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Der Weg durch den Park

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Endlich war sie dem Drängen der Fußgänger draußen am Gehsteig entkommen, hatte den Lärm der Fahrzeuge in den Straßen hinter sich gelassen und war durch das schmale Seitentor in den großen Park getreten. Am Rand einer weiten Wiese mit einzelstehenden Bäumen darin, mit riesigen Rotbuchen und einer ur-“ alten Eiche ging sie zu einem klei-

nen Wäldchen, durchquerte es, und betrat eine der großen Kastanienalleen. Aber bald wandte sie sich nach rechts und dem französischen Garten mit den gestutzten Buchsbaumhecken zu, in dessen ausschwingenden Blumenbeeten rote Begonien und violette Fuchsien einander abwechselten.

Noch einmal nach rechts, und dort gab es den Durchblick zu einem kleinen Gärtnerhaus, den sie so sehr liebte: ockergelbe Mauern, die Fensterrahmen grün, weiße Gardinen hinter den Glasscheiben. Links und rechts am Haus kletterte der dunkle, melancholische Efeu hoch, und dazwischen die Lebenslust und Freundlichkeit verströmende Klematis mit ihren hellgrünen Blättern und den fliederfarbenen Trichterblüten.

Sie blieb stehen und schaute,

ging danach die wenigen Schritte zu einer Steinbank und setzte sich. Der Marmor hatte noch ein wenig von der Kühle des Morgens gespeichert. Das empfand sie als angenehm. Sie blieb, schaute, und spürte bald die Stille, die sie umgab: die Schönheit der Stille.

Aber was war das? Sie setzte sich plötzlich sehr aufrecht hin. Mit einem Mal hatte sie die Vogelstimmen gehört. Rundum mußten Hunderte singen, nein eigentlich lärmten sie. Gleich danach bemerkte sie das Geräusch des Windes in den Zweigen und das Knarren der Äste. Von Stille konnte da doch all die Zeit über keine Rede gewesen sein.

Weil das die Geräusche der Natur sind, habe ich sie nicht gemerkt?

Gleich danach aber war alles wie zuvor. Die Stille und der Friede waren von einer Sekunde zur nächsten noch einmal da. Trotz der Wiederkehr des Ereignisses, des neuerlichen Eintretens von Stille und Friede, erfaßte sie noch nicht, daß alles eigentlich sehr einfach war und daß sie eben wieder zu denken aufgehört hatte, nur noch schaute, und daß sie des

halb kein einziges Geräusch um sich merkte, daß sie bloß noch schaute, einmal hinunter zum Gärtnerhaus, danach zürn Gebüsch jenseits des Kiesweges, zurück zum Gärtnerhaus und später hinauf zu den Baumkronen dahinter.

Aber bloß eine Weile, und sie begann zu überlegen, schaute dazwischen wieder, überlegte weiter, schaute, überlegte, bis sie zuletzt wußte, daß diese Stille in ihrer Seele jene war, die jenseits jeden Tuns liegt, auch jenseits des Denkens - und sie war glücklich. Danach noch einmal eine kurze Weile und ihr war ohne den geringsten Zweifel klar und selbstverständlich: natürlich war das vorhin nicht die Abwesenheit von Geräuschen gewesen, die sie so unendlich friedlich gestimmt hatte, sondern vielmehr jener, dem Park mit seinen Alleen und Wiesen mitsamt dem Gärtnerhaus innewohnende Friede, den sie jenseits ihres Leibes und doch in der Mitte ihrer Seele gespürt hatte, jener unendliche Friede im stillen Sein der Dinge, der erst einmal das Denken in ihr zur Ruhe gebracht hatte und gleichzeitig da

mit ihr Hören.

Stille im Lärm? Wieder überlegte sie und wußte anschließend, daß sie von nun an keineswegs in diesen oder einen anderen Park werde kommen müssen um einer inneren Stille willen. Es war ihr vielmehr bewußt geworden, daß der Friede, der ihr eben in der Natur und im Anblick des vor ihr liegenden Gärtnerhauses zu finden vergönnt war, gar nicht sehr viel zu tun hatte mit Blumen oder Gebüsch, mit Bäumen, Alleen oder Mauerwerk, mit Efeu oder Klematis, sondern mit ihrem Verwei- len-Können jenseits jeden Denkens, jenseits des allzu üblichen alltäglichen Zwanges zur ununterbrochenen Gedankenerzeugung. Ein ruhender Punkt inmitten des Treibens der Welt würde ihr von nun an genügen, um sich daran festzuhalten, und ihr Denken würde zur Ruhe kommen, zuletzt versinken. Wohin? War das nicht ganz und gar gleichgültig?

Danach saß sie noch eine Weile still inmitten all des Friedens, der sie umgab. Zuletzt stand sie auf und ging langsam weg. Sie ging durch den Park dem Ausgang zu, und draußen in den Straßen der Stadt schließlich weiter und in ihr neues Leben hinein.

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