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Der Weg zum Heiligen

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Wie wird man ein Heiliger? Das ist nicht nur eine Frage des Lebenswandels, sondern auch des Kirchenrechtes. Diese Frage ist jedoch müßig, wenn kein Wunder geschieht.

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Wie wird man ein Heiliger? Das ist nicht nur eine Frage des Lebenswandels, sondern auch des Kirchenrechtes. Diese Frage ist jedoch müßig, wenn kein Wunder geschieht.

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Unsere Zeit braucht Heilige, erklärte jüngst Kurienkardinal Joseph Ratzinger in seinem Buch „Zur Lage des Glaubens“ (vgl. FURCHE 42/85). Ähnlich äußerten sich 1981 Teilnehmer an einer außerordentlichen Vollversammlung der römischen Kongregation für Heiligsprechungen (Sacra Congregatio pro Causis Sancto-rum): Es gelte dem Volk Gottes Vorbilder zu geben, Katholiken selig- beziehungsweise heiligzusprechen, die unserer Zeit besonders nahestehen, und zwar nicht nur Ordensmänner, Ordensfrauen und Priester, sondern auch Laien, die ein tiefes Glaubensleben mit ihrem Berufsleben in vorbildhafter Weise zu verbinden verstanden.

Erste Voraussetzung, ein Heiliger zu werden, ist natürlich ein heiligmäßiges Leben. Um aber zur Ehre der Altäre erhoben zu werden, ist noch ein gründliches kirchliches Verfahren notwendig, das erst 1983 durch die Apostolische Konstitution „Divinus per-fectionis magister“ neu geregelt worden ist.

Das war nicht immer so. Im ersten Jahrtausend entstanden Heiligenkulte an vielen Orten ohne die Zustimmung Roms, und erst 1234 - mit Inkrafttreten der Dekretalien Gregors IX. — wurde die Heiligsprechung (Kanonisierung) allein dem Papst vorbehalten. Da aber immer wieder neue Kulte aufkamen — auch unser „Anderl von Rinn“ fällt in diese Zeit -, verbot Urban VIII. 1625 mit dem Dekret „De non cultu“ jeden ungebührlichen öffentlichen Kult ohne Genehmigung des Heiligen Stuhles.

Seit damals wurde das Heiligsprechungsverfahren ständig verfeinert, daneben untersucht sogar eine Abteilung, ob nicht in alten Zeiten reine Legendenfiguren (vielleicht der hl. Georg?) oder Leute mit gar nicht so einwandfreiem Lebenswandel in den Heiligenkalender gerutscht sind.

Ein Heiligsprechungsprozeß beginnt immer auf diözesaner Ebene, und zwar in der Regel in jener Diözese, in der der „Diener Gottes“ (so wird der Verstorbene, der heiliggesprochen werden soll, in allen Prozeßakten bezeichnet) gestorben ist. Im Verfahren agieren folgende Personen: # Der Actor ist der an der Seligsprechung (sie ist die Vorstufe zur Heiligsprechung) Interessierte; er kann ein einzelner Gläubiger, aber auch eine Gruppe (etwa ein

Orden) sein.

• Der Postulator handelt für den Actor und wird vom Bischof approbiert; er muß die nötige theologisch-kirchenrechtliche Bildung haben und in Rom ansässig sein.

# Der Ortsbischof muß seine Zuständigkeit prüfen, die Bischofskonferenz konsultieren, alle Schriften des Dieners Gottes prüfen lassen und schließlich entscheiden, ob der Fall weiterverfolgt wird. Wenn ja, muß er von der Kongregation in Rom das „Nihil obstat“ (nichts steht im Weg) erbitten und bei dessen Gewährung den Prozeß festsetzen und den Gerichtshof ernennen.

# Der „iudex delegatus“, ein entsprechend theologisch und rechtlich qualifizierter Priester, führt im Auftrag des Bischofs die di-özesane Untersuchung durch.

• Der „promotoriustitiae“ (ehemals „advocatus diaboli“) ist ein vom Bischof beauftragter, entsprechend geschulter Priester, der die Fragen für die Zeugen vorbereitet, Ergänzungen beantragt, Unklarheiten aufzeigt und für die

Vervollständigung der Akten sorgt.

9 Der Notar legt die Zeugenaussagen authentisch schriftlich fest. • Als „periti“ fungieren - etwa bei Wunderprozessen — hinzugezogene Sachverständige.

Alois Diem, Anwalt an den Metropolitan- und Diözesangerich-ten Wien und Salzburg, betont, daß in einem solchen Prozeß praktisch .Jeder Tag des Lebens“ durchleuchtet werde. Die Zeugen werden vereidigt, alles wird genau protokolliert. Nach Ende der diözesanen Beweisverfahren geht das ganze Material nach Rom, wo nach einem sehr genauen Verfallren in der zuständigen Kongregation zunächst ein päpstliches Dekret über den „heroischen Tugendgrad“ des Betreffenden ausgestellt wird.

Für die Seligsprechung - sie erlaubt nur Verehrung auf diözesaner Ebene, ist aber sonst der Heiligsprechung ebenbürtig (Bestrebungen, beides völlig gleichzusetzen, sind im Gange) — fehlt nun noch ein „himmlisches Zeichen“. Für die Heiligsprechung, die weltweite Verehrung erlaubt, ist noch ein zweites Wunder notwendig. Ein solcher Wunderprozeß — meist geht es dabei um eine Gebetserhörung in Form einer unerklärbaren Krankenheilung — wurde in Wien zuletzt im Zusammenhang mit der deutschen Ordensschwester Blandine Merten geführt.

Der Fall Merten ist einer jener zehn Seligsprechungsprozesse (in Rom laufen derzeit fast 900), mit denen Wien in letzter Zeit befaßt war und ist. Wie beim Prozeß für den letzten österreichischen Monarchen Kaiser Karl (der bekanntlich auf Madeira starb) ist Wien hier nur am Rande beteiligt (das Merten-Wunder geschah in Wien).

Dauer: Jahrzehnte

Im Zentrum der Wiener Prozesse stehen vier echte Wiener:

• Wilhelm Janauschek, Red-emptoristenpater (1859-1926),

• Anton Maria Schwartz, Arbeiterseelsorger und Gründer der Kalasantiner (1852-1929),

• Hildegard Burjan, christlichsoziale Politikerin und Gründerin der Caritas socialis (1883-1933),

• Jakob Kern, Prämonstraten-ser (1897-1924).

In diesen Fällen fehlen nur noch die Wunderprozesse, der Fall Schwartz dürfte als erster abgeschlossen sein. Grundsätzlich dauern ja Seligsprechungsverfahren Jahrzehnte (und durften früher sogar erst 50 Jahre nach dem Tod begonnen werden).

Im Grunde sollten solche Verfahren die Betreiber (meist Orden) nichts kosten, doch läßt sich das mitunter (Gutachter, Ubersetzer für Rom) nicht vermeiden. Oft bekommen aber Orden Spenden, die als zweckgebunden für das Seligsprechungsverfahren eines Ordensmitgliedes zu betrachten sind.

Daß jemand nicht formell heiliggesprochen ist, bedeutet aber keineswegs, daß er nicht vielleicht doch zu jener großen Schar „aller Heiligen“ gehört, die am 1. November gefeiert wird.

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