden: Der undurchschaubar komplexe Amazonassumpfwald, der prinzipiell unregenerierbar ist, enthält ein Drittel der Wasserreserven der Welt und produziert die Luft, die wir zum Atmen brauchen.

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